Deshalb: Tu alles fort, lass jeden Begriff beiseite. Werde still und warte, bis es erscheint. Lösch das Wissen von dir selbst aus und tritt ein in die Schau des Einen.
Aus sich treten, sich selbst einfach machen, hinstreben zur Berührung und stille stehen, bedacht sein, sich ihm anzupassen: nur so kann man Jenes in der innersten Kammer erblicken.
Liebe und Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem Einen führen dich zu ihm. Die Erschütterung, wenn das Einssein stattfindet, kann groß sein, auch lustvoll. Von jenem Ersten werden gewaltige Sehnsuchtskräfte erregt. Wenn die Seele davon ergriffen wird, legt sie jede Form ab, die sie hat, auch jede geistige Form. Denn man kann Jenes nicht erblicken oder sich ihm anpassen, wenn man noch etwas anderes in sich trägt oder sich damit befasst. Man darf nichts haben, damit die Seele für sich allein Jenes aufnehmen kann.
Resonanz zu Plotin: Ähnlich werden
Das Eine ist immer bei uns, aber wir sind nur bei ihm, wenn wir keine „Andersheit“ in uns haben.
Aus dieser Betrachtung Plotins spricht eine immense Radikalität.
Natürlich verspüre ich häufig eine Sehnsucht nach dem Einen.
Aber diesem Einen alles zu opfern?
Sich diesem Einen völlig hinzugeben?
Nichts Anderes zuzulassen?
Das kommt mir wie eine unerfüllbare und auch etwas naive Forderung vor.
Habe ich in meinem Leben nicht von frühester Kindheit an gelernt,;
•nicht nur „auf ein Pferd zu setzen“,
•mich in verschiedene Richtungen zu orientieren und abzusichern,
•immer auch noch eine Alternative in der Hinterhand zu haben?
Das ist es doch, was mich unabhängig gemacht hat! In dem Zulassen der „Andersheit“ habe ich mich für alle Lebenslagen „gewappnet“!
Und nun wird von mir verlangt:
„Tue alles fort, lass jeden Begriff beiseite! Mach dich selbst einfach!
Verkaufe alles, was du hast!“
Diese Radikalität erschüttert mich. Ja, es stimmt. Ich habe um mich herum Schutzmauern gezogen. Ich habe mich hinter einem schützenden Panzer einge-igelt. Ich verteidige meine Besitztümer, mein Wissen, meine Gewohnheiten, meine Werte, meine Glaubensüberzeugung. Ich will mich schützen, ich will keine Verunsicherung erfahren. Auf keinen Fall will ich Schmerz erleiden.
Dabei spüre ich doch: Die Wunde ist da.
Will ich die gefährliche Reise jenseits der Mauern des Schutzwalles wagen?
Kann ich es zulassen, nackt zu sein, verwundbar, verletzlich?