Die Reise zum göttlichen Geliebten

Interview mit dem Sufi-Meister Hamdi Alkonavi, Berlin über Wissen und Nicht-Wissen (für LOGON: Angela Paap)

Die Reise zum göttlichen Geliebten

A.P.: Welche Rolle spielt für Sie (vermittelbares) Wissen auf einem spirituellen Weg? Was sollte man wissen?

H:A.: Es gibt nur zwei Wesen im ganzen Universum: den Liebenden und den Geliebten. „Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden“ (Ausspruch des Propheten Mohammed). Dieser Ausspruch besagt, dass die ganze Schöpfung nur zu dem Zweck erschaffen wurde, dass sich der Erkennende (Gott / Allah) im Erkannten (der Schöpfung) selber erkennt. Daher sehnt sich die ganze Schöpfung danach, sich mit dem Schöpfer zu vereinigen, denn nur in ihm vermag sie sich zu erkennen. Gotteserkenntnis führt zur Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten.

Die Trennung vom Schöpfer war notwendig, damit der Prozess des Erkennens überhaupt möglich wurde. Die Reise zum göttlichen Geliebten beginnt, wenn wir ganz im Augenblick, im Hier und Jetzt, erwachen.

Die Reise des allmählichen Erwachens führt in die göttliche Gegenwart.

In ihr erkennen wir, dass wir in jeden Augenblick des Erwachens mit Gott, unserem Schöpfer, verbunden sind. Dieses Erkennen kann nur in der göttlichen Gegenwart geschehen. Die Bewusstseinsreise in die göttliche Gegenwart beginnt mit der bewussten Absicht, mit nichts anderem außer dem göttlichen Geliebten selbst zufrieden zu sein. Die Suche nach dem göttlichen Geliebten führt zur Vereinigung mit dem göttlichen Urgrund des Menschen. Erst in der Vereinigung mit Gott / Allah kann die Trennung vom göttlichen Urgrund aufgehoben werden.

Die vollkommene Glückseligkeit erlangt der Mensch, wenn er auf dem Urgrund allen Seins sich selbst, seine Gottheit in sich selbst, gefunden hat.

A.P.: Was kann man überhaupt wissen? – Was ist inneres Wissen, und bis wohin reicht es? Ist es möglich, dass Nichtwissen eine wichtige Rolle spielen kann?

H.A.: Der Zustand der Einheit kann nur durch die Trunkenheit des Herzens erlangt werden.

Die Trunkenheit durch den Wein der Liebe führt zur vollkommenen Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten.

Im Koran steht das heilige Wort „La Ilahe Ilallah“. Das bedeutet: nichts ist, keine Wirklichkeit außer Gott. Nur der vom Wein der Gottesliebe Berauschte kann die Schönheit und den Sinn dieser Worte wirklich begreifen. Alle heiligen Schriften bezeugen die vollkommene Einheit Gottes mit seiner gesamten Schöpfung. Das Geheimnis der Einheit allen Seins kann nur im Zustand der vollkommenen Trunkenheit erlangt werden. Der von Liebe Berauschte kann den göttlichen Geliebten in der Trunkenheit seines eigenen Herzens erfahren.

Im Ausgelöscht-Sein durch die vollkommene Trunkenheit kann die Verneinung aller geschaffenen Dinge erfolgen. Durch die Trunkenheit vom Wein der Gottesliebe erreicht der Sufi den Zustand von „Fana“, des Ausgelöscht-Seins. Nachdem der Sufi die Gottesschau und die Öffnung des Auges des Herzens durch die Trunkenheit vom Wein der Liebe erlangt hat, trifft ihn wie ein Blitz die absolute Nüchternheit und Klarheit, der Vision der Gottesschau, die zur Bejahung aller geschaffenen Dinge führt.

Diese wahre Nüchternheit ist die größte Ekstase des Berauscht–Seins, in der der Sufi die Schönheit Gottes im eigenen Herzen erkennt. 

Erst durch den Zustand des Ausgelöscht-Seins und der Trunkenheit vom Wein der Gottesliebe kann das „subjektive Ich“, die Ich-Persönlichtkeit (Ego), die animalische Triebseele, überwunden werden. Nur im Zustand der höchsten Ekstase und Trunkenheit kann das göttliche höhere Selbst, der göttliche Funke in der fünften Herzkammer, erkannt werden. Wirkliches Wissen ist die Erkenntnis durch Liebe. Für die Sufis ist der eigene Körper ein Kreuz aus Licht, eine Landkarte des Bewusstseins.

A.P.: Was ist Ihr wichtigster Leitstern? Wie erleben Sie den transformativen Aspekt des Weges?

H.A.: Um erwachen zu können, soll der Mensch sich von der sinnlichen Welt des Körpers, mit seiner animalischen Triebseele und der Anhaftung an diese, lösen. Es ist ein Sich-Erheben aus sich selbst heraus. Der Mensch soll aufstehen lernen, um auf den göttlichen Urgrund seines Herzens zu gelangen (siehe dazu Meister Eckharts Werk von der Leere und der Fülle).

Wirkliches Wissen ist die Erkenntnis des Gottesfunkens im Herzen des Menschen.

Die Sufis glauben, dass Jesus Christus nicht am Holzkreuz den Kreuzestod gestorben ist, sondern am Kreuz aus Licht, an der Essenz, dem Licht Gottes. An diesem Kreuz aus Licht ist die animalische Triebseele Jesu gestorben und der Christus ist auferstanden im „Sterben vor dem Sterben“. Öffnet sich die fünfte Herzkammer, so geht der göttliche Same, der göttliche Funke auf und keimt zur Rose der Liebe, zum brennenden Herzen Jesu. Die Rose entfaltet ihre Blütenblätter und verströmt einen wunderbaren Duft der Ewigkeit Gottes. Jetzt erst offenbart sich das verborgene schwarze Licht Gottes und enthüllt das Geheimnis der Liebe im Rosengarten des Herzens. Die Rose erblüht, da sie von reiner Gottesliebe entflammt ist. Durch das Entwerden in Gott, Fana, gelangt der Sufi zum schwarzen Licht, das in der Finsternis des Herzens leuchtet und das Wesen Gottes offenbart. Die Farbe von Jesus ist bei den Sufis ein leuchtendes Schwarz. Er gilt bei den Sufis als Prophet der geistigen Armut. Denn er sagt von sich in der Bergpredigt: „Selig sind die geistig Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Das völlige Ausgelöscht-Sein der animalischen Triebseele von all ihren Begierden beschreibt den Prozess vom Kreuzestod Jesu.

Durch den Liebestod am Kreuz gelangen wir auf den Weg zur geistigen Armut, und das schwarze Licht enthüllt das geheime Wesen Gottes, das sich im brennenden Herzen Jesu offenbart. Das Erkennen der leuchtend-schwarzen Farbe in der fünften Herzkammer führt zur Errettung vom Kreuzestod. Durch das völlige Ausgelöscht-Sein auf dem Weg der Armut erlangt der Sufi die smaragdene Vision des Herzens. Die Inspiration des Heiligen Geistes füllt den Kelch des Herzens mit dem schwarzen Licht der Gotteserkenntnis. Das Wesen Gottes bleibt immer verborgen und ist deswegen das leuchtend-schwarze Licht, für das das Christus-Bewusstsein steht. In einem von leidenschaftlicher Gottesliebe brennenden Herzen kann der Heilige Geist empfangen werden. Dies führt zur völligen Armut und zum Ausgelöscht-Sein in der Gegenwart des göttlichen Geliebten. Wenn der Suchende den Weg der Armut, den Weg von Jesus Christus geht, gelangt er in seine wirkliche Heimat, in das Lichtreich Gottes.

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Datum: Februar 10, 2020
Autor: Angela Paap (Germany)

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