Luzifer – das Böse in uns?

Wer ist Luzifer? Ist er der Teufel als Gegenspieler zu Gott? Oder ist er die Personifikation des Bösen in der Welt oder unseres eigenen inneren bösen Anteils? Was ist das „Böse“? Gibt es „das Böse“ überhaupt oder hängt das, was wir als böse bezeichnen, von der Definition der Menschen ab?

Luzifer – das Böse in uns?

Das Wort Luzifer kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Lichtbringer“ (lux = Licht und ferre = bringen). In der römischen und griechischen Mythologie war er die Bezeichnung für den Morgenstern. In der Odyssee von Homer oder der Theogonie von Hesiod wurde der „Lichtbringer“, phosphóros (griechisch phos = Licht, phoros = bringen), mit der Göttin Venus in Verbindung gebracht. Auch in der Vulgata, der lateinischen Übersetzung der Bibel, steht im Alten Testament und im 2. Petrusbrief der Begriff Luzifer für den Morgenstern und somit für Christus, den Lichtbringer. „Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“  (2. Petrusbrief 1, 19)

In der Offenbarung des Johannes erfährt man, dass Satan, symbolisiert durch den Drachen, gegen die Engel kämpft und anschließend von diesen besiegt, gestürzt und auf die Erde hinabgeworfen wird. „Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel oder Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.“ (Off. 12, 7 ff)

Vom Lichtträger zum Satan

Erst im Mittelalter wurde allmählich durch verschiedene Kirchenväter Luzifer mit dem gefallenen Engel und mit Satan in Verbindung gebracht. Ausschlaggebend waren dafür vor allem die Aussagen bei Jesaja und Lukas. „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber gedachtest in deinem Herzen: ‚Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten´. Ja, hinunter zu den Toten fuhrest du, zur tiefsten Grube.“ (Jesaja 14, 12 ff) „Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“ (Lukas 10, 18) 

So kann man zusammenfassend sagen, Luzifer, einst auf der Bewusstseinsstufe der Engel, widersetzte sich mit seinem eigenen Willen dem göttlichen Willen, wollte sich nicht mehr dem göttlichen Willen unterordnen und sich diesem fügen. Durch diesen Einsatz des Eigenwillens fiel er aus der göttlichen Ordnung heraus, wurde sozusagen verstoßen: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“

Zugleich erfahren wir im Alten Testament von dem Sündenfall, da Eva vom Baum der Erkenntnis beziehungsweise vom Baum von Gut und Böse aß. Luzifer ist somit wie der Mensch aus dem göttlichen Paradies vertrieben worden. Wir können uns das so vorstellen, dass Luzifer mit seinem Fall einen eigenen Kosmos nach seinem Willen schuf, sein eigenes Reich innerhalb der göttlichen Ordnung, jedoch abgeschottet von dieser. Der Mensch, der mit ihm aus der göttlichen Ordnung fiel, musste sich in diesem neugeschaffenen Reich unterordnen.

Im göttlichen Paradies war der Mensch eine Wesenheit mit weitaus mehr Fähigkeiten. Er lebte in einer göttlichen Einheit, die keine Trennung in Gut und Böse, in männlich und weiblich, keinen Tod, keine Gefühle von Leere, Deprimiertheit und Traurigkeit kannte. Er fühlte sich eins mit seinem Schöpfer und seiner Schöpfung und fühlte sich deshalb erfüllt. Er war mit mehr Fähigkeiten ausgestattet, was jedoch nicht heißt, dass er intelligenter war, sondern dass er stärker mit dem göttlichen Geist verbunden war, so dass er dadurch ein höheres Wissen besaß und selbstschöpferisch tätig war. Jetzt ist es die Aufgabe des Menschen, wieder zu dieser göttlichen Ordnung zurückzukehren, mit all seiner inzwischen gesammelten Erfahrung. Um dies zu schaffen, muss er Luzifer, den Schöpfer des hiesigen Weltalls, überwinden. Er tut dies, indem er weise wird. Er hat vom Baum der Erkenntnis eine Frucht gepflückt und mit dem Biss in die bittere Erkenntnis hat er die Möglichkeit erhalten, unsere Dualität mit den Kräften von Gut und Böse zu erkennen und sich darüber zu erheben, um jenseits von Gut und Böse zu gelangen.

Luzifer überwinden

Was heißt es, Luzifer zu überwinden? Es ist damit kein äußerer Kampf gegen das Böse in der Welt gemeint, denn ein Streben nach dem Guten zieht die Gegenseite, das Böse, wieder nach sich. Es ist wie ein Pendel, das zwischen Gut und Böse hin- und herschwingt; neigen wir uns der einen Seite zu, zieht es uns unweigerlich zurück zur Gegenseite – oder man könnte auch sagen, wir ziehen mit unserem verstärkten Favorisieren der einen Seite den Gegenpol der anderen Seite an.

Nie stellt sich dabei ein Gefühl von dauerhafter Zufriedenheit ein. Da es sich beim Guten um das Schöne und Angenehme dieser Welt handelt, um das, was der Mensch gut nennt, was er sich erträumt, was ihm Freude, Leichtigkeit und Glück verheißt, merkt er bereits selbst, dass im Genießen dieses Glücks schon der nächste Schicksalsschlag, die nächste Enttäuschung lauert.

Ist er ehrlich zu sich selbst, spürt er, dass er das, was ihn glücklich stimmt, zwar vorübergehend genießen kann, jedoch, dass dies kein anhaltendes Glück ist, was ihn tief im Innersten dauerhaft erfüllt. Es ist das Gute, gebunden an gesellschaftliche Normen und Werte, nicht jedoch DAS GUTE, das sich über diese Gegensatzschaukel erhebt und über den gesellschaftlichen Normen, über Erfolg und Misserfolg und den menschlichen Gefühlen von Glück und Unglück steht. DAS GUTE, damit ist der ursprüngliche göttliche Zustand vor dem Fall gemeint, der eine Erfüllung in der Einheit mit  Gott beinhaltet, ein Zustand, in dem sich der Mensch den ursprünglichen göttlichen Kräften öffnet, die das Ewige in ihm wiedererschaffen und in dem er frei von Angst und Begehren ist.

Wie gelangt man zu diesem Zustand, dem inneren Frieden jenseits von Gut und Böse?

Wir sprachen von dem äußeren Luzifer, dem gefallenen Engel. Aber gibt es eventuell auch einen inneren Luzifer, den gefallenen Engel in uns? Der Mensch an sich ist im Kern nicht böse, sondern er ist unwissend. Bestenfalls ist er, wenn er sich seelisch reinigt, der „fal parsi“, der „reine Tor“ in Richards Wagners Parsifal. Er hat mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis, mit der Vertreibung aus dem Paradies die Verbindung zum GUTEN an sich, zu seinem Schöpfer, verloren. Seitdem irrt er über Inkarnationen hinweg durch die Welt als irrender Sucher nach dem Juwel. Er macht seine Erfahrungen, er erwirbt Erkenntnis, und so kann er sich vom dummen Tor zum weisen Erleuchteten entwickeln. Wie erhält er dabei wieder Anschluss an das Göttliche?

Der gefallene Engel, der in Eigenwilligkeit die Welt schuf, möchte Untertanen nach seinem Willen, er versucht, den Willen des Menschen zu beeinflussen, versucht, durch seine Gedankenkraft in die Psyche des Menschen einzudringen, ihn für seine Werte zu gewinnen. Man sieht die Verführungen allerorts, in der Macht des Geldes, in dem Streben nach dem menschlichen Glück, das Wohlstand und Macht heißt. Und der Mensch lässt sich verführen. Durch sein starkes Bedürfnis nach Triebbefriedigung und seine Sehnsucht nach Glück und die Überzeugung, es mit dem eigenen Willen erreichen zu können, lebt er seinen luziferischen Anteil aus. Er kann sich sogar bewusst für die luziferische Verführung entscheiden, das heißt sich mit dem Bösen identifizieren; oder er erlangt durch sein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen dem Streben nach den Werten dieser Welt einerseits und der Ernüchterung und Enttäuschung andererseits die Reife, die ihn erahnen lässt, wo der Ausweg zu finden ist.

In einem gegebenen Moment spürt er in seinem Innersten die Antwort und weiß, dass er zu einem Stillstehen, einem Einhalten im Treiben dieser Welt gerufen ist, einem Neutralisieren der Gegensätze durch Nicht-Beachtung, dem Aushalten der dadurch aufkommenden Spannung und der Hinwendung zu seinem Innersten, das noch die Verbindung zur ursprünglichen, nicht gefallenen, göttlichen Welt besitzt, in der die Gegensätze im Allein-Guten aufgehoben sind. Kein Kampf ist erforderlich, sondern das Hören auf die innere Stimme, auf das innere Licht.


Literatur:

Die Bibel, nach der Übersetzung Martin Luthers, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 1985

Flasch, Kurt: Der Teufel und seine Engel: Die neue Biographie, C.H. Beck Verlag, 2. Auflage 2016.

Novum Testamentum Latine,  Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, 3. Aufl. 2014.

Rijckenborgh, Jan van: Die Ägyptische Urgnosis Bd. 1, Rozekruis Pers, Haarlem, 2. Aufl. 1982.

Wagner, Richard: Parsifal, Reclam Verlag, Ditzingen, 1983.

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Datum: Januar 2, 2019
Autor: Sonja Vilela (Germany)

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