Heiterkeit im scheinbar Aussichtslosen? Heiterkeit in der heutigen Menschheitssituation?
Froh zu sein bedarf es wenig,
und wer froh ist, ist ein König.
Wer kennt es nicht, dieses Kinderlied, den Kanon, der schwungvoll und froh erschallt, wenn Kinderstimmen ihn singen?
Sehr viel wartet auf uns, wenn wir auf die Welt kommen. Aber unser Blick richtet sich am Anfang nicht auf Einzelnes, nicht auf etwas Bestimmtes, sondern geht ins Weite, ins Offene. Liegt darin ein Abschiednehmen? Empfangen wir von dort Wegzehrung für einen Weg, der nicht leicht ist? Für kurze Zeit sind wir am Anfang noch eins mit dem Ganzen. Und so strahlt Königliches durch uns hindurch.
Woher kommt das Leuchten in den Augen kleiner Kinder? Wir schauen hinein und werden für Momente unserer Alltagssorgen enthoben. Es ist nicht gewollt, nicht gemacht, dieses Leuchten, es ist einfach da. Etwas strahlt durch den kleinen Menschen hindurch, eine Kraft, die ihn durch das Leben tragen wird, eine Kraft „aus heiterem Himmel“. Sie rückt in den Hintergrund, die große Weite und Tiefe, wenn der Mensch selbst groß wird, wenn er sich auf dem Feld des Vordergrundes zu einer Größe macht. Doch sie wird bei ihm bleiben.
Die Kinder selbst sind keineswegs immer froh. Ja, sie tollen auf wundervolle Weise herum, gehen voller Phantasie mit allem um, sind lebendige, staunenswerte Abbilder des großen Weltenspiels. Es macht Freude, ihnen zuzuschauen. Kinder vollbringen eine gewaltige, kaum nachvollziehbare Leistung: Sie bringen spielerisch Welt aus sich hervor, machen sich selbst zu ihr und nehmen alles, was ihnen daraus begegnet, wieder in sich auf. So lange der heitere Himmel in ihnen noch offen ist, ist es ein Kreislauf. Der Himmel kommt durch sie in die Welt hinein und sie tragen alles, was sie aus der Welt aufnehmen, zu ihm zurück.
Aus ihren Augen leuchtet königliche Kraft, die Kraft des Ganzen, die Lebenslust des Ganzen, der Frohsinn des immer neuen Aufbruchs.
Froh zu sein bedarf es wenig.
Es ist ja schon alles da. Doch der Blick ins Ganze schließt sich. Das Runde der Augen wird schmal, ihr Staunen verengt sich zu Konzentration. Die einzelnen Dinge treten hervor. Konkretes rückt in den Fokus, verstellt das Offene, die Welt wird zur Kulisse, zum Vordergrund. Es gilt nun, etwas zu lernen. Denn wie soll man da existieren, getrennt vom Ursprung? Es ist lebensgefährlich. Man muss sich rüsten, muss trainieren, um Dinge zu beherrschen. Der Lebenskampf wartet, der Kampf ums schwindende Leben. Wie soll man in dem bestehen? Man kann in ihm nicht gewinnen. Die Welt sagt: erwirb Wissen, Geschicklichkeit, setz dir Ziele, übe Tricks, Strategien. Wir gehen daran, die Schwingung des Anbeginns, die Unendlichkeit des Urgrundes zu parzellieren. Wir erkämpfen uns einen Grund und Boden, sprechen von „Eigentum“. Das Bewusstsein des Ganzen, der Wille des Ganzen lässt sich zum Ich-Bewusstsein machen, zum Ich-Willen. Die hohen Frequenzen der Freude, der Heiterkeit und Lebenslust lassen sich anwenden für Wünsche und Vorstellungen. Das hoch Schwingende lässt sich verdichten. Und so verdichten wir uns selbst, so nimmt die Durchlässigkeit des Anbeginns ab. „Sei kein Träumer, sei kein Wolkenkuckucksheimer, steh mit den Beinen auf dem Boden.“
Der kosmische Frohsinn des immer neuen Aufbruchs, das Licht der inneren Sonne tritt nur noch gefiltert in uns ein. Ängste und Wünsche, Lob und Tadel, Stolz und Niedergeschlagenheit haben sich davorgeschoben.
Namenlos sind wir auf die Welt gekommen. Und schnell haben wir einen Namen erhalten. Nun hören wir auf ihn, denn er bezeichnet unsere Existenz, verbürgt sie, macht sie amtlich. „Ja, das bin ich“, sagen wir, wenn unser Name erklingt. Aber bin ich das wirklich?
Wir spielen mit im Lebensspiel. Jeder tut es. Manchmal sind wir gut, manchmal nicht so gut. Wer hat die Hauptrolle? Darauf achten wir. Wer ist „König“? An das Kinderlied denken wir nicht mehr.
Wer froh ist …, ist ein König.
Das Königtum ist immer noch da, nun aber verborgen. Immer noch schickt der König Botschaften. Wir empfangen sie – und machen sie passend für uns. Die Menschheitsgeschichte ist voll vom Spiel der Könige. Krieg und Vernichtung gehen damit einher. Millionen haben ihrem „König“ gedient und tun es heute noch. Sie kämpfen für ihn, sterben für ihn. Das Bild des Königs, das Bild des Herrschens prägt sich tief ein. Und was sich einprägt, will sich verwirklichen. So will jeder irgendwann König sein, will herrschen, über irgendetwas.
Und dann kommt der Tod, und es kann ein Wunder geschehen. Die brechenden Augen haben die Wünsche losgelassen und richten sich wieder ins Offene, in die Weite des Anbeginns. Und in ihnen leuchtet, trotz der kläglichsten Situation, Frohsinn, aus „heiterem Himmel“. Die Seele lässt die Enge des Körpers zurück, macht den Schritt ins Unbegrenzte, wird in Empfang genommen von dem, aus dem sie kam.
Aber: Wir haben Wolken erzeugt in unserem Leben. Sie begleiten uns und verdunkeln das Seelische. Wir sind zum Ergebnis von dem geworden, was wir getan, gewollt, gedacht, gefühlt haben. Das äußere Kostüm ist abgelegt, doch ein inneres tragen wir weiter. Die Sonne des Ganzen durchstrahlt uns – nun sind wir sehr durchlässig. Und in ihrem Licht bildet sich unser Leben ab. Staunend, vielleicht auch erschaudernd, erheben sich Fragen: Das habe ich getan? Das ist durch mich entstanden? Das ist von mir in andere Menschen und in die Welt hineingeflossen? So viel von mir ist noch in der Welt?
Und so kehrt die Seele irgendwann zurück auf die Weltenbühne. Das Spiel ist noch nicht zu Ende. Alles, was von ihr stammt und was die Erde für sie aufbewahrt hat, tritt ihr entgegen. Aber zunächst einmal ist sie wieder Kind, und vielleicht singt sie mit in einem Kanon, in anderer Sprache, in anderem Land, der dem früher gesungenen entspricht:
Froh zu sein bedarf es wenig,
und wer froh ist, ist ein König.
Nun regt sich eine Ahnung, das Lied erzeugt nicht nur Frohsinn, sondern spricht Unbewusstes an, verborgene, unentfaltete Einsicht. Es wird zum Impuls, zum Wachstumsimpuls. Tiefe und Weite klopfen an. Die Welt schüttet das schnell wieder zu. Das Kind wird herangezogen, brauchbar gemacht. Denn der Ernst des Lebens wartet.
Doch manchmal spricht eine Stimme dazwischen, störend, mitten in wichtigen Dingen zwingt sie uns zum Innehalten. Wir halten ein, schauen ins Offene, lauschen. Was beunruhigt mich da? Wir wenden uns wieder unserer Beschäftigung zu. Aber: Was mache ich da eigentlich? Was geschieht eigentlich? Und es kommt ein Unbehagen: Wir nennen die Dinge nicht bei ihrem richtigen Namen. All das, was geschieht, bedeutet etwas. Aber was? Was ist der wahre Name der Dinge? Was ist mein wahrer Name?
Ich grüble, träume – und befestige mich nicht mehr so stark. Ganz plötzlich leuchten Impressionen auf: aus einer Zukunft, meiner Zukunft?, aus einer Vergangenheit, meiner Vergangenheit?
Wer froh ist, ist ein König.
Eigenartige Einsichten stellen sich ein und machen froh. Ich spiele das Spiel weiter mit, lerne meine Rollen. Aber im Innern werde ich ein Anderer, eine Art Fremdkörper. Ich bin nicht nur die Figur im Schauspiel. Sie besetzt mich zwar, enterbt mich auch irgendwie eines Königtums, eines Lichtreichs, von dem ich nur vage Impressionen erhalte, und das auch nur selten. Doch Märchen, Legenden, Philosophien und spirituelle Aussagen sprechen auf besondere Weise zu mir. Jeder von uns ist ein König ohne Land. Wir sind wie auf hoher See, hin- und hergeworfen. Und dann, wenn es gut ist, zeigt sich Land. Ein eigenartiger Gedanke taucht auf: Die Regisseure des Spiels, die mich dirigieren, die wie fremde Herrscher mein inneres Territorium besetzen – kommen sie zu mir, weil sie in der Tiefe etwas ganz anderes erwarten als mein Vasallentum? Suchen sie Erlösung und bedürfen sie des anderen Menschen dazu?
Wie sehr doch die innere Sonne hineinspielt in die Dinge der Welt, auch in ihre Dunkelheiten! Sie leuchtet in der Zartheit einer Blüte, im Lächeln eines Menschen, im Zwitschern eines Vogels. Aber sie kann auch durch verkniffene Augen leuchten. Plötzlich gehen einem Menschen die Augen auf.
Inneres Licht kann Leiden, Kummer, Schmerz, Irrtum durchstrahlen. Spielerisch behandelt es sie als Rohstoffe, verfertigt etwas daraus: Weisheit, Einsicht, Güte. Ohne uns geht es nicht. Wir werden zubereitet, sollen mitarbeiten an unserer Verwandlung, mitarbeiten am Ganzen, sollen Schwere in Leichtigkeit verwandeln. Es gelingt in der Schwingung des Frohsinns.
Mitten in schwere Verwicklungen bricht plötzlich Heiterkeit ein wie ein Dieb. Ist das nicht peinlich? Heiterkeit in dieser Situation? Heiterkeit im scheinbar Aussichtslosen? Heiterkeit in der heutigen Menschheitssituation? Das ist verantwortungslos, geistig gestört, erregt Kopfschütteln.
Durch die offene Tür des Herzens dringt Licht in uns ein und führt zu Frohsinn. Er enthält Arbeitsaufträge. Wie soll ich sie ausführen?
Froh zu sein bedarf es wenig.