Die Geburt eines neuen Menschen

Die Geburt eines neuen Menschen

Wenn jede Inkarnation ein Herzschlag wäre, dann erscheint nach vielen Herzschlägen ein Mensch, der beginnt zu fragen, fragt nach dem Sinn des Lebens. Und dann ein anderer, der sehr aktiv nach Antworten sucht. Und schließlich…

Seit vielen Jahren denke ich darüber nach, dass dieses Universum zu brillant geplant ist, um sich gegen die unbedachten Handlungen des Menschen wehren zu müssen. So scheint der Kosmos zwar mit Myriaden von Sternen übersät zu sein, doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die Entfernungen zwischen den einzelnen Sternen so immens sind, dass sie im Allgemeinen in Lichtjahren gemessen werden. Da ist der Mensch bei der Überwindung dieser Entfernungen praktisch machtlos. Und obwohl er davon träumt, in andere Sonnensysteme und sogar Galaxien zu reisen – was sich in den Weiten der Science-Fiction-Literatur glänzend widerspiegelt -, bleiben diese Träume im Bereich des unerfüllbaren. Denn was sehen wir, wenn wir uns in dieses Genre vertiefen? Der Kontakt mit Wesen von anderen Planeten endet immer in bewaffneten Konflikten. Der Mensch sehnt sich nach diesem Kontakt aber fürchtet ihn noch mehr. Deshalb ist es vielleicht besser, wenn er ein unerfüllter Traum bleibt.

Glücklicherweise liegen zwischen dem modernen Menschen und dem Zeitalter der Dinosaurier Millionen von Jahren, denn sonst hätte der Traum von der Nachbildung dieser prähistorischen Reptilien – wie im Film „Jurassic Park“ zu sehen – eine größere Chance, wahr zu werden.

Der Mensch gleicht in seinen Handlungen oft einem spielenden, unwissenden Kind, das mit verschiedenen Gegenständen experimentiert, um zu sehen, was sich aus seinem Spiel ergibt. Er ist der Zauberlehrling, der Kräfte erweckt, die er nicht kennt und nicht beherrscht.

Allerdings ist alles so eingerichtet, dass wirklich gefährliche Kräfte außerhalb der Reichweite des Kindes verbleiben.

Ja, es ist ein Glück, dass gefährliche Gegenstände außer Reichweite des Kindes sind, aber das Bild eines sich entwickelnden menschlichen Embryos, der in der Gebärmutter wie in der sternenklaren Weite des Weltraums schwebt, kann vor unseren Augen erscheinen. In dem beleuchteten Winzling können wir ein schlagendes Herz und ein ganzes scharlachrotes Netz von Blutgefäßen erkennen. Und was sehen wir noch? Was dem Auge sofort auffällt, ist das Phänomen, dass bei jedem Herzschlag das gesamte Kreislaufsystem – vor allem der kleine Blutkreislauf – in einem hellen Glanz erstrahlt. Im gleichen Moment entzündet sich im Kopf des Kindes ein heller Funke, der fast sofort wieder erlischt. Betrachten wir dieses Phänomen aus kürzerer Entfernung und verlangsamen wir die Zeit ein wenig. Der Funke leuchtet mit einem hellen Licht auf, das eine Weile anhält, dann verliert er seine Kraft und erlischt langsam. Dehnen wir also die Zeit weiter aus. Was ist der Funke, welchen Zweck hat er, wenn er gleich nach dem Anzünden wieder erlischt? Die gestreckte Zeit erlaubt uns, alles gut zu beobachten.

Übertragen wir das Beobachtete einmal auf den Menschen: Der Funke zündet – ein Mensch wird gezeugt und schließlich geboren – erfüllt von Licht, Energie und Freude. Er lebt von der Strahlkraft des Lichtes, das ihn erfüllt, er strotzt vor Energie, alles erscheint ihm wunderbar, interessant und wissenswert. Er möchte alles anfassen, erforschen und verstehen. Freude begleitet alle seine Handlungen. Was er nicht versteht, ist, warum die Erwachsenen um ihn herum so ernst sind und seinen Enthusiasmus nicht teilen, ja sogar seinen Eifer und seine Begeisterung auf Schritt und Tritt bremsen. Er denkt schon daran, so schnell wie möglich erwachsen zu werden, denn niemand will einem Kind zuhören, das ihm so viele Dinge erklären möchte. Und schließlich kommt dieser Moment – das Erwachsensein. Das ist der Moment, in dem eine ganze Menge passiert – ein Job, wichtige Veränderungen im Familienleben, Entscheidungen eines erwachsenen, reifen Menschen; aber noch etwas anderes geschieht, etwas, das der junge Mensch gar nicht bemerkt. Der Funke beginnt langsam zu erlöschen. Man kann es jetzt in den Augen des jungen Mannes beobachten. Er verstrickt sich langsam in ein Netz von Verpflichtungen, Geboten, Verboten, Gewohnheiten. Das Licht geht langsam aus. Der Mensch in seiner täglichen Existenz, der seine Kinder und dann seine Enkelkinder betrachtet, schüttelt den Kopf und fragt sich, woher sie so viel Energie und Freude haben, und erinnert sich nicht mehr daran, dass er am Anfang auch so war. Das Licht geht schließlich aus, der Mensch stirbt, ohne etwas zu verstehen, und sogar ohne über viele Aspekte seines Lebens nachzudenken.

Und dann folgt, wie mit dem nächsten Herzschlag ein neues menschliches Wesen. Man könnte meinen, dass sich dieser Zyklus endlos wiederholt, aber langsam mit jedem Herzschlag ändert sich etwas. Nach vielen Herzschlägen erscheint schließlich ein Mensch, der beginnt, Fragen zu stellen, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Und danach ein anderer, der sehr aktiv nach Antworten sucht. Und schließlich gibt es einen Funken, der hell brennt, und irgendwann breitet sich sein Licht wie in einer großen Explosion von Helligkeit über den ganzen Kopf aus. Die Augen eines anderen Kindes öffnen sich, der Mund öffnet sich für den ersten Atemzug nach der Geburt eines neuen Menschen.

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Datum: April 17, 2024
Autor: Jadwiga Korczak (Poland)
Foto: Cyrus Crossan on Unsplash CCO

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