Star Trek: Die Sehnsucht nach dem Anderen – Teil 4

Das sogenannte Innermenschliche hat kosmische Dimensionen, die im Leben jedes Einzelnen eine Rolle spielen. Die auftretenden Kräfte und Prinzipien gehören zu einem gewaltigen Spektrum, das auf den Menschen einwirkt, von ihm erkannt und in ihm verwirklicht werden will. Deshalb die vielen Kämpfe, die wir zu durchleben haben, wobei alles Äußere nur ein Spiegel unseres Innern ist.

Star Trek: Die Sehnsucht nach dem Anderen – Teil 4

Etappen der Vollendung

Die Abenteuer im Star Trek-Universum lassen sich als Begegnungen des menschlichen Bewusstseins mit den zahllosen Kräften und Eigenschaften verstehen, die in den seelischen Strukturen des Menschen angelegt sind. Die Milchstraße mit all ihren Bewohnern ist ein Abbild des unermesslichen kosmischen „Innenraums“, an dem jeder Mensch als ein „Mikrokosmos“ Anteil hat. Tief im Unbewussten leben darin kollektiv und individuell uralte Vergangenheiten fort, Aspekte und Charakteristika, die als fantastische, oft fremdartige und doch seltsam vertraute Wesen dargestellt werden können. Das sogenannte Innermenschliche hat also kosmische Dimensionen, die im Leben jedes Einzelnen eine Rolle spielen. Die auftretenden Kräfte und Prinzipien sind nicht nur bloße Energien, sondern werden belebt und durchstrahlt von Inhalten seelischer Art. Sie gehören zu einem gewaltigen Spektrum, das auf den Menschen einwirkt, von ihm erkannt und in ihm verwirklicht werden will. Deshalb die vielen Kämpfe, die wir zu durchleben haben, wobei alles Äußere nur ein Spiegel unseres Innern ist. Und das Ergebnis: Ein Bewusstsein soll entstehen, wie wir es uns nicht träumen lassen – wenn alles einmal integriert ist in einer Einheit namens „Mensch“.

In Star Trek ist die Milchstraße in vier Quadranten aufgeteilt: Die Gebiete der bekannten Rassen liegen im Alpha- und Beta-Quadranten, das Territorium der Borg befindet sich zehntausende Lichtjahre entfernt auf der anderen Seite im Delta-Quadranten. Q/„Mephisto“ schleudert die Enterprise dorthin, um Capt. Picard zu beweisen, dass die Besatzung der Enterprise (das Bewusstsein) auf das, was sie in der Milchstraße (den noch unerforschten Weiten des Mikrokosmos) erwartet, nicht vorbereitet ist.

Begegnung mit dem Widersacher im Delta-Quadranten

Wie gesagt, deuten wir die Borg als größenwahnsinnige, verblendete Imitation des Göttlichen mit irdischen Mitteln. Borgschiffe haben die Form riesiger Würfel. In dieser Form sehen wir eine Bewusstseinsstruktur, die sich auf der materiellen Ebene vervollkommnet hat, aber nicht ins Göttlich-Geistige weitergehen will und kann. Der Würfel stellt eine physikalisch sehr problematische Bauform dar, die von keiner anderen Rasse verwendet wird. Das demonstriert die technologische Überlegenheit der Borg ebenso nachdrücklich, wie es die kalte Arroganz unterstreicht, mit der die Borg sich über andere raumfahrende Rassen erheben. Beim ersten Kontakt mit den Borg erweist sich die Enterprise als hoffnungslos unterlegen. Die Flucht gelingt nur, weil Capt. Picard seine Selbstüberschätzung zugibt und Q bittet, die Enterprise in den heimischen Alpha-Quadranten zurückzubefördern. Doch die Borg wissen nun von der Existenz der Menschheit und werden nicht ruhen, bis sie sie assimiliert haben oder selbst vernichtet sind.

Aufgrund der riesigen Entfernungen dauert es Jahre, bis eine Borgflotte auf dem Gebiet der Föderation auftaucht (mit Föderationstechnologie würde es Jahrzehnte dauern). Die Borg nehmen Kurs auf die Erde und hinterlassen eine Schneise völliger Zerstörung. Die Sternenflotte der Föderation versucht, die Borg aufzuhalten – und wird, teils wegen der Ignoranz des Oberkommandos, fast vollständig aufgerieben.

Auf dem Höhepunkt der Schlacht wird Capt. Picard (Ego und Wille, das Kernbewusstsein der Persönlichkeit) entführt und assimiliert. Nun wissen die Borg alles über die Föderation, was er weiß. Sie machen ihn zu ihrem Sprecher, schaffen es aber nicht, sein Individualbewusstsein vollständig auszulöschen. Es besitzt Dimensionen, die den Borg verschlossen sind. Schließlich gelingt eine dramatische Rettungsaktion. Obwohl sich Capt. Picard äußerlich vollkommen erholt, lässt ihn die entsetzliche Erfahrung schwer traumatisiert und voller Hass auf die Borg zurück. Da er zeitweise Teil des Borg-Kollektivs war, hat nun umgekehrt auch er – und damit die Föderation insgesamt – genaue Kenntnisse des Feindes. So kann die tödliche Bedrohung zunächst abgewehrt werden, bleibt aber weiterhin bestehen.

Besiegt und verwundet – und dadurch eingeweiht

Deutung des Geschehens: Kräfte, die den Menschen auf der rein materiellen Ebene festhalten wollen, haben das leitende Bewusstseinsprinzip überschattet und beinahe irreparabel geschädigt. Dabei ist es zu einer zeitweisen Verschmelzung gekommen, die eine tiefe, lebendige Kenntnis der Gegenkräfte unauslöschlich ins Bewusstsein eingebrannt hat. Die traumatische, demütigende Erfahrung wird später zum Segen, da durch diese Kenntnis die Überwindung des Widersachers prinzipiell möglich wird. Die „Höllenfahrt“ des Helden, der Höhepunkt des zweiten großen Abschnitts seiner Reise, wird zum Bestandteil seiner Initiation. Erst viel später, am Ende von Star Trek: Voyager (der vierten Star-Trek-Serie) gelingt es Capt. Kathryn Janeway (einem parallel agierenden Bewusstseinsprinzip, das wegen seiner lebensbewahrenden, beschützenden, mütterlichen Qualität als weiblich personifiziert wird) durch Ausnutzung von Zeitparadoxien (relative Freiheit von der zeiträumlichen Gebundenheit des Normalbewusstseins), der Borg-Königin entgegenzutreten und das Borg-Kollektiv endgültig zu neutralisieren.

Deep Space Nine: Die andere Seite – der Gamma-Quadrant

Am Übergang zwischen The Next Generation und der folgenden Serie Deep Space Nine wird in der Nähe des zunächst von den Cardassianern besetzten Bajor-Systems ein stabiles Wurmloch entdeckt, das eine Verbindung zum Gamma-Quadranten herstellt. Damit ist die andere Seite der Galaxie (die bislang unerforschte Seite des Menschen) plötzlich zum Greifen nahe. Nachdem die Cardassianer auf Druck der Föderation ihre Besatzung Bajors aufgegeben haben, wird eine von ihnen zurückgelassene, von der Föderation übernommene und in Deep Space Nine (der neunte Außenposten im tiefen Raum) umbenannte Raumstation aus dem Orbit um Bajor zur diesseitigen Mündung des Wurmlochs verlegt. Bei der Erkundung stellt sich zweierlei heraus: Erstens ist das Wurmloch die Heimat unstofflicher, intelligenter Wesen, die von den Bajoranern seit Jahrtausenden als Propheten verehrt werden. Und zweitens ist der gesamte, jenseits des Wurmlochs gelegene Gamma-Quadrant in der Hand eines mysteriösen Machtblocks namens Dominion.

Die unbekannte andere Hälfte der Galaxie (bestehend aus Gamma- und Deltaquadrant) symbolisiert einen verborgenen Bereich der menschlichen Innenwelt – und der Schöpfung insgesamt. In vielen Geschichten wird dieses „Reich hinter dem Schleier“ durch ein Portal (einen Spiegel, einen Kaninchenbau, einen Schrank, einen Bahnsteig, einen „Riss“ im Raum-Zeit-Gefüge wie z.B. ein Wurmloch o.ä.) betreten. In der Regel herrschen darin Hierarchien, deren Macht auf Täuschung, Nachahmung und Manipulation beruht. Um ihre Existenz aufrechtzuerhalten, wirken sie auf das Bewusstsein der „auf dieser Seite“ Lebenden ein, indem sie sich z.B. als Götter, Erzengel usw. ausgeben.

Mit den Propheten und ihren ebenfalls unstofflichen Gegenspielern, den Pah-Geistern, vollzieht Deep Space Nine eine Kehrtwende gegenüber dem ursprünglichen, wissenschaftlich-rationalistischen Weltbild: Nun treten Wesenheiten auf den Plan, die zwar anfangs noch als „Aliens“ betrachtet werden, von übernatürlichen Entitäten aber endgültig nicht mehr zu unterscheiden sind. Auch Art und Ausmaß ihrer Einflussnahme auf das Leben der „Sterblichen“ gehen über das Bisherige weit hinaus – wie sich herausstellt, haben die Propheten sogar die Inkarnation ihres Gesandten veranlasst: Benjamin Sisko, der das Kommando der Raumstation übernimmt.

Im Pilotfilm von Star Trek: Deep Space Nine begegnen wir ihm als Schiffskommandant während der Schlacht gegen die Borg. Dabei kommt seine Frau ums Leben. Als gebrochener Mann und alleinerziehender Vater folgt er dem Befehl, das Kommando der Station Deep Space Nine zu übernehmen. Dieser Befehl wird ihm ausgerechnet von Capt. Picard überbracht, den er tragischerweise nur als Marionette der Borg in der Schlacht kennengelernt hat und für den Tod seiner Frau verantwortlich macht. Benjamin Siskos Herkunft, seine einzigartige Rolle als „Gesandter“ der quasi-göttlichen Propheten und sein letztendlicher Aufgang ins Unstoffliche machen ihn zu einer Art Messiasfigur. Die Serie macht sich damit – über die zahlreichen Heldenreisen hinaus – universelle Motive aus den bis dahin als naiv betrachteten Religionen der Welt zu eigen.

Das Dominion ist ein autoritäres Kastensystem unter der Herrschaft der mysteriösen Gründer, einer Rasse von Gestaltwandlern. Die Gründer können jede erdenkliche Gestalt annehmen oder imitieren, existieren auf ihrer Heimatwelt aber in einem flüssig-formlosen Zustand kollektiver Verschmelzung, der Großen Verbindung. Ursprünglich Forscher und Entdecker, erfuhren sie von den „Soliden“ (Lebewesen, die an eine einzige Form gebunden sind) soviel Argwohn, Ablehnung und Feindschaft, dass sie in einer beispiellosen Überreaktion den gesamten Gamma-Quadranten mittels genetisch erschaffener Dienerrassen unter ihre Kontrolle brachten: Die Karemma sind die Händler, die Vorta die Verwalter und die hyperaggressiven, von einer Kontrolldroge abhängigen Jem’Hadar die Krieger. Alle diese Rassen sind genetisch programmiert, die Gründer als Götter zu verehren.

Die bereits erwähnten Borg beherrschen den Delta-Quadranten, indem sie die All-Einheit ganz profan mit technologischen Mitteln imitieren und sich alles, was ihnen begegnet, einverleiben. Das Dominion geht viel weiter: Die Gründer haben ganze Populationen künstlich erschaffen, um von ihnen bedient, beschützt, gefürchtet und angebetet zu werden. Und die formlosen Gründer selbst, die in stolzem Trotz die Fremdbezeichnung „Wechselbälger“ angenommen haben, imitieren im Grunde alles – ihr Gegenüber, das Göttliche, den Schöpfungsplan an sich.

Schnell wird klar, dass auch der mürrische Sicherheitschef der Raumstation, Odo, ein Gründer ist – jedoch ohne Verbindung zu seinem Volk oder Kenntnis seines Ursprungs. Wie sich später herausstellt, ist er einer von hunderten, die als Neugeborene wie lebendige Sonden in den Raum gesandt wurden, um irgendwann mit Informationen über das Universum zurückzukehren.

Mittlerweile ahnen wir, dass auch Odo eine Heldenreise durchläuft, dabei den Weg zurück zu sich selbst und in die Einheit mit seinem Ursprung zurückfindet. Dabei wird er für das Gesamtgeschehen eine denkbar bedeutende Rolle spielen.

Zunächst jedoch betrachtet das Dominion die Vorstöße der Föderation als aggressiven Akt, weist sämtliche diplomatischen Bemühungen zurück und geht in die Offensive. Diese wird zunächst nicht offen, sondern mittels List, Täuschung und Manipulation vorgetragen: Die Vorta täuschen Diplomatie vor, die Jem’Hadar sorgen für militärische Einschüchterung, und die Gründer selbst, die jede Gestalt annehmen können, unterwandern den Gegner, indem sie Schlüsselpositionen innerhalb der Befehlshierarchie besetzen.

Fast während des gesamten Dominion-Konflikts hat Odo Kontakt mit der Gründerin, die im Alpha-Quadranten die Aktivitäten des Dominion koordiniert. Mehrfach verschmelzen die beiden; dieses Eintauchen in seinen eigentlichen, ursprünglichen Zustand versetzt Odo in solche Verzückung, dass er sich seinen bisherigen Gefährten zeitweise völlig entfremdet.

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnt: Sektion 31, eine streng geheime, autonom agierende Abteilung der Sternenflotte, hat Odo mit einem künstlich erschaffenen Virus infiziert, den dieser nun unwissentlich an die Gründer überträgt. Immer wieder zeigt sich die Hierarchie der Sternenflotte als überkuppelndes, autoritäres Prinzip, das stur dem „toten Buchstaben des Gesetzes“ folgt und sich dabei, wenn opportun, bedenkenlos über die eigenen, ethischen Grundsätze hinwegsetzt. Sie symbolisiert ein mächtiges Prinzip im Mikrokosmos, eine Art „höheres Selbst“, das einerseits große Macht über das Persönlichkeitsbewusstsein hat, andererseits aber auch darauf angewiesen und davon abhängig ist. Prinzipiell ist dieser alte Aspekt hier bereits wirkungslos geworden – was sich immer wieder daran zeigt, wie sich die Besatzungen „vor Ort“ über starre Vorschriften hinwegsetzen, um ihrem Gewissen, ihrer Empathie oder ihrer Intuition zu folgen. So auch hier: Der Bordarzt von Deep Space Nine, Dr. Julian Bashir, bemüht sich lange Zeit vergeblich, ein Heilmittel zu finden. Schließlich schaffen er und der Chefingenieur der Station, Chief Miles O’Brian (ein alter Bekannter von der Enterprise) es mit knapper Not (und beträchtlicher krimineller Energie), das Gegenmittel zu beschaffen.

(wird fortgesetzt)

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Datum: August 28, 2019
Autor: Thomas Schmidt (Germany)
Foto: Ruth Alice Kosnick

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