Vom Sterben am Rande der Zeit Teil 2

O Tod, unser verhüllter Freund und Erzeuger von guten Gelegenheiten, wenn du gedenkst das Tor zu öffnen, dann zögere nicht, uns dies zuvor wissen zu lassen; denn wir gehören nicht zu jenen, die zurückschrecken vor seinem durchdringenden eisernen Knarren. (Sri Aurobindo)

Vom Sterben am Rande der Zeit Teil 2

 

Kann man Tot SEIN
Reflektion Peri Schmelzer

Tot SEIN
Kann man das: tot sein?
Oder kann man nur sterben – und dann ist Schluss?
Gibt es ein Bewusstsein unabhängig vom Gehirn?
Nutzt das Bewusstsein unser Gehirn als Werkzeug?

Dr. Eben Alexander erkrankte an einer bakteriellen Infektion des Gehirns und fiel innerhalb von 24 Stunden für sieben Tage ins Koma. Während dieser Zeit war sein Neokortex außer Funktion: „Der Teil meines Gehirn, der … für den Aufbau der Welt verantwortlich war, in der ich lebte und mich bewegte, und dafür, dass ich die Rohdaten, die über meine Sinnesorgane hereinkamen, zu einem sinnvollen Universum zusammensetzen konnte, dieser Teil meines Gehirns war am Ende. Mein Gehirn hat nicht nur unzureichend gearbeitet, es hat überhaupt nicht gearbeitet.“ Und so „machte [er] Bekanntschaft mit einer Realität einer Bewusstseinswelt, die völlig frei von den Beschränkungen meines physischen Gehirns existierte.“

Nach sieben Tagen kehrt er zurück und diese sieben Tage haben sein Verständnis der Welt, des Lebens, des Universums verändert.
Im Buch „Blick in die Ewigkeit“ hat er seine Erfahrungen beschrieben.Er sagt:

 „Dieses Wissen jetzt weiterzugeben, fühlt sich etwa so an, als sei man ein Schimpanse, der einen einzigen Tag lang Mensch geworden ist, um alle Wunder menschlichen Wissens zu erfahren, und der dann zu seinen Schimpansenfreunden zurückkehrt und ihnen verständlich zu machen versucht, wie es war, mehrere romanische Sprachen zu sprechen, diverse Rechenarten zu beherrschen und über das enorme Ausmaß des Universums Bescheid zu wissen.“  
Das, was er erlebt hat, hat nicht nur sein Verständnis von Bewusstsein verändert. Sein Begreifen der Welt, von Realität, unseres Seins als Menschen hat eine tiefe Wandlung erfahren. Man spürt die Dringlichkeit, mit der er uns vermitteln möchte, dass wir Vertrauen haben können – in das Leben und in den Tod.
Denn, so wurde ihm immer wieder versichert:
„Du wirst geliebt und geschätzt.
Du hast nichts zu befürchten.
Du kannst nichts falsch machen.“

„Gott, das Om hat Verständnis mit unserer menschlichen Situation, … denn es weiß, was wir vergessen haben, und versteht, was für eine schreckliche Bürde es ist, auch nur einen Moment ohne jede Erinnerung an das Göttliche zu leben.“ „Wir haben den Kontakt zum tiefsten Mysterium im Zentrum unserer Existenz verloren: unserem Bewusstsein.“ „Unser Leben hier unten mag uns unbedeutend vorkommen …, aber es ist wichtig, denn hier ist es unsere Aufgabe, dem Göttlichen entgegenzuwachsen … und dieses Wachstum wird … genau beobachtet.“ „Das physische Universum ist nichts im Vergleich zum dem spirituellen Bereich, aus dem es hervorgegangen ist, dem Reich des Bewusstseins. … Dieses andere, gewaltigere Universum ist nicht weit weg. …es existiert einfach auf einer anderen Frequenz. … Gleiches versteht Gleiches. Sie müssen sich für eine Identität mit dem Teil des Universums öffnen, den Sie bereits besitzen, dessen Sie sich aber vielleicht nicht bewusst sind.“

„Die bedingungslose Liebe und Akzeptanz, die ich auf meiner Reise erlebte, ist die wichtigste Entdeckung, die ich je gemacht habe oder machen werde.

Betrachtungen über die Lebensreise
Reflektion Isabel Lehnen

Nach einer mythischen Überlieferung aus dem alten Ägypten stellt die Sphinx dem Wanderer drei Fragen, die er beantworten muss, ehe sie ihm Durchlass gewährt:

Woher kommst du?
Warum bist du hier?
Wohin gehst du?

Was aber können wir sterblichen Menschen – mit unserem begrenzten Bewusstsein – wirklich über Ursprung, Sinn und Ziel unserer Lebensreise wissen?
Müssen wir irgendwelchen Gurus und Dogmen Glauben schenken?
Gibt es eine kraftvolle innere Vision, die unsere Schritte leitet, auch auf dunklen und unsicheren Wegstrecken?

Fernöstliche Weisheitslehren und auch das frühe Christentum künden davon, dass der Mensch nicht nur eine irdische Existenz lebt. In einer ganzen Reihe von Wiederverkörperungen kann er die Erfahrungsernte aus einem jeweiligen Erdenleben mit ins nächste nehmen. Wozu? Um „alte Schulden zu tilgen“, um Versäumnisse und Fehler aus früheren Leben auszugleichen (und womöglich andere, neue Fehler zu begehen)?
Um über viele Inkarnationen hinweg immer mehr Wissen anzuhäufen oder sein Wesen zu verfeinern und zu „perfektionieren“? Um immer aufs neue geboren zu werden und zu sterben – immer wieder die Auflösung alles Persönlichen zu erleiden?

Gibt es in mir etwas, das mich dazu drängt, solche Fragen zu stellen?
Ein Wissen, das zeitlos ist und vielleicht sogar alle Kenntnisse und Erfahrungen der kollektiven Menschheit über die Zeitläufte hinweg übersteigt?

Auf altägyptischen Bildtafeln können wir sehen, wie Anubis und Thot das Herz eines Verstorbenen wiegen. Kann ein Mensch nach Beendigung seines Erdendaseins etwas vorweisen, das – aus höherer, geistiger Sicht – Wert und Bestand hat?

Die Weisheitslehren der Gnostiker und Rosenkreuzer sprechen von einem ewigen Prinzip,
das – zunächst latent – im Menschen wirksam ist, einem Geistfunken oder einer „Rose des Herzens“. Es birgt die Erinnerung an eine göttliche Herkunft. An die uralte Verheißung, dass es einen Weg hinaus aus dem endlosen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiederverkörperung gibt. Durch einen geheimnisvollen Prozess der Transfiguration kann sich das Seelenwesen von Grund auf verwandeln, so dass sich ihm – wie in Jakobs Traumvision in dem Bild von William Blake – der Aufstieg zu einer lichtvollen göttlichen Welt öffnet.

Angst – die Furcht vor dem Tod – unterbindet Freiheit.
Wenn wir uns der Sphinx vertrauensvoll nähern und die Antwort auf ihre Fragen dem tiefen Weisheitsquell in uns übergeben, können wir mit froher Zuversicht im Herzen an dem Hüter der Schwelle vorbeiziehen.
Und wir können – wenn die Zeit für uns gekommen ist – wie Paulus jubeln: „Tod, wo ist dein Stachel? Der Tod wird verschlungen in den Sieg!“

Schlussgedanken
Reflektion Peri Schmelzer, Isabel Lehnen

Ein Podcast über den Tod, 2 x eine knappe halbe Stunde. Das reicht bei weitem nicht für dieses Thema aus. Und doch ist es mehr als genug Zeit, um sich von ihm berühren zu lassen. Das ist es, was wir wollten. Eine Berührung ermöglichen, durch die wir vor dieser Schwelle, vor dieser Pforte stehen und uns öffnen können für ihr Mysterium.

Jederzeit – im Hier und Jetzt – ist für uns ein geheimnisvoller Wandlungsprozess erfahrbar: ein tägliches Sterben und neu geboren Werden.
In Abwandlung eines Zitats von Angelus Silesius heißt es:
 „Wer stirbt, bevor er stirbt, stirbt nicht, wenn er stirbt.“

Dieses „Sterben, bevor wir sterben“ können wir lernen. Es ist das Kennzeichen eines befreienden Weges. Wir kennen das „Aufgehen, Blühen und Versinken“, das immer wiederkehrt. Es ist ein Kreislauf, sicher – und doch ist es ein Rad des Lebens, ein wunderbares großes Ganzes, in dem der Mensch seinen Platz hat; und in dem ihm die Möglichkeit   geschenkt wird zu wachsen  – nicht nur äußerlich, sondern vor allem in seinem Innern.

Wir können dieses Rad des Lebens aus einer Metaperspektive erkennen, denn in unserem Wesen wirkt ein geistiges Prinzip, das außerhalb der Zeit seinen Ursprung hat. Durch unser Leben hier und durch die Erfahrungen wächst unser Bewusstsein und haben wir die Möglichkeit, mit diesem Ewigkeitsprinzip in Verbindung zu kommen.

Damit erhält der Tod eine neue Bedeutung und Dimension. Es wächst in uns das Erkennen und die Gewissheit, dass es eine Kontinuität des Seins gibt, die über das hinausgeht, was wir hier als Leben erfahren.

Novalis sagt: „Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“ In dieser Gewissheit kann ich meinen Weg weitergehen, in Freude und mit einem Gefühl frei zu sein. Ich trete über Schwellen, während des Lebens – und dann über die letzte, die es für dieses Leben gibt. Und das geschieht in tiefem Vertrauen, denn wir sind aufgehoben als Teil des ewigen Stroms von Leben und Bewusstsein.

 

Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andere an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

                                             

 

Share this article

Don't Miss Out

Would you like to receive updates on our latest articles, sent no more than once a month? Sign up for our newsletter!

Our latest articles

Article info

Date: October 31, 2020
Author: Peri Schmelzer (Germany)
Author: Isabel Lehnen (Germany)
Photo: Isolde Hupp, William Blake

Featured image: