Zwei Naturordnungen

„Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.“

Zwei Naturordnungen

Ein Tag im Monat Januar, 15.40 Uhr. Ich überquere den Dorfplatz an einem kalten Nachmittag – ein zarter Sonnenstrahl durchschneidet die Luft. Ich sehe nach oben und lese auf einem großen Schild, das auf einer langen, weißen Wand angebracht ist: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ (Matth. 22, 21). Ich ziehe den Mantel fester um meinen Leib, so als wollte ich meine Gedanken mit dem Inhalt dieses Satzes umschließen. Was soll ich dem Kaiser geben? Eine Vergangenheit, an der ich Anteil hatte? Die Worte im zweiten Satzteil, so selbstverständlich geäußert, bringen mich zum Nachdenken: „Gebt Gott, was Gottes ist“. Was erlebe ich zur Zeit, das ich ihm geben könnte? Vielerlei Begegnungen, überflutete Straßen in unserem Ort, schöne Mondscheinnächte? Die Aussage potenziert sich in meinem Gemüt, in meinen Gedanken.

Offenbar lebe ich in zwei gegensätzlichen und doch innig miteinander verflochtenen Naturen, einer Art Dualität.

Zwei Naturen – eine Dualität, die zur Einheit werden kann

Wie kann ich da eine Wahl treffen?

Kenne ich diesen Gott, der so dringlich zu mir spricht? Was also soll ich ihm geben?

Ich finde es interessant, dass mich die Frage überhaupt so stark beschäftigt. Der Versuch, herauszubekommen, womit sich mein Wesen identifiziert, überfordert mich zunächst einmal: der Kaiser, das ist ja wohl diese Welt.

Ich lasse meine Gedanken und Gefühle umherschweifen. Kann ich mich selbst richtig erfassen?

Gehört mein Bewusstsein zwei Welten an, oder ist es nur Teil der normalen „Wirklichkeit“, in der ich lebe? Und wie ist es mit meinem Unbewussten?

Wie gelange ich zu einer tieferen Wahrnehmung? Ich forsche nach einem untrüglichen Gedächtnis. Gibt es eine immerwährende Aufzeichnung, eine Erinnerung an alles, was im Leben stattgefunden hat? In meinem Leben? Im Leben der Welt?

Ich bekomme die Empfindung, dass es lichtvolle Kräfte gibt, die durch mein Gehirn, meine Adern, mein Rückgrat strömen. Zu welcher Weltordnung gehören sie? Vermitteln sie mir einen Zugang zum Sinn des Lebens?

Gedanken, Analysen, Beurteilungen, Vergleiche wechseln sich in mir ab. Wenn es zwei Naturen gibt, die göttlich-geistige und unsere Welt, sind sie dann irgendwie voneinander entfernt?

Ganz offensichtlich befinden sich beide in mir … Ich versuche, in meine Vergangenheit einzutauchen. Es gibt Differenzen in meinem Innern. Sie reichen ins Unbewusste, und sie wirken beunruhigend.

An wen habe ich mich in den Stunden des Schmerzes, des Kummers und der Isolation gewendet? Ich habe zu meinem tiefsten Inneren geredet und Antworten bekommen. Die Worte „das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden“ (2. Kor. 5, 17) drücken etwas davon aus.

Und jetzt? Hat sich meine Wahrnehmung der Welt oder meiner eigenen Person verändert? Ist etwas neu geworden?

Ich habe das Gefühl, dass mein Bewusstsein Galaxien weit entfernt ist von dem, was „wirklich wahr“ ist, aber zugleich sagt mir eine innere Stimme, dass ich gehört werde. Von nah oder von fern, wer ist es, der mir in diesen Momenten der Innenschau hilft? Kommen die Antworten aus dieser natürlichen Ordnung oder aus der göttlichen Ordnung?

Eine Impression drängt sich mir auf: Es gibt außer meinem irdischen Wesen noch ein Wesen einer anderen Weltordnung. Es ist ganz anders als ich. Ich nenne es einen Archetyp. Ihn muss ich kennen lernen, mit ihm muss ich mich in Beziehung setzen, auf ihn muss ich mich mehr einlassen. Denn ich habe unendlich viel mit ihm zu tun. Denn letztendlich sind wir „zwei in einem“. Wir sind ein Wesen, in zwei Welten.

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Datum: Juli 1, 2019
Autor: Grupo de autores Logon
Foto: Logon Olga

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