Friedensfeier
(12)
Wie die Löwin, hast du geklagt,
O Mutter, da du sie,
Natur, die Kinder verloren.
Denn es stahl sie, Allzuliebende, dir
Dein Feind, da du ihn fast
Wie die eigenen Söhne genommen,
Und Satyren die Götter gesellt hast.
So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es haßt dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du dies;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis daß es reift, furchtsamgeschäftiges drunten.
12 Die Mutter
Wie die Löwin, hast du geklagt,
O Mutter, da du sie,
Natur, die Kinder verloren.
…
So hast du manches gebaut,
Und manches begraben,
Denn es haßt dich, was
Du, vor der Zeit
Allkräftige, zum Lichte gezogen.
Nun kennest, nun lässest du dies;
Denn gerne fühllos ruht,
Bis daß es reift, furchtsamgeschäftiges drunten.
Wie viele ihrer Geschöpfe hat die Natur auf den langen Wegen der Entwicklung schon verloren? Der Dichter nennt sie die „Allzuliebende“, die Mutter. In ihr wirken göttliche Kräfte. Alles, was vom Geist gerufen ist, entwickelt sich in ihr, wird von ihr gehegt und umsorgt.
Und eines Tages wird es ihrem Schoß entrissen und entfaltet sich weiter in seelischen Welten, auch in einer Natur, aber von anderer Art.
Das Lebendige reift. Das ist eine Reaktion auf den Ruf des Göttlichen. Ein dem Göttlichen Entgegen-Wachsen. Die letzte Frucht aber ist golden.
Diejenigen, die noch ganz im Mutterschoß sind, nennt der Dichter „Satyren“, Mischwesen.
Und die, die den Ruf des Göttlichen vernehmen und ihm folgen, werden oft zum „Feind“ derer, die noch langsam reifen. Und die nicht forciert werden dürfen. Aber das geschieht. Dann verkehrt sich das Gute in sein Gegenteil. Die Forcierten wenden ihre Kräfte gegeneinander und gegen die Natur.
Jeder wird den Ruf vernehmen, jeder aber zu seiner Zeit. Und bis dahin bleibt er gern dem Göttlichen gegenüber gefühllos.
Hölderlin. Ein Hymnus, gültig für alle Zeiten.