Die Seele könnte nicht das Schöne sehen, wenn sie nicht auch schön geworden wäre. Wenn jemand Gott schauen will, muss er Gott ähnlich geworden sein, das bedeutet heilig und gerecht auf Grund von Einsicht und Weisheit.
Die Schönheit, die Gerechtigkeit und die Tugend werden von dem Einen erzeugt, und die Seele kann davon schwanger werden, wenn sie von Gott befruchtet wird. Das Eine macht die, welche es lieben, schön und liebenswert.
Damit das stattfinden kann: Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an. Und wenn du siehst, dass du noch nicht schön bist, so tu wie der Bildhauer, der von einer Skulptur, welche schön werden soll, hier etwas fortmeißelt, hier etwas ebnet, dies glättet und klärt, bis er das schöne Antlitz an der Skulptur vollbracht hat. So meißle auch du fort, was unnütz ist und richte, was krumm ist. Säubere das Dunkle und mach es hell, und lass nicht ab, bis dir der göttliche Glanz der Tugend hervorstrahlt.
Er zeigt dir den Weg zu Gott.
Plotin – Resonanz zu Text 7 „Innere Arbeit“
Mein ganzes Leben lang hat mich die Frage begleitet:
Was soll das Ganze?
Das Weltenspektakel. Die Gewalt, der Kampf, der nicht aufhört. Die Proteste, die Gemeinheiten. Aber auch das Getue, das sich als gut gebärdet. Auch das, was sich so lieb und freundlich verhält, kann mir auf die Nerven gehen. Ich spüre, dass da im Hintergrund oft ganz andere Kräfte wirken. Unser Leben ist meist nicht stimmig, wir sind nicht echt, nicht echt bis ins Innerste unseres Wesens hinein. Ich spüre, wie sehr wir überlagert und manipuliert werden von Einflüssen. Wir sind nicht völlig bei uns, sind nicht einfach wir selbst.
Und das bedeutet, dass wir uns selbst nicht wirklich kennen und dass wir uns auch gegenseitig fremd sind. Ich kann es manchmal mit Händen greifen. Wir treten uns gegenüber und begrüßen uns vielleicht freundlich. Doch parallel dazu ist da etwas, das den anderen abschätzt und ihn nicht vollständig achtet und anerkennt. Da ist Verachtung in uns. Warum? Wo kommt sie her? Wir sind noch nicht richtig zu uns selbst gelangt. Wir werden überlagert, fremdbestimmt, ohne es zu merken.
Fremdheit, Heimatlosigkeit, das sind Gefühle, die mich mein Leben lang begleitet haben. Ich bin nicht am rechten Ort, auch wenn es mir im Äußeren gut geht. Ich habe gesucht. Ich habe mich nicht dafür entschieden zu suchen. Nein, mein Inneres hat mich in Bewegung gesetzt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu suchen. Aber wonach?
Plotin spricht von der Tugend. Menschen, die ein tugendhaftes Gesicht herumtragen, flößen mir oft eine Gänsehaut ein. Bei Plotin geht es aber um etwas anderes. Es geht darum, innere Augen zu bekommen, Augen zum Ewigen hin. Tugend ist das, was die Verwandlung ermöglicht. Das kann schmerzhaft sein, widersprüchlich, nicht erklärbar. Wenn es gut geht, folge ich der Empfindung, der Stimme aus meinem Innersten.
In mir ist ein Bildhauer. Ich bin es selbst, in meinem noch nicht entfalteten Bereich. Ihm stehe ich innerlich gegenüber.
Dieser Andere in mir drängt mich dazu, mein Leben zu nutzen, so zu nutzen, dass er, der Bildhauer, in mir arbeiten kann. Das bedeutet, ich soll das, was mir im Leben begegnet, akzeptieren. Das, was in mich eintritt, aufnehmen – und verwandeln. Auch die Konflikte. Sie sind das Material, das mir gegeben wird. Das ist schmerzhaft. Vorwürfe, zerbrechende Beziehungen, Treulosigkeiten, Unwahrhaftigkeiten. Das und noch so viel anderes wirkt in mich hinein. Wenn ich es annehme und verwandle, dann ertönen in mir die Schläge des Bildhauers.
Und irgendwann kann ich befreiend lachen, befreiend aufatmen. Etwas ist weg, abgehauen. Ich habe oft den Nacken eingezogen, habe mich innerlich verkrochen. Und dann, später, weiß ich: Jetzt kann ich gefunden werden von dem Teil in mir, der ins Ewige reicht. Ich bin einfacher geworden, unvermischter mit anderem, der Bildhauer in mir, der Unsterbliche, hat mich zu einem besseren Abbild von sich gemacht. Die Schau öffnet sich. Fremdheit beginnt sich aufzulösen. Auch das Getue, und die vielen Selbstinszenierungen.
Mitgefühl kommt immer öfter, Empathie. Und jetzt zeigt sich. Ich kann viel besser anderes mittragen. Plötzlich bereichert es mich. Licht bricht hervor. Licht hat eine ungeheure Tragkraft. Immer öfter sehe ich die Welt mit neuen Augen. Ich bin am rechten Ort. Ich bin immer am rechten Ort, in mir, aber auch im Äußeren. Ich lasse mich vom Leben führen. Ich erlebe die Gemeinschaft, der ich angehöre, das innere Ringen meiner Gefährten, ganz neu. Und auch die ungeheure Aufgabe einer Seelengemeinschaft in unserer Welt.