Die Fragen zielen auf folgende Aspekte des Weges: Welche Wegweiser gibt es für spirituelle Wege; worauf können wir uns stützen, was leitet uns? Welche Rolle spielt für Sie (vermittelbares) Wissen auf einem spirituellen Weg? Ist es möglich, dass Nichtwissen eine wichtige Rolle spielen kann? Was verändert uns?
Kon: Die spirituelle Lebensreise beinhaltete für mich in erster Linie ein Entdecken der innersten Motive bereits in den Jugendjahren, sowie dann daraus einen Übungsweg zu gestalten, diesen durch alle biographischen Prüfungen und Verwandlungen hindurch immer neu zu verstehen, und entsprechend „die Schrauben nach zu stellen“ – und zuletzt zur Reifung kommen zu lassen, was man kann – um dann an zu visieren, was man anlegen will für die „nächste Runde“ – in einem neuen Leben.
Der erste Wegweiser ist eine Art „Schicksals-Instinkt“, welchen es zu entdecken gilt – was will ich eigentlich, und wie differenziere ich das gegenüber: Was will nur der Kopf – mit dem wir als moderne Zeitgenossen nun mal verheiratet sind … Bei mir war das ab ca. 16 die Suche nach den Weisheits-Quellen des Orient: Lao Tze wurde mir zum tief geschätzten Begleiter, und die alt-Indische Kultur vermittelte mir – namentlich durch die Bhagavad Gita – meine „Ur-Religion“ der spirituellen Suche durch viele Leben. Auch bei Platon fand ich das Unsterblichkeits-Motiv (Phaidros – Phaidon) als mir zuinnerst vertraut.
Von der Weisheit des Orients zu Rudolf Steiner
Durch Rudolf Steiner entdeckte ich im Erwachsenwerden dann, dass der Westen über einen eigenen spirituellen Weg verfügt, der rosenkreutzerisch inspiriert ist, und da Steiner methodisch so präzise vorgeht, wurden seine Schriften mir zum zuverlässigen Schrittführer – als erstes sein Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums, dann Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten und seine Philosophie der Freiheit, die ich mit voller begeisterter Zustimmung in so vielen Tagen, wie es darin Kapitel gibt, durchackerte. Damals hatte ich die komplette Philosophiegeschichte bereits einmal selber bewältigt, und konnte somit schätzen, welchen Schritt Steiner darüber hinaus tut.
In diesem Sinne ist Steiner für mich zum Hinweisenden auf Bewusstseinsschritte geworden, und das gab mir Vertrauen, auch seine umfangreichen, diesem Bewusstsein entsprechenden Forschungsergebnisse mit offenem Prüfungsbewusstsein auf zu nehmen und immer wieder an zu gehen. Namentlich hat er als moderner Forscher die tiefen Intentionen des Christian Rosenkreutz wieder freigelegt – und damit einen freien Blick auf die Bedeutung des originär-autonomen Ichs des Christus für die Erde ermöglicht.
„Vermittelbares Wissen“ konnte so zu einem Wegweiser auf meiner spirituellen Lebensreise werden, jedoch immerzu von Steiner mit methodischen Griffen versehen, wie evidente eigene Erkenntnis und Selbsterkenntnis daraus werden kann.
Auf diesen Spuren entdeckte ich bald meine „Baustellen“, will sagen: was verhindert ein spirituelles Vorwärtskommen? – und über die Jahre habe ich da manche Schritte durch die Selbstkontrolle in der Seelenhygiene in Vorbereitung auf und parallel zum Aufbau eines meditativen Lebens tun können.
Meine 28-jährige Berufsausübung als Heilpädagoge bot mir im Umgang mit jungen Menschen, die sich nur schwer in „das normale Leben“ hinein finden können, fast täglich absolute Ausnahmesituationen, welche mir höchste Geistesgegenwart und hilfreiche Intuitionen abverlangten – eine vielfach erschöpfende, aber dann auch tief befriedigende Aufgabe, die mich im Entwickeln einer Selbstlosigkeit im Mitgefühl durch so manche Lebens-Einweihung geführt hat.
Ein Organ für inneres Wissen
Es bildet sich dadurch in einem ein Organ für das, was nottut – ein inneres Wissen, eine Herzens-Stimme, der man immer besser folgen lernt, mit Fallen und Aufstehen. Daraus wird ein Schicksalswissen, das in manchen Augenblicken auch Türchen aufmacht in frühere Leben, die ich dann integrieren gelernt habe in meine heutigen Aufgaben, respektive damit im „ongoing process“ bin. So erlebe ich mich zunehmend als in einem Entwicklungsprozess tätig, der immerzu neue Überraschungen bietet – eine Biographie als Organ einer Individualität, immerzu unterwegs zum Großen Urbild eines integrativen ICHs, das in Christus mit uns wandert.
Zum Gewahrwerden Seines Mitwirkens ist ein „Selbstbewusstes Nichtwissen“ Grundbedingung – wie dies zum ersten Male von Nikolaus von Kues im Aufbruch zur Neuzeit formuliert wurde. Diesen Zustand im vollbewussten Ausschalten des üblichen Denkbewusstseins zu schaffen, um ins Anschauen zu münden, darf als die hohe Kunst auch im Sinne der Intentionen des Rosenkreutzers angesehen werden.
Damit sind meine Leitsterne als konkrete geistige und mitunter auch irdische Wesen benannt. Sie regen meine Transformation hin zu einem Dienenden der Menschheit immerzu an.
Danke für Ihre Fragen – sie gaben mir Gelegenheit, diesen Weg von jetzt 70 Jahren zurückblickend knapp zu charakterisieren.
G. Alfred Kon
1950 in Arnhem (Niederlande) geboren, studierte Philosophie und Theologie in Amsterdam und Stuttgart sowie Heilpädagogik in Eckwälden.
Für 28 Jahre übernahm er Verantwortung für Seelenpflege-bedürftige Kinder und Jugendliche im „Haus Sonne“ in Walsheim, Saarland: als Gruppenvater, Oberstufenlehrer und Ausbilder von Heilpädagogen. Von 2003-2015 führte er in Saarbrücken freiberuflich die „Praxis Gaspard“ für Lebensberatung und Erwachsenenbildung, mit künstlerischer Therapie und -Kurstätigkeit und Fortbildung in der Diagnostik. Daneben ist er im In- und Ausland als Gastdozent, Vortragender und Autor in Kunst- und Kulturgeschichte, Anthroposophie und (Heil-)Pädagogik tätig.
Seit 2016 lebt Alfred Kon in Lebrade, Schleswig-Holstein und betreibt die Kunstwerkstatt „Brighid“.