Hölderlin-Projekt Vertiefung und Verwandlung

Die 12 Impulse der Friedensfeier - 5 Ein behutsamer Umgang

Hölderlin-Projekt Vertiefung und Verwandlung

 

 

 

Friedensfeier

(5)

Denn schonend rührt des Maßes allzeit kundig
Nur einen Augenblick die Wohnungen der Menschen
Ein Gott an, unversehn, und keiner weiß es, wenn?
Auch darf alsdann das Freche drüber gehn,
Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde
Von Enden fern, übt rauhbetastend den Wahn,
Und trifft daran ein Schicksal, aber Dank,
Nie folgt der gleich hernach dem gottgegebnen Geschenke;
Tiefprüfend ist es zu fassen.
Auch wär uns, sparte der Gebende nicht,
Schon längst vom Segen des Herds
Uns Gipfel und Boden entzündet.

 

5 Ein behutsamer Umgang

Ich stecke in Wirbeln. Die Impulse der Friedensfeier haben Widerstand in mir erzeugt. Und was sagt der Dichter? Die göttlichen Kräfte wissen, dass es so kommen muss. Die Spannungen, die auftreten, ich muss sie durchleben. Dadurch wird die Verwandlung überhaupt erst möglich.

Etwas in mir zwingt mich, Dinge zu tun, bei denen ich genau weiß, dass sie mit dem Göttlichen überhaupt nichts zu tun haben. Ich merke, dass sich jetzt noch mehr von dem zeigt, was in mir steckt. Ich lerne mich noch mehr kennen. Es ist nicht so schmeichelhaft. Fast alles, was es in der Welt gibt, steckt auch in mir. Das Licht zeigt mir das. Ich bin überhaupt nichts Besonderes.

Ein bisschen bin ich dankbar für die Art, wie diese Friedensfeier so ganz langsam entsteht.

Denn schonend rührt des Maßes allzeit kundig
Nur einen Augenblick die Wohnungen der Menschen
Ein Gott an, unversehn, und keiner weiß es, wenn?
Auch darf alsdann das Freche drüber gehn,
Und kommen muss zum heilgen Ort das Wilde
Von Enden fern, übt rauhbetastend den Wahn,
Und trifft daran ein Schicksal …

Ich glaube, das „Freche“ ist, wenn ich mich brüste mit irgendetwas Besonderem, was ich getan habe. Ich merke dann gar nicht, woher der Impuls dazu gekommen ist. Und das „Wilde“, das kenne ich auch gut. Das Stolze, das Trotzige in mir, das sich ausleben will.

Der Dichter prophezeit, dass ich die Möglichkeit bekomme, alles, auch den Lichtimpuls, „tiefprüfend“ zu erfassen. Hoffentlich hat er recht.

Ich finde es unglaublich, wie er dies ausdrückt: „Der Gebende“ „spart“ mit dem „Segen des Herds“. Ja, gut, dass es so ist.

Mir kommt ein Gedanke: Vielleicht werde ich erst richtig ein freier Mensch, wenn ich mich wirklich kennengelernt habe.

 


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Date: April 14, 2020
Author: Gunter Friedrich (Germany)
Photo: Pastell von Franz Karl Hiemer (Wikipedia)

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