Jeder trägt einen Stern im Innern

Ein Interview mit Joost Ritman, Amsterdam (für LOGON: Gunter Friedrich). - Jan van Rijckenborghs Vision einer Una Sancta, einer heiligen Einheit, war wichtig für mein Leben.

Jeder trägt einen Stern im Innern

G.F.: Joost, seit mehr als 20 Jahren habe ich immer wieder Kontakt mit Dir gehabt. Ich fand es bemerkenswert, wie Du es vermocht hast, in ganz unterschiedlichen Bereichen aktiv zu sein. Du hast eine große Firma geleitet mit internationalen Verbindungen, Du warst im Leitungsgremium einer spirituellen Gemeinschaft und auch da international aktiv, und überdies hast Du auch noch eine Institution in Amsterdam aufgebaut, die sich inzwischen Embassy of the Free Mind nennt. Könntest Du ein bisschen aus Deinem Leben erzählen, wie Du das geschafft hast?

J.R.: Ich kann sagen, ich habe ein Geschenk bekommen von meiner Mutter durch meine Geburt. Sie war meine erste Liebe, und sie hat mir das Leben geschenkt. Ich erfahre das Leben als ein großes Wunder. Von früh an war ich davon überzeugt, dass die Geburt einen Weg in die Welt hinein bedeutet. Das heißt, mir wurde auch das Leben in der Welt geschenkt.

Da ist zum einen Gott, aus dem alles entsteht. Da ist zum anderen die Mutter, die das Leben schenkt. Und zum Dritten ist da die Welt, die Natur. Ich habe die Natur immer bestaunt, und auch den Menschen darin.Die Natur ist der Kosmos, der Mensch ist ein Mikrokosmos, der in der Natur eine schöpferische Aufgabe zu verrichten hat. Von früh an war mir deutlich, dass mein Leben eine Bestimmung hat.

Ich war sehr jung, als ich heiratete, war gerade 19 Jahre alt. Meine Frau Rachel und ich sind in diesem Jahr 60 Jahre lang verheiratet. Wir haben eine große, phantastische Familie. Ich habe meinen Vater sehr geliebt, er war für mich ein Vorbild. Ein weiteres Vorbild war mir Catharose de Petri, die Großmeisterin der spirituellen Gemeinschaft des Rosenkreuzes. Ich begleitete sie auf ihren Reisen. Durch sie und Jan van Rijckenborgh bin ich getauft worden, als ich sechs Jahre alt war. Ich erlebte den Strom der Kraft, der durch diese beiden floss.

Mit 16 Jahren begann ich, in der Firma meines Vaters zu arbeiten. Eigentlich wollte ich Theologie und Philosophie studieren. Aber mein Vater sagte mir: „das kommt vielleicht noch später. Komm jetzt bitte in die Firma“. Als ich 23 Jahre alt war, erwarb meine Mutter in einem Antiquariat in Amsterdam ein Buch von Jakob Böhme und zwar Aurora oder die Morgenröte im Aufgang. In dem Titelbild sah man die Sonne, die Erde, den Zodiak und eine siebenfache Strahlungswirksamkeit. Sie schenkte mir dieses Buch.

Der Blick auf das Titelbild war für mich ein Initialerlebnis. Diese Ausgabe der Aurora wurde das erste Buch meiner künftigen Bibliothek.

Das Symbol des Pentagramms

Ich bin Amsterdamer. In Amsterdam gibt es die Seefahrt, es ist eine Stadt mit internationalen Verbindungen. Als ich 22 Jahre alt war, kam ich in die Geschäftsführung der Firma meines Vaters. Damals arbeiteten in der Firma 22 Personen. Unter meiner Leitung wurde sie groß und hatte schließlich 600 Mitarbeiter. Wir arbeiteten mit Fluglinien zusammen.

Das Symbol meines Unternehmens ist ein fünfzackiger Stern, ein Pentagramm, das Symbol für den vollkommenen Menschen. Unsere Produkte trugen diesen Stern millionenfach in die Welt hinaus. Das Symbol des fünfzackigen Sterns steht auch für meine Bibliothek, die auf knapp 30.000 Bücher mit vielen Originaldrucken angewachsen ist. Sie repräsentiert mit ihren verschiedenen Abteilungen die fünffache Kraft, die auch von Leonardo da Vinci in seinem Bild vom Vitruvianischen Menschen dargestellt wurde.

Jeder Mensch trägt in sich einen Stern, der strahlen kann. Aber das kann nur geschehen, wenn er wirklich Mensch wird. Für mich war es das Allerwichtigste im Leben, diese Botschaft der Menschwerdung auszutragen. Und das tat ich auf der Basis meiner Familie, meiner Verbindung mit der Geistesschule des Lectorium Rosicrucianum, meines Unternehmens de Ster und meiner Bibliothek, die ihren neuen Sitz jetzt hier im Huis met de Hoofden hat. Sie ist aufgegangen in der Embassy of the Free Mind, einem Quell des freien Denkens auf der Grundlage der Schätze der europäischen Tradition. Die Bibliothek symbolisiert den Schatz, den ich im Leben errungen habe.

G.F.: Der Begriff Embassy of the Free Mind weist in die Zukunft. Du sprichst davon, dass im Menschen ein fünfzackiger Stern verborgen ist. Du hast dargestellt, dass Du als Mann der Wirtschaft, als Mann der Kultur und als Mensch, der sich auf einem spirituellen Weg befindet, diese ganz unterschiedlichen Bereiche in Dir vereint hast. Siehst Du in einer solchen Integration eine Aufgabe der Zukunft?

J:R.: Nein, ich sehe dies als eine Aufgabe des Heute an. Es gab hier in Amsterdam eine große Ausstellung über die Kabbala, die den Namen Lebensbaum trug. Ich hatte bei der Gelegenheit ein Gespräch mit Leuten aus Jerusalem, die Bücher und Manuskripte zu dieser Ausstellung beigesteuert hatten. Sie kamen in meine Bibliothek und fragten nach ihrer Bedeutung. Ich erwiderte, die Bibliothek versinnbildliche eine Botschaft und zugleich eine Offenheit, eine Offenheit für die Welt. Frau Groß, die zu der Gruppe aus Israel gehörte, sagte daraufhin: „Mit unserer Kabbala-Sammlung tragen wir eine Botschaft unseres Volkes aus, Mit Ihrer Embassy of the free mind tragen Sie eine Botschaft der Welt aus.“

G.F.: Ich denke, Du hast diese Institution aus einer Zukunftsvision heraus gegründet, also aus einer Notwendigkeit heraus, dass sich etwas entwickeln muss und entwickeln kann auf der Grundlage der abendländischen Kultur. Kannst Du noch darüber sprechen, was das eigentlich ist?

Die Vision einer Una Sancta

J.R.: Jan van Rijckenborgh legte in einem Werk aus dem Jahre 1955 seine Zukunftsvision dar. Es war die Vision einer Una Sancta, einer heiligen Einheit.

Er sagte, die Welt werde in eine Zeitphase eintreten, in der sehr viel von dem, was jetzt noch unbewusst im Kollektiv der Menschheit lebt, in das individuelle Wahrnehmen treten werde.

Ich hatte einmal einen wichtigen Besuch aus New York und wurde auch bei dieser Gelegenheit nach der Aufgabe meiner Bibliothek gefragt. Ich sagte: Meine Bibliothek ist ein Spiegel von tausenden von Wahrnehmungen von Leuten, die vor uns gelebt haben, ein Spiegel der Wahrnehmung und der Neugier. Und wir können ganz sicher sein, dass all dies, was sich darin abbildet, in einem bestimmten Moment – ganz ähnlich, wie es mir das Symbol auf dem Buch von Jakob Böhme zeigte – alle Menschen auf der Erde miteinander verbinden wird. Ich sehe es so, dass die Wahrheit in sich selbst steht, dass aber wir Zeugen von ihr werden können. Alle spirituellen Wahrnehmungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, können wie die Strahlen eines Prismas erkennbar werden, die aus einer gemeinsamen Quelle stammen. Hiervon soll meine Bibliothek Zeugnis ablegen. Sie soll den Menschen die Botschaft bringen, dass eine Kraft, die sich unbegrenzt vervielfältigen kann, in der Menschheit ruht.

Jan van Rijckenborgh sagte einmal: Es gibt sieben Gemeinschaften auf der Welt, die die sieben Urströme des Geistes repräsentieren. Sie haben ihre Wurzeln in den verschiedenen Kulturen und Religionen. Und eines Tages werden sie zusammenkommen. Das ist für mich die Glorie der Una Sancta. Ich bin froh, dass ich diese Botschaft im Herzen von Amsterdam verankern konnte. Das Forschungsinstitut meiner Bibliothek besteht schon seit 35 Jahren. Von den dort gemachten Forschungen haben Hunderttausende einen Nutzen gehabt. Der Kern der Botschaft besteht darin: Der Mensch hat bei seiner Geburt ein Geschenk bekommen, das Leben. Es verbindet ihn mit dem Leben der Natur. Von der Art, von der Tiefe und der Zukunft dieser Verbindung soll die Embassy of the free Mind zeugen.

G.F.: Ich besitze einige Bücher, die von Eurem Forschungsinstitut herausgegeben wurden. Es sind Werke über den Weg der Hermetik und Gnosis in der abendländischen Tradition, über die Alchemie, die Rosenkreuzer, Werke über die Renaissance, über Jakob Böhme und Gustav Meyrink. Darin liegen viele Samen, die noch aufgehen können. Du hast Spiritualität mit einem sehr praxisnahen Leben verbunden. Aus meiner Sicht ist es für die Zukunft von größter Bedeutung, das Wirtschaftsleben und auch das Wissenschaftsleben mit Werten zu vereinen, die aus der Spiritualität kommen. Und ferner, die unterschiedlichen spirituellen Bewegungen in einen Dialog miteinander zu bringen.

Im Jahr 2009 habe ich miterlebt, wie Du sieben spirituelle Bewegungen im Rosenkreuzer-Konferenzzentrum Renova in den Niederlanden zusammengebracht hast. Das hängt vermutlich mit der Vision zusammen, die Du durch Jan van Rijckenborgh bekommen hast. Es waren drei Rosenkreuzerbewegungen – AMORC, das Lectorium Rosicrucianum und die Rosicrucian Fellowship – die Anthroposophen, die Theosophen, die Freimauerer, die Sufis. Wichtige Repräsentanten dieser Bewegungen trafen sich zu einer gemeinsamen Veranstaltung.

Der Ruf des Weltenherzens

J.R.: Ja, ich saß in meiner Bibliothek und habe eigentlich nur etwa eine gute halbe Stunde gebraucht, um die leitenden Personen anzurufen und sie zu dem Symposium Der Ruf des Weltenherzens einzuladen. „Treffen wir uns in Renova“, habe ich zu ihnen gesagt, „damit jeder von uns aus seinem Herzen und seinem Haupt über den Ruf des Weltenherzens spricht“. Alle haben spontan „ja“ gesagt. Und wir trafen uns dann zunächst im Tempel, der zum Konferenzzentrum Renova gehört. Darin befindet sich ein Brunnen. Wir haben uns im Kreis um den Brunnen gesetzt und ein Freund, Lex van den Brul, hat auf dem Piano gespielt. Es war eine tiefe Stille und eine herrliche Musik. Wir haben einander die Hand gegeben im Zeichen des Rufes des Weltenherzens. An dem Symposium nahmen  880 Besucher teil und hörten die sieben Vorträge an.

Im September 2001 gab es in Südfrankreich eine große internationale Konferenz unserer Geistesschule. Aus 40 Ländern kamen ca. 2500 Personen in Ussat-les-Bains im Tal der Ariège zusammen und auch beim Montségur. Das war 77 Jahre, nachdem die Brüder Leene 1924 den Impuls empfangen hatten, eine Rosenkreuzer-Bewegung ins Leben zu rufen. Jan Leene, der in den Fünfziger Jahren den Namen Jan van Rijckenborgh annahm, sagte 1954 voraus, dass im September 2001 ein geistiger Durchbruch stattfinden werde. Wir erlebten dann, wie die Türme des World Trade Centers zusammenbrachen. Vielleicht war dies ein Zeichen und Symbol dafür, dass in diesem Jahrhundert etwas ganz Neues entstehen wird.

Ich möchte einmal weiter zurückschauen in die Vergangenheit. 1244 starben die führenden Katharer auf den Scheiterhaufen am Montségur. Im nächsten Jahr (2021) wird dies 777 Jahre her sein. Wir können dann erneut des geistigen Erbes gedenken, das sie uns hinterlassen haben. Ich sehe es als eine Substanz, die uns zur Verfügung steht, eine Kraft, die uns zu weiterer Entwicklung befähigt.  Und wir können erneut an Antonine Gadal erinnern, den Bewahrer des Katharererbes.

Wir benötigen den freien, vorurteilslosen Geist

Für mich ist die Welt aufgebrochen. Ich kann es auch an der Entwicklung meiner Bibliothek erleben. Sechzig Jahre nach ihrer Gründung ist es möglich geworden, dass wir mit vielen Bibliotheken und Universitäten und tausenden von Personen aus verschiedensten Ländern zusammenarbeiten. Ihr Symbol ist das Pentagramm, das heißt der Mensch, der sich seines Wesens und seines Auftrags bewusst geworden ist. Als ich 16 war, trat mir vor Augen, warum ich hier auf der Erde bin, und so kann jedem Menschen sein Auftrag deutlich werden. Wir haben die Aufgabe, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, auf der Grundlage einer Una Sancta. Der Schlüssel, sie zu finden, sind Respekt und Liebe füreinander, weltweit.

Wir benötigen den freien, vorurteilslosen Geist („the free mind“), durch den wir, wie Johann Amos Comenius sagte „allen alles auf allseitige Weise lehren“.

G.F.: Ganz herzlichen Dank, Joost, für dieses Gespräch.  

 

Anmerkung: Die Bibliotheca Philosophica Hermetica, die Joost Ritman gründete, gliedert sich in Abteilungen über die Hermetik, das Rosenkreuzertum, die Alchemie, die Mystik, die Gnosis, die westliche Esoterik und allgemeine religiöse Studien. Besondere Sammlungen betreffen das Sufitum, die Kabbala, die Anthroposophie, die Freimaurerei und den Gral.

Sie veranstaltet Ausstellungen und Führungen.

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Datum: Oktober 14, 2020
Autor: Gunter Friedrich (Germany)

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