Rilke Projekt Transformation: Da schwang die Schaukel durch den Schmerz

Da schwang die Schaukel durch den Schmerz –, doch siehe, der Schatten wars des Baums, an dem sie hängt.

Rilke Projekt Transformation: Da schwang die Schaukel durch den Schmerz

Ob ich nun vorwärtsschwinge oder fliehe,
vom Schwunge in den Gegenschwung gedrängt,
das alles ist noch nicht einmal der Baum.
Mag ich nun steiler schwingen oder schräger,
ich fühle nur die Schaukel; meinen Träger
gewahr ich kaum.

So lass uns herrlich einen Baum vermuten,
der sich aus Riesenwurzeln aufwärtsstammt,
durch den unendlich Wind und Vögel fluten
und unter dem, im reinen Hirtenamt,
die Hirten sannnen und die Herden ruhten.
Und dass durch ihn die starken Sterne blitzen,
macht ihn zur Maske einer ganzen Nacht.
Wer reicht aus ihm bis zu den Göttersitzen,
da uns sein Wesen schon nachdenklich macht?

Musik

Wie unbewusst wir doch leben.
Wie sehr wir uns manipulieren lassen,
um an der Außenseite der Dinge zu bleiben!
Weg von der Tiefe unseres Innern,
von der Tiefe des Herzens.

Je mehr ich die Bande löse,
die mich hier festgebunden haben,
umso mehr spüre ich eine andere Beziehung,
eine Kraft, die mich trägt,
ein Boden, dessen Tiefe ich nicht ergründen kann,
erlebe Seile, an denen ich mich festhalten kann
und die mich durch alles hindurch tragen.

Ich bin in Bewegung, wie auf einer Schaukel,
hin und her zwischen den Gegensätzen.

Doch nun spüre ich:
Mein Leben hat eine Verankerung.

Mein Bewusstsein hat eine Quelle.
Ich versuche, mich umzuwenden, dorthin, woher ich komme,
woher das Bewusstsein kommt.
Ich erlebe eine neue Wachheit.
Sie erhöht sich,
wenn ich mich dieser Welt der Stille nähere.

Sie ist es eigentlich, die in mir erwacht.
Die Lebenskräfte kommen aus der Tiefe zu mir.
Sie werden zu mir, in jedem Moment.
Etwas aus dem Innern wird zu mir,
hier in dieser äußeren Welt.

„Ich fühle nur die Schaukel, meinen Träger
gewahr ich kaum“, sagt Rilke.

„So lasst uns herrlich einen Baum vermuten,
der sich aus Riesenwurzeln aufwärtsstammt …“

Die Macht der Stille ist wie ein Engelwesen.
wie ein Weltenbaum.

Ich bin ein Zweig an ihm.
Sein Stamm ist in mir.

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Date: July 31, 2021
Author: Katrin u. Carsten Mainz
Photo: Anita Vieten

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