Psyche und ihr Geliebter

Die Erzählung von Amor und Psyche hat Künstler seit Jahrhunderten inspiriert. Sie zeugt von einer ursprünglichen Psychologie, die aufzeigt, wie der Mensch zu seiner Vollständigkeit gelangen kann.

Psyche und ihr Geliebter

In den Anfangszeiten unserer Kultur sah man die Physiologie als eine natürliche Folge der Psychologie an. Man suchte die Ursache körperlicher Leiden in der Psyche. Später kehrte sich das um und das Körperliche, das Physische trat an die erste Stelle. Die Psyche wurde zu einem äußeren Konzept. Heute beschreiben wir innere Prozesse mit Hilfe der „äußeren“ mentalen Logik. Und konsequenterweise behandelt man psychische Leiden mit chemischen Stoffen. Das hat zweifellos seinen Nutzen, doch bleiben die Ursachen der Symptomatik dabei ungelöst. In unseren Jahren erweitert sich das Feld der Psychologie etwas, indem Psychotherapeuten auch die Neuro-linguistische Programmierung ( NLP) anwenden oder ein „Mindfulness-Training“ empfehlen bzw. Ideen aus der Karma- und Chakra-Psychologie in die Behandlung einfließen lassen.

Psyche-Logos

Das Wort Psychologie besteht aus den Begriffen Psyche und Logik bzw. Logos. Das Wort Psyche stammt aus dem Griechischen und bedeutet dort Seele oder Lebensatem. Man sah die Psyche als Träger des göttlichen Geistes an. Logik stammt vom griechischen Wort Logos ab. Die Logik ist heute eine Wissenschaftsdisziplin, die sich mit den formalen Regeln des Denkens befasst und nach der folgerichtigen Begründung sucht. Eine der Bedeutungen des Wortes Logos ist Wort, und zwar im Sinne eines „geheimen“, verborgenen Wortes, das auf ein schöpferisches Prinzip hinweist.

Die alte Weisheit sagt: Wird die Seele vom Logos inspiriert, so gibt sie dies an die Persönlichkeit weiter. Die Seele steht also zwischen den beiden, sie ist eine Wirklichkeit zwischen dem abstrakten Göttlichen und der konkreten Persönlichkeit.

Eine mythische Erzählung, die von zahllosen Künstlern aufgegriffen worden ist, geht auf die Eigenart der Seele ein. Sie stammt von dem römischen Schriftsteller Apuleius (2. Jh. n. Chr.) und ist in seinem Werk Metamorphosen enthalten.

Wenn wir ihren Sinngehalt erforschen, erkennen wir, wie weit sich unsere heutige Sicht von der ursprünglichen Sichtweise entfernt hat.

Die Mythe

Ein König hatte drei Töchter, von denen eine den Namen Psyche trug. Sie war so schön, dass die Jünglinge von weither kamen, um sie zu bestaunen. Niemand wagte, um ihre Hand anzuhalten. Man vergaß sogar, der Venus zu dienen und setzte Psyche an ihre Stelle. Darüber war Venus sehr verärgert und ließ sich von ihrem Sohn Amor (Cupido) versprechen, Psyche mit einem seiner Liebespfeile zu verwunden, so dass sie sich in ein Wesen von niederem Wert verliebt. Psyche war von Unruhe erfüllt. Ihr Vater befragte das Orakel über ihr künftiges Schicksal und vernahm, er habe Psyche auf den Gipfel eines Berges zu bringen, wo ein grausamer Dämon sich mit ihr vermählen werde.

In großem Kummer wurde dies ausgeführt. Doch dann geschah es, dass Zephyr, der Diener Amors, sie auf seine Schwingen nahm und in einen Park trug, in dem sich ein wunderbares Schloss befand. Unsichtbare Diener umgaben Psyche und erfüllten ihre Wünsche. Des Nachts kam ein Geliebter zu ihr und sie vermählte sich mit ihm. Jeden Morgen verschwand er jedoch, ehe es hell wurde, so dass Psyche ihn nie zu Gesicht bekam. Auch seinen Namen erfuhr sie nicht.

Auf ihr Bitten hin erlaubte er ihr den Besuch ihrer beiden Schwestern. Diese erklärten, ihr Geliebter sei ein Monster und erinnerten sie an den Spruch des Orakels. Aber im Innern waren sie nur voller Neid. Die verängstigte Psyche flehte nun ihren Geliebten an, bis zum Morgengrauen zu bleiben, sodass sie ihn bei Licht sehen könne. Als er darauf nicht einging, beschloss sie, eine Öllampe zu Hilfe zu nehmen.

Die Lampe enthüllte ihr, dass der Schönste der Götter, Amor, neben ihr lag. Es fiel aber ein Tropfen siedendes Öl auf die Schulter des Geliebten. Er erwachte davon und flog weg. Psyche hatte ihn verloren.  

Sie erkannte, dass sie von den Schwestern getäuscht worden war und suchte sie einzeln auf, um jeder von ihnen zu erklären, Amor wolle sich mit ihr vermählen. Die Schwestern machten sich beide unverzüglich auf den Weg und kamen dabei elendiglich um.

Psyche, vom Zorn der Venus verfolgt, wanderte auf der Suche nach ihrem Geliebten von Land zu Land. Amor befand sich derweil im Palast seiner Mutter und litt an seiner Brandwunde. Schließlich beschloss Psyche, sich der Venus zu unterwerfen und suchte sie auf. Diese stellte ihr Aufgaben, die so schwer waren, dass niemand sie nicht erfüllen konnte. Doch Kräfte und Wesen der Natur (Ameisen, das Schilf am Strom, der königliche Vogel des Jupiter, der ein Freund Amors war) halfen ihr; auch eine vierte Aufgabe, die sie in das Totenreich führte, hatte sie fast erfüllt; doch sie scheiterte an ihrer Neugierde. Psyche versank in Nacht und Betäubung. Amor, der inzwischen wieder genesen und voller Sehnsucht nach ihr war, rettete sie, indem er sie mit einem seiner Pfeile berührte. Er flehte den Göttervater Zeus an, ihm zu helfen. Dieser ließ Psyche durch Merkur (Hermes) in den Himmel entführen, reichte ihr eine Schale Ambrosia und sprach: „Koste, Psyche, und sei unsterblich. Nie wird sich Amor von dir scheiden, ihr seid vermählt in alle Ewigkeit.“

Unruhe

Die Mythe, hier in verkürzter Form wiedergegeben, macht deutlich, dass die von der Erde stammende Psyche für den göttlichen Geliebten bestimmt ist. Der Logos (Amor) ist ihr nahe und erfüllt sie mit Unruhe. Letztlich wird sie nur in ihm Ruhe finden können. Doch sie kennt das Spiel der unsterblichen Liebe noch nicht. Durch den Versuch, Amor mit dem Ich, dem Ego, kennen zu lernen, verliert sie ihn. Dabei hat sie sich nach der Erfahrungswirklichkeit ihrer Schwestern gerichtet, und so gelangt sie in eine scheinbar aussichtslose Situation.

Die Mythe weist auf eine Psychologie hin, die nur in den Gesetzen der Seele ihren Grund findet. Die Erzählung geht der Unruhe der Seele nach. Wenn Heilung stattfinden soll, muss dies im Seelischen selbst geschehen; die Folgen davon kommen der Persönlichkeit zugute, die in ihrem Ich befangen ist.

Liebe

Der erlösende, heilende Weg besteht in der Eins-Werdung der Psyche mit Amor. Hierdurch gelangt der Mensch zu seiner Ganzheit. Es ist eine Psycho-logie, bei der nicht das Selbstbewusstsein der maßgebende Faktor ist. Veranlasst durch ihre Schwestern, versucht Psyche das zwar. Doch bei diesem „Lampenlicht“ verschwindet der Logos. Nur Symptome können so geheilt werden, während die psychische Krankheit in der Tiefe weiter existiert, die „Unruhe der Seele“ also fortbesteht. Der unsterbliche Geliebte bleibt für das Selbstbewusstsein im Dunkeln. Die Schwestern symbolisieren das aktuelle irdische Selbst und seine Methoden.

Durch ihr Scheitern gelangt Psyche vom Berg in die unfruchtbare Steppe, wo sie hungert und dürstet. Allein der unsichtbare göttliche Geliebte kann ihr Unvermögen beseitigen und den Hunger und Durst stillen. Die Eins-Werdung mit ihm lässt sich aber nicht forcieren. Psyches Schwestern sterben bei dem Versuch, den inneren Berg zu besteigen.

Bereits in den Wurzeln unserer Kultur finden sich also Hinweise auf eine heilende und verwandelnde Psychologie. Sie beruht auf der Beziehung zu Amor, dem Göttlichen in der Tiefe der Seele. Es ist die Beziehung zum Unkennbaren, die den Menschen auszeichnet. Als Amor der Seele begegnet, flammt Liebe auf, losgelöst vom Ich. In dieser Begegnung findet die Seele Genesung.

Hedonismus

Das griechische Wort Logos hat auch noch die Bedeutung „verlorenes Wort“.

Im „wiedergefundenen Wort“ des Geliebten erfährt Psyche unbegrenzte Inspiration. Sie bekommt ein Kind von ihm, das den Namen „Lust“ trägt; auf Griechisch: Hedone. Sie ist eine Göttin.

Hedone bedeutet Freude und Vergnügen. Man hat hieraus, in einem ganz weltlichen Verständnis, den Begriff Hedonismus geprägt, um dasjenige zu kennzeichnen, was am meisten Genuss erzeugt.

Bei Psyche geht es aber, wenn sie mit Amor vereint ist, um grenzenlose Freude. Ihre Ehe ist ewig. Hedone, die Frucht aus dieser Eins-Werdung, verweist nicht auf einen relativen Genuss und wirft auch keine Fragen der Ethik auf.

Zu jedem Menschen gehört in der Tiefe das Nicht-Ich. Es ist nicht konditioniert, ist „stille Freude“, nicht Emotion, die an jemanden gebunden ist, sondern freies Sein, ohne Ursache oder Begründung. Im Sanskrit wird es Ananda genannt.

Das Bild von Amor, Psyche und Lust (Hedone) finden wir in Variationen und unterschiedlichen Gewändern in den verschiedensten Kulturen. Es taucht im indischen Sat-Chit-Ananda auf, im altägyptischen Osiris-Isis-Horus, im lateinischen Animus-Anima-Persona und im christlichen Vater-Sohn-Heiliger Geist.

Es ist ein universelles Bild, das auf den wahrhaftigen, den vollständigen Mensch hinweist, der Geist, Seele und Körper in einem ist.

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Datum: Januar 15, 2019
Autor: Joehl (Netherlands)
Foto: Pixabay CCO

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