Die Geschichte beginnt in einer Krisensituation. Finstere Mächte haben den Handlungsort – das märchenhafte Reich, die fremde Welt oder die weit, weit entfernte Galaxie – in ihre Gewalt gebracht und sind kurz davor, den endgültigen Sieg davonzutragen. In dieser Situation tritt ein Akteur auf den Plan, der mit dem landläufigen Bild vom Helden als mutigem, allen Gefahren gewachsenem Kämpfer nichts zu tun hat: Der archetypische Held ist zunächst weder mutig noch erfahren, sondern in höchstem Maß schwach, mutlos und unwissend.
Seine Herkunft ist entweder unbekannt oder sehr außergewöhnlich (Jungfrauengeburt, Kind bedeutender, aber früh verstorbener Eltern, Findelkind o.ä.). Bald treten weitere Akteure auf den Plan, die ebenfalls dem universellen Fundus der Archetypen entstammen: der weise, väterliche Mentor, der kämpferische, lebenserfahrene Einzelgänger, das reine, einerseits schutzbedürftige, andererseits sehr eigenständige weibliche Element u.v.m.. Wenn dem Helden seine schicksalhafte Aufgabe enthüllt wird, weist er sie zunächst entsetzt von sich. Durch dramatische Ereignisse gezwungen, macht er sich dann jedoch in Begleitung seiner Helfer auf den Weg, wächst mit ihrer Hilfe über sich hinaus, scheitert zwischendurch scheinbar katastrophal und besiegt am Ende den Antagonisten, wodurch dieser gleichzeitig – in vielen Fällen – erlöst wird.
Die Reise des Helden lässt sich in drei große Stationen einteilen: Aufbruch, Einweihung, Vollendung. Die Vollendung führt zu einer vollständigen Befreiung und Erneuerung, die den gewohnten Bezugsrahmen transzendiert und daher nicht mehr geschildert werden kann. Deswegen enden die Erzählungen in der Regel scheinbar banal oder völlig offen.
Archetypen in uns
Große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Pionieren der Psychoanalyse zu: C.G. Jung verdanken wir die Kenntnis der Archetypen, während Sigmund Freud in seiner Traumdeutung das Bilder-Alphabet des Unbewussten entschlüsselt hat. Beim Vergleich der Menschheits-Mythen mit den Erkenntnissen der Traumdeutung fand Joseph Campbell in Anlehnung an Jung heraus, dass in den Träumen vieler Klienten Jungs und Freuds dieselben Situationen in denselben Bildern vorkamen wie in den Mythen der Völker. Daraus zog Campbell, wie Jung, den Schluss, dass Mythen kollektive Träume und Träume individuelle Mythen sind.
Die zahllosen, universell mehr oder weniger gleichförmigen Erzählungen von der Reise des Helden lassen sich unschwer als bildhaft verschleierte Schilderungen eines innermenschlichen Prozesses deuten. Jeder von uns ist der Held oder die Heldin seines bzw. ihres Lebens. Auf die innere Ebene übertragen, sind der Held, seine Begleiter, Helfer und Widersacher personifizierte Aspekte der menschlichen Psyche. Die Reise des Helden ist, so betrachtet, die bildhafte, ins Äußere gezogene Schilderung eines inneren Prozesses der Selbstverwirklichung, zu dem jeder Mensch gerufen ist.
Auf die eine oder andere Weise trägt wohl jeder Mensch das Bedürfnis in sich, diesen inneren Prozess durchzuführen. Darin dürfte der Grund für den nachhaltigen, über Jahrzehnte ungebrochenen Erfolg entsprechender Erzählungen etwa in Literatur und Film liegen.
Das Szenario in Star Wars
Betrachten wir die originale Star-Wars-Trilogie unter diesem Blickwinkel. Eine neue Hoffnung (1977), Das Imperium schlägt zurück (1980) und Die Rückkehr der Jedi-Ritter (1983) bilden die drei großen Abschnitte der Reise des Helden in seltener Klarheit ab. Sie gleichen hierin dem großen, ebenfalls dreiteiligen Roman unserer Epoche über die Reise des Helden, J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe. Der Schöpfer von Star Wars, George Lucas, war maßgeblich von Joseph Campbells Monumentalwerk über die Reise des Helden in den Mythologien der Welt beeinflusst.
Der deutschsprachige Obertitel Krieg der Sterne ist eine zwar griffige, aber leicht irreführende Übersetzung; treffender – wenn auch erheblich sperriger – lässt sich Star Wars mit „Kriege in der Sphäre der Sterne“ übersetzen. Es geht also um sehr einschneidende, mit allen Mitteln geführte, existentiell umwälzende Auseinandersetzungen, die auf der Ebene der „Sterne“ ausgetragen werden.
Die innere Welt
Man kannte Jahrtausende lang, in verschiedenen Kulturen, den Begriff des menschlichen Mikrokosmos. Damit ist das Gesamtsystem jedes Menschen gemeint, in dem immer wieder Persönlichkeiten inkarnieren und in dem die Erfahrungs-Essenz aus all diesen Leben aufgezeichnet ist. Diese Essenzen vorausgegangener Leben formen sich zu „Sternen“ im inneren Firmament des Menschen. So bildet sich im menschlichen System alles, was es im großen Maßstab gibt, im „Makrokosmos“, getreulich ab. Wir leben darin mit unserem derzeitigen Ich, das von gewaltigen, unbewussten Kräften umgeben ist. Führt ein Mensch den in der Reise des Helden bildhaft geschilderten, inneren Prozess durch, so ist eine fundamentale Veränderung, Erneuerung und Befreiung des Mikrokosmos die Folge. In der Offenbarung des Johannes heißt es dazu: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“. Die mikrokosmische „Erde“ ist unsere Persönlichkeit mit ihrem Stoffkörper.
Das universelle menschliche Einweihungsmysterium zielt nicht auf eine wie auch immer geartete „Erleuchtung“ der derzeitigen ich-bezogenen Persönlichkeit ab, auf Glück, Erfolg und Harmonie in unserem gegenwärtigen Zustand, sondern auf eine vollständige, existentielle Erneuerung und Wiederherstellung des ursprünglichen, „heiligen“ (d.h. vollkommenen) Zustands. Der hierzu erforderliche Prozess lässt sich in seinen vorbereitenden Stadien als „Krieg“ im obigen Sinn, also als denkbar tiefgreifende, existentiell umwälzende Auseinandersetzung auffassen, ausgetragen zwischen den „guten“, befreienden Kräften, die den Menschen wieder mit seiner transzendenten Mitte, dem Kern des Mikrokosmos, verbinden möchten, und den „bösen“ Widersacherkräften, die ihn aus Selbsterhalt in seinem gegenwärtigen, unvollkommenen, mehr oder weniger unbewussten, endlichen Zustand festhalten wollen.
Die Not zwingt zum Handeln
Die innere Reise des Helden beginnt, wenn ein Mensch sich der Notwendigkeit der Verwandlung bewusst wird und beschließt, dabei aktiv mitzuwirken. Während sein oder ihr äußeres Leben in vieler Hinsicht unverändert bleibt, begibt sich im Inneren, bildlich gesprochen, ein zunächst schwacher, hilfloser und noch weitgehend unbedeutender Aspekt auf eine Bewusstwerdungs- und Überwindungsreise durch die psychischen Innenwelten des eigenen Seins. Er erfährt dabei dringend benötigte Hilfe von seinen „Begleitern“, das heißt seelischen Aspekten, die durch die entstandene innere Bewegtheit nach und nach aktiv werden.
Die originale Star Wars-Trilogie beginnt in einem Zustand, den der eine oder andere im übertragenen Sinne auch bei sich selbst feststellen kann: Die gesamte „Galaxie“ befindet sich im Klammergriff eines „bösen Imperiums“, das kurz davor steht, den „Todesstern“ in Betrieb zu nehmen. Der Todesstern ist eine Raumstation von der Größe eines Mondes, die ganze Planeten zerstören kann. Im Firmament des Mikrokosmos hat sich also ein zutiefst unnatürlicher Kraftpunkt aus lebensfeindlichen Kräften gebildet, der in der Lage ist, die anderen Kraftpunkte im Menschen zu beherrschen und sogar auszulöschen.
Doch das „Gute“ ist noch vorhanden: Von einer geheimen Basis aus – einem anderen Stern/Kraftpunkt im Mikrokosmos, dessen Position den Gegenkräften unbekannt ist – führt die Allianz der Rebellen einen Guerillakrieg gegen das Imperium. Dabei wird ein Etappensieg erzielt: Spione der Rebellen können die Pläne des Todessterns erbeuten. Nun ist Prinzessin Leia – das weibliche Prinzip, die emotionale Intelligenz, die im Laufe des Epos weitere Dimensionen entfaltet – mit den Plänen auf dem Weg zur geheimen Rebellenbasis. Dabei wird sie von Darth Vader, dem Protagonisten der Gegenkräfte und obersten Diener des Imperators, gefangengenommen und zum Todesstern verschleppt. Vorher gelingt es ihr jedoch, die Pläne in den Speicher eines Roboters zu übertragen. Dieser Roboter namens R2-D2 ist Teil eines Roboter-Duos, das in den Filmen für humoristische Auflockerung sorgt, aber ebenfalls von tiefer Bedeutung ist und entsprechende innere Aspekte symbolisiert.
R2-D2 ist im Prinzip ein intelligenter, künstlicher Mechaniker und universeller Problemlöser. Er verständigt sich mittels binärer Pfeif- und Pieplaute, die von den Handlungsfiguren verstanden werden, für den Zuschauer aber natürlich unverständlich sind. Ihm zur Seite steht C-3PO, ein entfernt menschenähnlicher, goldener Roboter, der in den staubigen, „gebraucht“ anmutenden Szenerien der Filme immer leicht deplaziert wirkt. C-3PO hat eine pedantisch-ängstliche Persönlichkeit. Er beherrscht rund sechs Millionen Sprachen (also alle), ist auf Etikette programmiert und kann Maschinen steuern, verfügt aber nicht über wirkliche Intelligenz; er erfasst grundsätzlich nicht das Wesentliche einer Situation, ist aber ständig mit Werturteilen zur Stelle. Deuten wir C-3PO als die noch nicht erneuerte, stumpf mechanisch urteilende Moral und R2-D2 als die praktische Intelligenz. Zusammen ergeben die beiden den noch ziemlich beschränkten Verstandesbereich der Persönlichkeit.
Während Prinzessin Leias Schiff über dem Wüstenplaneten Tattooine aufgebracht wird, gelingt den beiden Robotern in einer Rettungskapsel die Flucht. Nach einer Bruchlandung auf Tattooine und weiteren Verwicklungen geraten sie in die Hände eines Farmers. In der Obhut dieses Farmers lebt Luke Skywalker („der in den Himmeln wandelt“, ein Name, der die spätere Bedeutung ahnen lässt). Über seine Herkunft im Unklaren gehalten, träumt Luke von Freiheit und Heldentaten im Kampf gegen das Imperium, kann den Planeten aber nicht verlassen.
Der Aufbruch
Neben den Plänen hat Prinzessin Leia R2-D2 auch einen Hilferuf an Obi-Wan Kenobi mitgegeben, einen ehemaligen Jedi-Ritter, der ebenfalls auf Tattooine lebt. Noch in der Nacht flieht R2-D2 in die Wüste, um Obi-Wan zu suchen. Nach einer dramatischen Suchaktion stoßen Luke, R2-D2 und C-3PO schließlich auf den alten Einsiedler Ben, der sich schnell als Obi-Wan zu erkennen gibt. Obi-Wan erzählt Luke, sein Vater sei von Obi-Wans ehemaligem Schüler Darth Vader verraten und ermordet worden, überreicht ihm das Lichtschwert seines Vaters und fordert Luke auf, ihn zu begleiten: Dem Helden wird sein schicksalhafter Auftrag enthüllt. Luke weist die Aufgabe zunächst zurück, wie es in den Heldenepen und im menschlichen Leben üblich ist: Sie ist zu groß. Doch dann greifen schicksalhafte Umstände ein. Imperiale Truppen verfolgen die Spur der beiden Roboter zur Farm, ermorden Lukes Pflegeeltern und brennen sein Heim nieder. Der Held ist heimatlos geworden. Erschüttert schließt sich Luke Obi-Wan an.
Diese doppelte Entwurzelung – die zunächst unklare Herkunft und der Verlust der bisherigen Heimat – sind immer wiederkehrende Eigenschaften des archetypischen Helden; sie deuten an, dass der zentrale Kern des Bewusstseins des Menschen einem Ursprung entstammt, der über unsere Welt hinausweist.
Obi-Wan Kenobi entspricht Gestalten wie Merlin, Gandalf, Dumbledore, dem Vergil der Göttlichen Komödie. Sie verkörpern ein altes, innermenschliches Weisheits- und Erfahrungsprinzip, das den anstehenden Erneuerungs- und Befreiungsprozess selbst nicht durchführen kann, sich aber dem Helden, dem Bewusstsein des Menschen, bedingungslos zur Verfügung stellt.
Da Obi-Wan, Luke und die Roboter kein Aufsehen erregen dürfen, heuern sie einen Schmuggler als Piloten an: Han Solo und seinen nichtmenschlichen Copiloten Chewbacca. Diese beiden symbolisieren Willensaspekte des Egos: seine egozentrisch-pragmatische und seine animalische Seite. Mit seinem Willen kann das Ego den Zustand des Mikrokosmos nicht überwinden, aber es ergaunert sich eine gewisse, relative Freiheit, um außerhalb des Gesetzes zu operieren, das heißt losgelöst von den Kräften, die den Menschen an die Zwangsmechanismen seines Umfeldes binden. Das Schiff der beiden, der Millennium Falcon, ist das schnellste Schiff der Galaxie; es tritt nun in den Dienst des um Erneuerung ringenden Bewusstseins. Han und Chewbacca manövrieren damit die riesigen, schwerfälligen Kriegsschiffe des Imperiums aus.
Luke, Obi-Wan und die Roboter mit Han und Chewbacca begeben sich an Bord des Falken und setzen Kurs auf Prinzessin Leias Heimatwelt. Intelligenz, Moral, Erfahrung, Ego und Wille haben sich mit dem inneren Heldenprinzip zusammengetan und verfügen nun über ein Fahrzeug (hier sei an die Bedeutung dieses Begriffs in der indischen Weisheitslehre erinnert), mit dem sie die inneren Welten des Mikrokosmos weitgehend ungehindert bereisen können.
Das Abenteuer nimmt seinen Lauf …