Die Gefährten des Ringes

Verbundenheit und Integrität als Leitmotive in J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe

Die Gefährten des Ringes

Dunkle Mächte unter Führung des finsteren Herrschers Sauron sind dabei, ganz Mittelerde zu beherrschen. In dieser Situation findet sich eine Gruppe der Vertreter verschiedener Völker zusammen, um sich diesen Bestrebungen entgegen zu stellen. Davon handelt die Trilogie „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien.
Wie wichtig das Thema „Verbundenheit“ für den Autor war, zeigt schon der Titel des ersten Buches : Die Gefährten des Ringes (Fellowship of the Ring). Der Zusammenhalt der Gefährten ist eines der wesentlichen Elemente, die über den Erfolg oder Misserfolg der Mission, Sauron zu stürzen und den Ring im Feuer des Schicksalsberges zu vernichten, entscheiden.

Die Geschichte beginnt im Auenland. Frodo Beutlin bekommt von seinem Onkel Bilbo einen Ring geschenkt, der ihn damit zur Hauptfigur in einer wichtigen Mission macht. Frodo ist sich zunächst der Schwierigkeit der Aufgabe nicht bewusst und kaum den Gefahren der anstehenden Reise gewachsen. Wie alle Auenländer erfreut er sich an einem gemütlichen und behaglichen Leben mit gutem Essen, um danach Pfeife rauchend auf der Veranda zu sitzen. Dabei sollte auch ein Gespräch mit Freunden nicht fehlen. Ihm zur Seite stehen seine Freunde Sam, Pippin und Merry. Sam ist der treueste der Gefährten, der Frodo immer in Gefahren beschützt und nie den Mut verliert. Sam symbolisiert Tapferkeit, Zuversicht und Optimismus. Merry und Pippin bringen ein unterhaltsames, erfrischendes Element in die sonst eher bedrohliche Atmosphäre der Erzählung. Sie sind meistens gut gelaunt und zu Späßen aufgelegt. Merry (engl. = fröhlich) versinnbildlicht Frohsinn und Freude. Innere Freude ist ein wichtiger Aspekt, um dunkle Stunden zu überstehen, ohne völlig mutlos zu werden. Pippin symbolisiert spielerische Neugierde. Neues ausprobieren, neue Dinge entdecken gehört zu seinen charakteristischen Eigenschaften. Gleichzeitig ist Pippin anfällig für Leichtsinn und Unvorsichtigkeit, was im Verlauf der Geschichte zu riskanten Situationen führen wird.
Ein weiteres Mitglied der Ringgemeinschaft ist der Zauberer Gandalf. Er ist der weise, väterliche Lehrer und Ratgeber, dessen hilfreiche Hinweise ganz maßgeblich zum Erfolg der Unternehmung beitragen. Dieser Charakter ist vergleichbar mit Merlin in der Artussage, oder Meister Yoda in Starwars.

Frodo weist die Aufgabe, die ihm Gandals anträgt, im ersten Moment ab und möchte den Ring an Gandalf übergeben. Er fühlt sich der Bedeutung und Tragweite der Mission nicht gewachsen. Hier begegnet uns ein Motiv, das in vielen klassischen Heldensagen vorkommt. Der zunächst schwach wirkende und unwissende Protagonist sieht sich selbst als unwürdig an, um den Auftrag zu erfüllen. Dies erinnert an die Artussage, in der der noch unerfahrene Artus es zunächst ablehnt, das Schwert Excalibur aus dem Stein zu ziehen.
Frodo versteht auch nicht, warum gerade er ausersehen ist, die Mission zu erfüllen. Er ahnt dumpf, die bevorstehenden Gefahren und weicht instinktiv davor zurück. Ähnlich ging es Parzival im Gralsmythos, der bei seinem ersten Besuch auf der Gralsburg die Notlage von König Amfortas nicht begreift und die entscheidende Frage nicht stellt.
Die Helden im Mythos müssen zunächst einmal ihre wahre Bestimmung erkennen. Das Finden und Annehmen der Schicksalsbestimmung ist das erste Opfer auf dem Weg. In vielen Heldenmythen treffen wir auf das Opfermotiv. Nur auf der Grundlage des Opfers kann eine positive Verwandlung stattfinden. Gandalf erklärt Frodo, dass nur er die Aufgabe erledigen kann. Das versinnbildlicht, dass dem noch unerfahrenen Helden von vornherein helfende Kräfte beistehen, und ihn sein wahres Schicksal finden lassen. Darin liegt der Schlüssel zur Integrität des Protagonisten. Frodo folgt nun dem geistigen Impuls im Herzen und entwickelt die notwendige Zielklarheit, um die gestellte Aufgabe erfüllen zu können. Der Auftrag ist nicht abstrakt, sondern sehr real und greifbar. Deshalb müssen auch die Handlungen konkret und zielbewusst sein. Der mentale Plan muss im Einklang mit dem geistigen Auftrag sein. Höhere Weltenmächte warten darauf, dass gedankliche Konzepte auf der niederen Ebene erstellt werden, die im Einklang mit den höheren kosmischen Zielen sind. Der Protagonist verspürt dann unerwarteten Rückenwind.

Es gibt kein Zurück

Es ist nicht möglich, hier die vielen Abenteuer wiederzugeben, die die Freunde gemeinsam erleben.
Man kann sagen, dass sie Grenzmarken überschreiten, nach denen es kein Zurück mehr gibt. Beispielhaft dafür ist die Szene, in der sie, verfolgt von den Ringgeistern, den Fluss Brandywine mit einem Floß überqueren. In vielen Mythen kommt eine Flussüberquerung vor. Die Helden betreten dann neues Land, auf dem unbekannte Gefahren lauern.
Hier wird auch sichtbar, dass das Böse sie vorwärts treibt und als Gemeinschaft fester zusammenbringt.
Nur wenn sie einmütig zusammenhalten, können sie den Auftrag erfüllen. Die übermächtig erscheinenden dunklen Kräfte, in dem Werk symbolisiert durch Sauron und seine Helfer, führen so zum Guten. Aus den vier unscheinbaren Hobbits, die gutes Essen und Behaglichkeit lieben, werden im Verlauf der Erzählung mutige Helden, an denen die Macht des Bösen zerbricht. Manchmal wachsen Menschen unter extremem Druck, um den Anforderungen gerecht zu werden – manchmal aber entwickeln sie sich auch zurück, um ihnen zu entkommen.

Sam und Frodo übertreten weitere Grenzmarken, als sie die Totensümpfe überqueren und das Land Mordor betreten. Immer unwegsamer wird der Weg, und die tödlichen Gefahren lauern überall.
Von Hunger und Durst geplagt, durchqueren sie labyrinthartige Höhlen und wüste Ebenen. Dabei wird Frodo von den Orks gefangen genommen. In der schwierigsten und letzten Phase vor der Erfüllung der Aufgabe geht es darum, standhaft zu bleiben und die Übel zu ertragen. Zu weit haben sie sich in Feindesland vorgewagt, um jetzt noch umzukehren. Die Helden im Mythos erleben hier die notwendige innere Reinigung und die Prüfungen vor dem finalen Showdown. Die Katharsis bewirkt den Abschied vom Gewohnten und lasst Freiräume entstehen für das Neue, das nun die Möglichkeit hat, sich zu zeigen.
Im letzten Moment – die Situation erscheint völlig aussichtslos – kommt unerwartete Hilfe, so als sie die Ebene Gorgoroth durchqueren oder den Schicksalsberg verlassen (nachdem ihre Aufgabe erfüllt ist) und Adler sie in die Lüfte erheben.

Freundschaft und Integrität

In einer Szene am Anfang der Reise sagt Gandalf in Bruchtal zu Elrond, einem König der Elben:
Es ist richtig, würden diese Hobbits die Gefahr erkennen, dann würden sie nicht wagen mitzugehen. Aber sie würden immer noch den Wunsch haben zu gehen, oder wünschen, dass sie es wagten, und beschämt und unglücklich sein. Ich glaube, Elrond, dass es in diesem Fall gut wäre, eher auf ihre Freundschaft als auf große Weisheit zu vertrauen. 1)

Unverzichtbare Elemente einer funktionierenden Bündnis-Gemeinschaft sind Freundschaft und Integrität. In der Ringgemeinschaft zeigen sie sich dadurch, dass alle Mitglieder an der Mission, den Ring zu vernichten, mitarbeiten. Der Einzelne ordnet sich dem höheren Auftrag unter. Gandalf wertet den gemeinsamen Zusammenhalt für den Erfolg sogar höher als die Weisheit.
Diesen hohen Wert zeigt Tolkien auch dadurch, dass er die Folgen des Verlustes der Integrität darstellt. Boromir, einer der Gefährten, verrät die Mission und will Frodo den Ring mit Gewalt nehmen. Die Versuchung, die der Ring ausübt ist zu stark für ihn. In diesem Moment werden die Gefährten von ihren Verfolgern, den Orks, überfallen und Boromir stirbt als einziger der Gemeinschaft.

Das Spannungsfeld zwischen Isolation und Integration in eine gemeinschaftliche Aufgabe ist ein beherrschendes Motiv in der Trilogie. darstellt. Isolation und Abtrennung werden versinnbildlicht durch Sauron und die Macht des Ringes. Die Integrität, der seelische Zusammenhalt wird verkörpert durch die Ringgemeinschaft.
Der Ring symbolisiert die Verführung durch den eigenwilligen Gedanken: „Ich kann im Verborgenen tun, was ich will“. Dieser Impuls suggeriert unendliche Möglichkeiten und führt vom Erleben der Einheit immer weiter in den Konflikt und in die Abspaltung von der ursprünglichen schöpferischen Quelle. Sauron ist zum Herrscher in der eigenen Enklave geworden. Das Gefängnis, das er errichtet, isoliert einerseits, schafft aber andererseits schützende Lebensräume für alles, was mit dieser Sphäre in Resonanz steht. Die Trennung vom Allumfassenden lässt ein abgründiges Reich entstehen.

Nun stellt sich die Frage, was dies jemandem zu sagen hat, der sich um wahre Integrität mit dem Allumfassenden bemüht und nach einer irgendwie gearteten Überwindung der Begrenzungen strebt.
Wir können feststellen, dass auch wir in einem Spannungsfeld leben, wie es Tolkien beschreibt.

Unwillkürlich taucht die Frage auf:
Kann ich diese elementare Situation nicht einfach ignorieren?
Was ist, wenn ich wegschaue und sage: Das geht mich alles nichts an?

Einerseits gibt es innere und äußere Triebkräfte, die Abgrenzung und Absonderung in mir fördern. Andererseits besteht der Wunsch nach Integration mit dem großen kosmische Ganzen, nach dem Überwinden der elementaren Trennung. Der Philosoph und Forscher Jean Gebser nannte diese Phase in der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit die „integrale Phase“. In dieser Entwicklungsstufe wird das „Höher, Schneller, Weiter“ überwunden und der Mensch erkennt die Welt als Ganzheit und erlebt, dass sich die Vielheit der Formen als Einheit offenbart. Gebser schreibt hierzu:

Die neu in den Menschen einbrechende Kraft ist keine Macht; sie macht ihn nicht mächtiger; aber sie soll ihn wahr machen; sie intensiviert die Bewusstwerdung, hebt ihn aus der Materie- und Psychegebundenheit heraus, wandelt ihn, daß ihm das Geistige durchsichtig wird. Wo dieser Kraftzuwachs in Mächtigkeiten umschlägt, statt als neue ‚Aufgabe‘ bewußt zu werden, zerstört er den Menschen (2).

Die dunklen Kräfte stellen sich bei unserer Weiterentwicklung als Versuchungen in den Weg – als Wunsch nach der Macht (symbolisiert durch den Ring) oder nach persönlicher Anerkennung oder nach Besitz.
Rudolf Steiner sagte, dass wir den Weg der Mitte gehen und dadurch die behindernden Kräfte erlösen können. Er lehrt uns, dass gerade das Sich-Abarbeiten an den Behinderungen die eigentliche Höherentwicklung ermöglicht. Sie schafft die Voraussetzungen für immer neue „Schöpfungen aus dem Nichts“ ermöglicht. So kommt das noch nie Dagewesene in die Existenz, das wirklich Neue.

———

Am Ende der Abenteuerreise gelingt es den Gefährten, die Mission zu erfüllen und den Ring im Schicksalsberg zu vernichten. Im zweiten Teil der Kinofilm-Trilogie Der Herr der Ringe sagt Sam zu Frodo einige Worte, die den positiven Ausgang der Geschichte vorweg nehmen und eine optimistische Zukunftsvision eröffnen:

Das ist wie in den großen Geschichten, Herr Frodo, in denen, die wirklich wichtig waren, voller Dunkelheit und Gefahren waren sie, …. Aber letzten Endes geht auch er vorüber, dieser Schatten. Selbst die Dunkelheit muss weichen. Ein neuer Tag wird kommen und wenn die Sonne scheint, wird sie umso heller scheinen.


Quellen:
1 J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe, Band 1 Die Gefährten,
Ernst Klett Verlag, 16. Auflage 1989, S. 276

2 Jean Gebser, Ursprung und Gegenwart Teil 1: Das Fundament der aperspektivischen Welt, Gesamtausgabe, Schaffhausen 1986, Seite 455

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Datum: Dezember 26, 2022
Autor: René Lukas (Germany)
Foto: Rock by Frank-Winkler on Pixabay CCO

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