Unser oberster Teil der Seele verbleibt immer in der wahren Wirklichkeit, in der noetischen Welt. Sie entspricht der Sphäre, die in den Religionen als „Himmel“ oder „Paradies“ bezeichnet wird. Sie verbindet uns mit der „wahren Unendlichkeit“, genauer gesagt: die wahre Unendlichkeit ist ein Aspekt von uns. Sie ist das „Reich Gottes“ in uns.
Jetzt erleben wir uns als physisches Wesen. Wie kommen wir zustande als körperliche Form?
Der oberste Teil der Seele strahlt Licht aus, nicht-physische Abbilder und bringt dadurch Seelenteile, Seelenvermögen hervor. Diese Abbilder im Licht erzeugen, strukturieren, organisieren und beleben den physischen Körper. Wir erzeugen uns quasi selbst aus unseren höchsten Aspekt heraus.
Das Sein der Seele umfasst vieles, ja alles, das obere wie das untere, bis hinab, so weit das Leben in jeglicher Form reicht. Mit den unteren Seelenteilen berühren wir diese Erdenwelt, mit den oberen die Sphäre des göttlichen Geistes. Mit unserem geistigen Teil verharren wir ganz in der oberen Welt. Nur mit dem letzten Stück unserer Seele sind wir gefesselt an die untere Welt. Wir leiten gewissermaßen einen Ausfluss des Oberen in die untere Welt, oder genauer gesagt: eine Wirkungskraft, eine Energie, wobei das Obere sich nicht mindert.
Warum dringt dieser oberste Seelenteil nicht in unser Bewusstsein? Weil das, was in der Sinnenwelt ist, die Oberhand hat. Um das Oberste zu erleben, muss man sich von allem, was außen ist, zurückziehen und sich völlig in das Innere wenden.
Wir können uns mit dem Teil der Seele, die nicht vom Leib überdeckt ist, erheben und in die „geliebte Heimat“ gelangen, „in unser Vaterland, von wo wir gekommen sind“ und wo „unser Vater“ weilt.
Resonanz zu Plotin: Du bist das Ganze
Als Mensch sind wir das Ganze. Alle Fasern unseres Wesens bilden eine Einheit. Wir bewegen uns in einem Raum, der von den höchsten geistigen Sphären bis hinunter in die irdische Lebenswirklichkeit reicht.
Ich muss an eine Wohnung denken. Aber es ist eine merkwürdige Wohnung, eine Wohnung ohne richtige Mauern. Nach oben hin ist sie bis ins Unendliche geöffnet. Mir kommen sakrale Bauten in den Sinn, die so konstruiert sind, dass sie in der Mitte des Daches eine Öffnung lassen, so dass eine Verbindung zur „wahren Unendlichkeit“ geschaffen wird. Ich selbst bin diese Wohnung, dieser grenzenlose Raum, der ins Offene reicht.
Doch ich kenne meine eigene Wohnung nicht richtig. Eigentlich bewege ich mich ständig nur im Erdgeschoss des Gebäudes – dort sind meine gewohnten Räume des Denkens, des Fühlens, des Urteilens und Sortierens. Aber es gibt noch so viel mehr zu entdecken!
Ich kann ein oder mehrere Stockwerke tiefer steigen. Dort herrscht ein ziemliches Durcheinander. Hier liegen viele Dinge ungeordnet nebeneinander, von dicken Staubschichten überzogen, unbearbeitete Erfahrungen, alte Verletzungen, versteckte Leidenschaften. Aber hier liegen auch Schätze, richtig wertvolle Dinge, die ich schon lange vergessen habe. Alles möchte wahrgenommen werden.
Auch oberhalb des Erdgeschosses gibt es Spannendes zu entdecken. Jedes Stockwerk steht für eine eigene Dimension in mir. Je weiter ich die Treppe hinaufsteige, desto mehr gelingt es mir, scheinbar Gegensätzliches, Widersprüchliches zu integrieren. Ich kann es so lassen wie es ist und schaue gewissermaßen „von oben“ darauf. Das, was ich im Erdgeschoss als paradox und unvereinbar empfinde, das ordnet sich hier zu einem Gesamtzusammenhang, der Sinn und Bedeutung besitzt.
„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ Dieser Satz aus dem Johannesevangelium erschließt sich mir neu. Ich selbst darf eine dieser Wohnungen sein. Das Licht benötigt viele, ganz unterschiedliche dieser Wohnungen, um in die Erde strömen zu können. Und wir selbst sind es, die dieses Haus gestalten, ihm eine ganz individuelle Form geben. Wir selbst sind es, die in jedem Moment die Treppe in unserem Haus hinauf- und hinuntersteigen können. So kann das Licht aus dem Gebiet, wo „unser Vater“ wohnt, durch unsere Wohnung bis in die tiefste Materie hinabfließen