Von harter Arbeit und Wundern oder anders ausgedrückt: Was ist konkret, was ist abstrakt in unserem Leben als lernende und auf den Geist ausgerichtete Menschen?
Formulieren Sie den Titel als Frage: Was ist konkret, was ist abstrakt in unserem Leben als lernende und auf den Geist ausgerichtete Menschen, als Lernende? Einen entdeckenden und lernenden Menschen im Leben, der leidenschaftlich den Weg zum Grund seiner Existenz sucht, nennen wir einen Schüler. Eine Gruppe von Schülern, die sich gegenseitig in ihrer Suche unterstützen, nennen wir eine Schule. Manchmal hat eine Schule einen Meister. Jenseits des Übergangs liegt das neue Leben, das sich auf einer höheren Schwingungsebene abspielt, ein Leben aus dem Geist.
Abstrakt oder konkret. Eine der Wortdefinitionen definiert „konkret“ als sinnlich wahrnehmbar und „abstrakt“ als übersinnlich. Die gleiche Dichotomie findet sich in der Etymologie des Wortes Realität: real ist das, was man in der Welt um sich herum bearbeiten kann, im Gegensatz zur inneren Erfahrung.
In seinen Überlegungen unterscheidet Platon zwischen zwei Welten: der konkreten, wahrnehmbaren Welt des Alltags und der realen Welt der unveränderlichen Abstraktionen, außerhalb von Zeit und Raum.
Zwei Welten.
Die Konfrontation des eigenen, jungen Bewusstseins des Novizen mit einer Weltanschauung, einer Lehre oder einer Schule kann zu einem schnellen und extremen Hin- und Herpendeln zwischen dem konkreten Erkennen von Elementen des Seelenweges im eigenen Leben einerseits und der scheinbar unerreichbaren Ferne von diesem neuen Leben andererseits führen. Die eigene Seele wird abwechselnd imaginativ in der greifbaren Lebenswirklichkeit und dann wieder weit weg in einem Punkt der Unendlichkeit verortet. Die Seele wird dann als eine Realität gesehen, von der wir Sterblichen nichts bewusst erfahren können. Hält man einige Zeit an der letztgenannten Sichtweise fest, bildet sich die Überzeugung: Die neue Seele ist etwas, von dem wir nichts erfahren und für das wir nichts tun können. Der Kandidat steht mit leeren Händen in einem vorübergehenden Stillstand da.
Auf der anderen Seite des Pendels glaubt der Schüler, in seinem Leben konkrete Manifestationen seines Fortschritts auf dem Weg zu entdecken, und sieht die Aufgaben hautnah, bis in die Materie hinein. Was er weiß und kann, wird er auf seinem Weg beim Lernen anwenden. Auch bei der Arbeit in einer Schule oder im Umgang mit seinem Meister. Oft leidenschaftlich und temperamentvoll, bis er im Leben gegen eine Wand stößt oder durch eine Rede oder ein Literaturfragment seine Seele in die Unendlichkeit zurückwirft.
Ist diese ferne Projektion eine vertikale Bewegung in Richtung dessen, was er sucht? Oder bleibt es eine imaginäre horizontale Bewegung innerhalb dieser Realität?
Solange es eine Bewegung gibt, geht es dem Schüler gut und er kann lernen. Sein Bewusstsein entwickelt sich und aus dem Kontakt mit der intensiven Lernumgebung entwickelt sich die neue Seele. Problematisch wird es, wenn eine der Extrempositionen vertreten und verteidigt wird: ein negatives Nichtstun wird erlebt oder es wird aus der völligen Formbarkeit der eigenen Seele durch das aktuelle Bewusstsein gehandelt.
Kennen Sie als Erfahrung die Unsicherheit, die aus der Unbestimmbarkeit der Seele, aus der Unbestimmbarkeit des „lernenden Menschen“ kommt? Dem gegenüber steht eine immer stärker werdende und damit konkret erfahrene Sehnsucht nach Erneuerung, nach dem Menschlichen, nach dem, was über uns hinausgeht.
Da ist der Faktor Zeit. Zeit im Sinne von: die Lebenszeit des einzelnen Lernenden. Und Zeit im Sinne des Zeitalters der Schule, der Lernumgebung. Als Individuen sind wir vielleicht in jüngeren Jahren und mit jugendlichem Enthusiasmus mit einer solchen Schule in Berührung gekommen, in der Aufbauphase unseres irdischen Lebens, die auch die nötige Zeit und Energie erfordert, die beide noch im Überfluss, ja fast unbegrenzt vorhanden zu sein scheinen. Wir führen ein aktives soziales Leben und engagieren uns voll, auch in der Organisation unserer Schule. Und wir lernen durch die Schwingungen unserer Vision der neuen Seele, in den ständig wechselnden relativen Positionen von Selbst und Seele.
Jetzt sind wir älter; die Gesellschaft erwartet weniger von uns. Die Zeit und Energie, die noch zur Verfügung stehen, können für die Organisation der Schule genutzt werden. Denn die notwendige Arbeit bleibt, und die jüngeren Generationen haben wenig Zeit, sich nach den weltlichen Verpflichtungen zu engagieren, was wiederum dazu führt, dass wir keine Zeit für die vielleicht abstraktere Lehre finden, die irgendwann in der Zukunft erwartet wird.
Vielleicht können wir später kontemplativ werden?
Das Pendel schwingt zwischen abstrakt und konkret im Geist des Lernenden, der vielleicht weniger wird, weil einfach weniger Lebensenergie, weniger guter alter Lebensäther zur Verfügung steht. Der große Sprung im Leben wird gemacht und erweist sich rückblickend als weniger weit als erhofft und auch nicht ganz in die richtige Richtung. Diese Erfahrung liefert dann eine karmische Lebenslektion für einen nachfolgenden Lernzyklus. Die Schwingungen können auch durch Einsicht und Lebenseinstellung und durch die Öffnung der neuen Seele, in ganz konkreter Nachfolge, in der Verwirklichung gemildert werden.
Wir haben gelernt, dass sich das Unvermeidliche und das Vermeidbare in unserem eigenen Inneren bewegen und dort trotz allem einen ruhigen Raum schaffen. Und in diesem Raum entsteht etwas völlig Neues. Diese Neuheit macht es möglich, dass wir trotz allem eine „enge Freundschaft“ in der Gruppe der Lernenden wachsen sehen. Eine Freundschaft der Seele, als Summe der Liebe – die abstrakt ist – und der Kraft – die konkret ist – Gottes.
Vielleicht hat sich die Bewegung im Geist des Schülers nun gekippt: kein Schwanken mehr zwischen einer abstrakten Vision und einer konkreten Handlung, die beide in der horizontalen Ebene unserer Realität stattfinden, sondern nun ein tatsächliches Anheben in die Vertikalität des Geistesflusses. Es handelt sich also nicht mehr um eine Projektion.
Arbeit ist per Definition konkret, gleichbedeutend mit Verwirklichung. Geist ist abstrakt. Der Geist bringt uns den Plan Gottes, die Idee, wohin wir mit dem Menschen und der Welt gehen sollen. Zwischen Plan und Arbeit muss es eine Übersetzung geben.
Die Arbeit geschieht abwechselnd innerlich und äußerlich. Innere Arbeit kann auch sehr konkret sein, magisch, also realisierend. Nach innen gerichtete Magie ist selbstverwirklichend. Auf der Grundlage unseres einen Bewusstseins werden wir dann handeln, konkrete Taten vollbringen und in der nie liegenden Materie eine Reflexion des Ergebnisses unseres Handelns beobachten. Um daraus lernen zu können.
Karl von Eckartshausen schreibt:
Wie die Sonne in der Sinneswelt alles sichtbar und wirklich macht, so macht der Christus in der Welt des Geistes alles erkennbar und wirklich. Wie der sinnliche Mensch alles im Licht der Sonne sieht, so sieht der geistige Mensch alles im Licht des Geistes. Dieses Schauen ist Weisheit – die Dinge sind Wahrheiten. [1]
Im Kopf des Menschen befindet sich das Gehirn. Im Kopf befinden sich auch die Pforten der Sinne: Augen, Ohren, Mund und Nase und ein Teil der Haut. Die wichtigste Grundfunktion des Gehirns ist die Navigation auf der Grundlage einer inneren Landkarte der Realität, die durch die Sinneseindrücke ständig aktualisiert wird. Dies ermöglicht es uns, unseren Körper durch diese Realität zu bewegen. Der Einfluss des Geistes modifiziert den Geist und verändert die Wahrnehmung, zeichnet die innere Landkarte neu und ermöglicht so den Zugang zu einer anderen Realität. Wenn wir unseren Lebensweg durch diese Realität gehen, entdecken wir völlig neue Wege.
Quellen:
[1] Karl von Eckartshausen: Einige Worte aus dem Innern, gefolgt von The Perfection of Man, Pink Cross Press 1993. (Regeln für das Innere, Zeilen 6 und 7)
[2] Eric op ‚t Eynde über seinen Artikel „Abstrakt und konkret“ in LOGON in einem Interview mit Hello Radio Spirituality