Die innerste Kammer

Plotin sagt: Wenn du dich an den Zustand im Augenblick der Vereinigung erinnerst, erlebst du ein Abbild von Jenem in dir. In dem Zustand der Vereinigung warst du auch in dir selbst Eines. In der Vereinigung hast du keine Geschiedenheit zu dir selbst.

Die innerste Kammer

 

Es bewegt sich nichts in dir: kein Zorn, keine Begierde, kein Begriff, kein Denken. Auch dein Selbst ist nicht da. Gleichsam hinaufgerissen, oder vielmehr in ruhiger Gotterfülltheit bist du in die Abgeschiedenheit eingetreten, in einen Zustand der Bewegungslosigkeit, der völlig stillsteht, nicht abgelenkt, auch nicht zu sich selbst hin, Auch die schönen Dinge denkst du nicht. Du bist über das Schöne hinausgeschritten, und ebenso über die Tugenden. Du bist in das Innere der unbetretbaren heiligen Kammer eingetreten.

Die innerste Kammer ist unsichtbar. Der Urgrund erblickt in ihr den Urgrund. Nur er kann sich mit sich vereinigen, das Gleiche mit dem Gleichen.

 

 Resonanz zu Plotin: Die innerste Kammer (10)

„Du bist in das Innere der unbetretbaren heiligen Kammer eingetreten.“

Das klingt paradox und unverständlich.   

In einen Raum eintreten, der nicht zu fassen, nicht zu betreten ist. In dem es keine Trennung mehr zwischen Subjekt und Objekt gibt. Der von einem Licht durchstrahlt ist, das aus sich selbst entsteht …

Es ist das weiße Blatt, das alle Möglichkeiten des Ausdrucks offenhält.

Es ist die Pause, der stille und schöpferische Moment nach einem intensiven Musikerlebnis.

Es ist der hohle Raum in der Nabe eines Wagenrades, durch die die Radachse im Lauf bleiben kann.

Es ist der frei gelassene Innenraum in der Abbildung eines persönlichen Horoskopes, der in der Mitte der 12 planetaren Kräfte „im Außen“ eine 13. ewige Dimension „im Innen“ andeutet.

Es ist der kurze Moment zwischen Ein- und Ausatmen.

Es ist der Brunnen der Goldmarie, in den sie voller Urvertrauen springt.

Es ist die kreisrunde Öffnung im Dach eines Tempels.

Es ist die „heilige Opfervase, an der man nicht arbeiten darf …
Arbeitet man daran, dann verdirbt man sie …,
greift man danach, dann verliert man sie“ (Tao Teh King, Kap. 29).

Es ist die Leere der Wüste, in der durch das Fasten die vollständige Fülle erfahrbar wird.

Es ist das Nichts, aus dem alles geboren wird.

Es ist die Königskammer in meinem Herzen.                                                                        

Es ist Tao, der Urgrund, der in mir den Urgrund erblickt.

Mehr kann und darf dazu nicht gesagt werden.

 

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Date: August 25, 2020
Author: Gunter Friedrich (Germany)
Photo: Anne-Elisabeth Seevers

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