Der Glanz des Goldes

Der französische Philosoph Gilles Deleuze bezeichnete die menschliche Tendenz zum Streben aus der Begrenztheit des Gegenwärtigen hinaus als den unausweichlichen ‚Wunsch zu wünschen’. Dem Glanz des Goldes, der Schatzsuche kann man sich nicht entziehen. Wohl aber ist zu entscheiden, ob sie sich auf irdische Schätze richtet oder auf ‚Schätze im Himmel‘ (Mt. 6, 20).

Der Glanz des Goldes

Nach einer Studie im Auftrag der Reisebank AG vom Frühjahr 2021 besitzen fast 29 Millionen Erwachsene in Deutschland Gold in Form von Münzen oder Barren und zwar im Durchschnitt 75 Gramm1. Dieser Trend habe in den Pandemiemonaten noch einmal zusätzlichen Schub bekommen, insbesondere auch in der „Generation Z“, also den Geburtsjahrgängen um die Jahrtausendwende.

Der römische Dichter Vergil spricht in seiner Aeneis von ‚auri sacra fames‘. Man kann das übersetzen mit ‚Heiliger Hunger nach Gold‘, aber auch mit ‚Verfluchter Hunger nach Gold‘. Was hat es denn auf sich mit dieser zwiespältigen Faszination, die das Geld, insbesondere in seiner Verkörperung als Gold, auf viele Menschen ausübt?

Das Geld und der Zauber der Allmacht

Die Ökonomen schreiben dem Geld im Wirtschaftsleben meistens die drei Funktionen als Tauschmittel, als Wertspeicher und als Wertmaßstab zu. Während alle Waren mit der Zeit verderben, bleibt Geld auch nach langer Aufbewahrung noch frisch und gewährleistet unverändert den Zugriff auf die Güterwelt. Es destilliert aus der unübersehbaren Vielfalt der Waren deren abstraktes Gemeinsames heraus. Dieser `Wertkern‘ kann festgehalten, angesammelt, aber auch wieder in nützliche Güter umgesetzt werden. Dadurch verschafft der Besitz von Geld die Option, sich jede beliebige konkrete Ware zu einem frei wählbaren Zeitpunkt anzueignen.

Geld verleiht die Macht, Wünsche zu erfüllen. Alle materiellen, aber auch weit darüber hinaus. Sogar die Chance auf viele der unkäuflichen Dinge des Lebens erhöht sich für den, der Geld besitzt. Der Volksmund weiß das, wenn er sagt: Geld macht vielleicht nicht glücklich, aber man kann davon doch wenigstens eine Yacht kaufen, um ins Glück zu segeln.

Menschen kommen im Gegensatz zu den meisten Tieren als physiologische Frühgeburten zur Welt. Sie sind noch etliche Jahre nach der Geburt auf ein stützendes Ambiente angewiesen. Sie erfahren, manche mehr, andere weniger, manche früher, andere später, den Schmerz des Mangels, der unzureichenden Antwort der Umwelt auf ihre Bedürfnisse. Aufgespartes Geld lockt psychologisch mit dem Versprechen, vor der Wiederholung solcher Erfahrungen künftig bewahrt zu bleiben. Es bietet die Chance, um sich herum eine Art Schutzmauer gegenüber den materiellen Bedrohungen zu errichten, unter deren Herrschaft man leben muss.

Tiefer noch greift der Hinweis auf die existenzielle Verletzlichkeit des Menschen. Wo immer er steht und geht, wie hell ihm seine Sterne im Augenblick leuchten mögen, er hat doch die Vergänglichkeit seiner kleinen Welt, ja seiner selbst im Nacken. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus in seinen Abschiedsreden (Joh. 16, 33). Im Strom des Lebens treibend, scheint dem Menschen mit dem Geld ein Rettungsring zugeworfen zu werden. Der Zauber der Allmacht, ein Hauch von Ewigkeit: „Das Vermögen des Reichen ist seine feste Stadt und wie eine hochragende Mauer – in seiner Einbildung.“ (Spr. 18, 11)

Gold in der Bibel

Die christliche Tradition benutzt Bilder von Geld und Gold aber keineswegs nur mit diesem warnenden Unterton. 

Gold taucht in der Bibel oft als Symbol von Göttlichkeit und der Treue gegenüber dem zugehörigen inneren Sehnen auf, das weit über irdischen Reichtum hinausgeht. Als Mose beispielsweise im Buch Exodus (25. Kapitel) die detaillierten Anweisungen zur Herstellung der Bundeslade erhält, welche dem erwählten Volk Gottes Gegenwart gewährleistet, spielt Gold als Material eine wichtige Rolle. Nicht anders verhält es sich rund 500 Jahre später, als unter Salomo in Jerusalem der erste jüdische Tempel erbaut wird (1. Kön. 6 u. 7). Nicht nur den Altar, die aus Holz gefertigten geflügelten Cherubime, sondern auch Wände, Fußböden und Türflügel lässt Salomo großzügig mit Gold überziehen. Die Weisen aus dem Morgenland bringen, noch einmal fast 1000 Jahre später, neben Weihrauch und Myrrhe auch Gold nach Bethlehem, um Jesus zu huldigen (Mt. 2, 11). Für das Ende der Zeiten schließlich wird das aus dem Himmel herniedersinkende neue Jerusalem im 21. Kapitel der Offenbarung als eine Stadt beschrieben, die zu guten Teilen aus Gold besteht.

Die Spannung zwischen diesem erleuchtenden Aspekt einerseits und der Blendkraft andererseits, die der Glanz des Goldes ausstrahlen kann, ist auch in einer Episode der Apostelgeschichte gegenwärtig. Die Handlung spielt an einem Nachmittag in Jerusalem, nicht lange nach der Passion, der Auferstehung und dem ersten Pfingstfest, also in der Zeit, in der sich die christliche Urgemeinde zusammenfindet. An einem Eingangstor des Tempels, das traditionell als die ‚Schöne Pforte‘ bezeichnet wird, sitzt ein behinderter Mensch, der seit seiner Geburt gelähmt ist und sich jeden Morgen dort hintragen lässt, um zu betteln. Die beiden Apostel Petrus und Johannes wollen den Tempel zum Nachmittagsgebet aufsuchen. Der Gelähmte bittet sie um ein Almosen. Petrus blickt ihn lange aufmerksam an und antwortet ihm: „Silber habe ich nicht, und Gold habe ich nicht; doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen von Jesus Christus aus Nazareth – steh auf und geh umher!“ (Apg. 3, 6). Im selben Augenblick kommt Kraft in die Füße des Gelähmten. Petrus reicht ihm die Hand und richtet ihn auf. 

Petrus gibt dem Gelähmten, der an die Wichtigkeit des Geldes glaubt, also kein physisches Gold, das nur der Aufrechterhaltung von etwas Unvollkommenem dienen würde. Er hilft ihm nicht dabei, sich etwas komfortabler einzurichten und sich gegen die Widrigkeiten seines prekären Lebens etwas besser abzuschirmen. Er weist ihn aber in seinem Begehren auch nicht zurück, denn was bleibt dem Gelähmten anderes übrig, als Verbesserung zu wünschen? Petrus lässt nur nicht zu, dass der Gelähmte sich weiter mit dem Grundübel seiner Existenz abfindet. Er stimuliert eine tiefere Sehnsucht und führt damit über Gierreflexe und Bestehensängste hinaus. Er hilft dem Gelähmten, sich auf das zu konzentrieren, was er tatsächlich will, statt auf das, von dem er glaubt, dass er es braucht.

„Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ (Mt. 6, 21)

Mit dem Geld kann ein Mensch seine Reichweite bis an den Rand der Welt mit all ihren Angeboten ausdehnen. Genießt er diese irdischen Früchte, ohne sich an deren Vergänglichkeit zu ketten, dann kann er durchaus gleichzeitig trotzdem seinem wahren Reichtum treu bleiben und in seiner Fülle leben. Die Faszination von Geld und Gold knüpft an der Intuition des Menschen für das an, was über ihn hinausweist in die Sphäre des Vollkommenen, aber sie erreicht ihn im Zustand seines Mangels und seiner Abgetrenntheit. Die stimulierte Sehnsucht verirrt sich, wenn sie sich der Sicherung dieses defizitären, gefallenen menschlichen Zustandes unterwirft.

Andererseits kann aus der Erfahrung der eigenen Glanzlosigkeit im Vergleich zum goldenen Glanz der Transzendenz auch die unbedingte Motivation erwachsen, ihn im eigenen Leben aufschimmern zu lassen. Diese innere Ausrichtung wird sich dann nebenbei auch in dem Bestreben zeigen, den rechten Umgang mit dem irdischen Gold zu erlernen.

Der französische Philosoph Gilles Deleuze bezeichnete die menschliche Tendenz zum Streben aus der Begrenztheit des Gegenwärtigen hinaus als den unausweichlichen ‚Wunsch zu wünschen’. Dem Glanz des Goldes, der Schatzsuche kann man sich nicht entziehen. Wohl aber ist zu entscheiden, ob sie sich auf irdische Schätze richtet oder auf ‚Schätze im Himmel‘ (Mt. 6, 20). 

 

1 Reisebank AG: Presseportal. URL [21.05.2021]: https://www.presseportal.de/pm/116526/4904648

 

 

 

 

 

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Datum: April 14, 2022
Autor: Matthias Krause (Germany)

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