oder: Der Welt auf den Grund gehen
Drei Schritte zu einer heiteren, ruhigen Gemütsverfassung als Neugeburt einer Seele, die die Herrlichkeit der ganzen Schöpfung erkennt und preist.
In Anlehnung an den bekannten Aphorismus „Nobel geht die Welt zugrunde“ hörte ich in meiner Jugend ab und zu den Ausruf: „Heiter geht die Welt zugrunde“ und im Tonfall schwang darin ein gewisses Amüsement über das bestimmte Vorkommnis oder Geschehen mit.
In Sätzen wie dem oben erwähnten oder auch: „dies sorgte für allgemeine Heiterkeit“
wird ein Zustand assoziiert, der ein wenig mit Torheit, Naivität, mit Unbedarftheit, mit einem Nicht-Wissen von etwas, das besser gewusst werden sollte, einhergeht. Kinder oder auch Erwachsene, die sich ein kindliches Gemüt bewahrt haben, werden manchmal so betrachtet. Auch das Märchen Hans im Glück oder das Auftreten des jungen Parzival können auf diese Weise gelesen werden.
Heiterkeit … verstehen wir im Allgemeinen als eine frohgemute, aufgeräumte, gelockerte Stimmung. Im Mittelhochdeutschen bedeutete Heiterkeit Klarheit. Im Buddhismus wird Heiterkeit als ein Merkmal der Erleuchtung gesehen. Sie ist eine Folge des gelösten Über-den-Dingen-Stehens aus vollständiger Einsicht.[1]
In dieser Beschreibung lassen sich meines Erachtens nach drei Phasen oder Schritte erkennen:
- Die frohgemute Gestimmtheit
- Klarheit und Einsicht des Denkens
- Loslösung, Brückenbewusstsein und Erleuchtung
Erste Phase: die frohgemute Gestimmtheit
Da ist die frohgemute Gestimmtheit der noch jungen Seele, wie dies auch in einem alten Kinderlied zum Ausdruck kommt: „Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut stehen ihm gut, er ist wohlgemut.“
Meister Eckhart formuliert es folgendermaßen:
Wenn die Seele etwas erfahren will,
wirft sie ein Bild hinaus und tritt dann hinein.
„Wenn die Seele etwas erfahren will …“
Die Seele will etwas erfahren, etwas, von dem sie offenbar eine Ahnung, eine Idee hat, doch kein wirkliches Wissen (sie ist unbewusst). Aber sie will es erfahren, sie findet Geschmack daran und will die Wirkung der Idee erleben, „schmecken“. Hierauf richtet sie ihr Wollen, das etwas in Gang setzt. Man kann es den Erfahrungs-Weg nennen.
„… wirft sie ein Bild hinaus …“
Sie beginnt zu „schaffen“. Sie ent-wirft ein Bild, reichert dieses mit Vorstellungen an, gestaltet es in einem schöpferischen, kreativen Akt, bis es zu leben beginnt und zu einer verdichteten Form wird.
„… und tritt dann hinein“.
Mit dieser Form ummantelt sich die Seele gleichsam und begibt sich auf die Reise.
Zweite Phase: Klarheit und Einsicht des Denkens
Der Begriff Heiterkeit bedeutet ursprünglich Klarheit. Klarheit zeichnet sich durch Transparenz aus. Wird etwas durchsichtig, klar, so ist es ohne andere Färbung. In heiterer Stimmung zu sein, ist möglich, wenn Klarheit herrscht. Wenn wir uns selbst beobachten, bemerken wir jedoch, dass wir angefüllt sind mit mannigfachen „Färbungen“, wie persönlichen Meinungen, Emotionen, Neigungen, Eigenschaften, Eigenheiten, Vorurteilen, etc., die wie Wolken eine klare, neutrale Sicht auf das Geschehen in und außer uns färben und trüben. Dies einzusehen ist bereits ein Schritt hin zu Selbsterkenntnis.
Was ist Einsicht? Einerseits bedeutet sie in der Alltagssprache, dass „… Eigenschaften, Zusammenhänge und Beziehungen hinreichend erkannt und begriffen werden. Als Resultat der Kombination von Wahrnehmungen und Nachdenken ist Einsicht dabei das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses. Auf anderem Wege zustande kommende, dann oft ‚blitzartig’ erlebte Einsichten werden einem besonderen geistigen Vermögen, nämlich der Intuition zugeschrieben.“[2]
Die erste Art, Einsicht in etwas zu erhalten, die des logisch linearen, analytisch verstandesmäßigen Denkens, lernen wir in der Schule und kennen wir alle. Auf diese Weise versuchen wir gewöhnlich, unsere Alltagsprobleme in der Welt zu lösen. Innerhalb dieses Denksystems bleiben wir allerdings einer dualen Sichtweise, die, grob benannt, in gut und böse oder richtig und falsch unterteilt, verhaftet. Heiterkeit geht mit dieser Art, Klarheit zu gewinnen, allerdings eher selten einher.
Dritte Phase: Loslösung
Heiterkeit als Folge des gelösten Über-den-Dingen-Stehens aus Einsicht – eine dritte Phase. Sie ist verbunden mit einer gewissen Losgelöstheit von sich und seinen persönlichen Meinungen, Emotionen, Neigungen, Eigenschaften, Eigenheiten, etc., wie auch den Problemen der Welt.
In der Bhagavad Gita wird ein solcher Zustand auch mit Gleichmut umschrieben:
Der heitere, ruhige Gemütszustand, der frei ist von Neigungen und Abneigungen, Regungen des Hingezogenseins und des Abgestoßenseins ist wahrhaft die ideale Einstellung, in der man sein Leben führen sollte. In diesem Gemütszustand zu sein, heißt, im Göttlichen zu wohnen.[3]
Dies scheint für uns heute unvorstellbar zu sein. Wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt das sachlich, rational-wissenschaftliche Denken bevorzugt, das Gefühle als eher (ver-)störend, weil subjektiv, betrachtete, werden heute als starker Pendelschlag auf die andere Seite wieder Emotionen favorisiert. Ob durch aufwühlende Bilder oder groß aufgemachte Sensationen, Hauptsache, es werden starke Emotionen hervorgerufen. Dieses dauernd empört und außer sich sein hält das System in der Dualität gefangen und hat wenig mit Gleichmut als heiterem, ruhigem Gemütszustand zu tun.
Gleichmut könnten wir versehen als eine spirituelle Haltung eines höheren Bewusstseins, das der Persönlichkeit und der Welt zuschaut und gleichmütig und – gültig im Sinne von gelten lassen – alles auf- und annimmt, was jedoch keineswegs bedeutet, dass nicht gehandelt wird. Gleichmut ist eine besondere Qualität, der Liebe verwandt, denn auch sie duldet und erduldet. Erinnern wir uns an das Hohelied der Liebe aus dem 1. Korinther 13: Die Liebe erträgt, glaubt, duldet alles. Dies alles aus einem Bestreben nach vollständiger Einsicht. Einsicht in den Grund, den Plan, dem alles zu Grunde liegt.
Brückenbewusstsein
Nur wer seine Gedanken von allen irdischen Freuden abzuwenden bereit ist, wer überdies nach Befreiung verlangt, ist befähigt, das Geistige zu suchen.[4]
Erst wenn der Mensch sich im Irrgarten des Daseins totgelaufen hat und satt ist an Erfahrungen, die ihm innerhalb der Maya in vielfältigster Weise angeboten werden, keimt in ihm der Same der Sehnsucht nach Befreiung daraus auf. Meinem Empfinden nach ist es der Persönlichkeit ohne eine tiefe Sehnsucht nach Befreiung, nach Erlösung, nicht möglich, sich zu einem solch radikalen Weg zu entschließen. Weitergedacht kann Gleichmut also nur gelebt oder besser ein Leben lang geübt werden, sofern der Mensch die Vereinigung mit Gott anstrebt. Und sofern Glauben und Vertrauen da sind, kann sich Gelassenheit einstellen, mit der ich mein Schicksal aktiv an- und auf mich nehme.
Im Prozess der Loslösung von der Identifikation mit der fundamentalen Illusion, die auf der bisherigen Bewusstseinsebene wirkt, entwickelt sich ein Brückenbewusstsein. Ein Zwischen-Raum entsteht, in den ein neuer Atem, der Odem Gottes eingehaucht werden kann. Dieser Odem bewirkt eine Transformation oder Umwandlung des gesamten Systems des entsprechenden Menschen und formt in ihm einen neuen Körper.
Und wie die Erziehung des Kindes mit Anstrengung, Hingabe und Glauben an seine Fähigkeiten verbunden ist, ist es auch mit dem Aufbau des höheren Körpers, des höheren Denkvermögens oder Manas, durch den sich der GEIST und mit ihm die göttlichen Qualitäten offenbaren können.
Dies geschieht dann wiederum mittels des vertrauten Verstandes, der sich dem höheren Denkvermögen aus klarer Einsicht und freien Stücken unterordnet. So kommt der Persönlichkeit eine Schlüsselstellung zu, denn sie entscheidet fortwährend, ob sie ihr Herz und ihre Sinne nach unten ins rein Materielle oder nach oben ins Geistige richtet. Dieses sich nach Innen-Oben, wie ich es nennen möchte, zu öffnen, öffnet den Denk-Raum für die neue, nonduale Sichtweise, die blitzartig vor dem geistigen Horizont auftauchen kann. Man kann sie nicht erlernen. Sie ist ein durch Gnade, für die wir uns ebenfalls aktiv öffnen müssen, erhaltenes Geschenk.
Erleuchtung
Als Resultat einer solchen fortwährenden Gerichtetheit auf das GEISTIGE kann das gesamte natürliche System erhoben und sogar enthoben werden. Losgelöst und erlöst vom Eigensinn, werden wir mit neuen und, von einem gewöhnlichen Bewusstseinszustand aus betrachtet, göttlich erscheinenden Qualitäten bekleidet: unendlicher Geduld, Mitgefühl mit allen und allem, bedingungsloser Liebe, Freude, geistigem Frieden, Glückseligkeit und einer Weisheit, die allen Verstand übersteigt, wie es in der Bibel heißt. Aus einer solchen Geisteshaltung der immer größer werdenden Einsicht in den GEISTIGEN Plan, der allem Geschehen zu Grunde liegt, entsteht Gelassenheit gegenüber den Wechselfällen des Lebens. Das können wir dann als heitere, ruhige Gemütsverfassung eines im Göttlichen Geist aufs neue geborenen Wesens verstehen. Der Neue Mensch, der die Herrlichkeit der ganzen Schöpfung erkennt und preist!
Quellennachweise
[3] Bhagavadgita, Der Gesang Gottes, Eine zeitgemäße Version Gottes, GOLDMANN, BG Kapitel 2 Vers 49
[4] BG