Die freundliche Sonnenblume

Die freundliche Sonnenblume

Die Bogenreihen der Sonnenblumensamen beginnen mit einem Winkel, der genau dem Winkel in einem Fünfeck entspricht. Und immer sind genau 34 Spiralen nach rechts gebogen und genau 55 nach links.

Diese beiden Zahlen gehören zur Fibonacci-Reihe, in der der Goldene Schnitt verborgen liegt. Und das alles durch Zufall?

Heitere Helianthus Hilaris

An einem sonnigen Morgen fand ich mich plötzlich auf einem neuen Weg, den ich vorher noch nie gegangen war. Ich war in eine völlig unbekannte Gegend geraten.

Vor einem einzelstehenden Haus erstreckte sich ein großer gepflegter Vorgarten mit einem Rondell voll verschiedener Rosen, und direkt am Zaun ragte eine unwahrscheinlich hohe Sonnenblume in die Höhe, ich schätzte ihre Höhe auf weit über zwei Meter. Ihre große und schwere Blüte beugte sich wie eine Bogenlampe von oben herab über den Zaun.

Ich bleibe stehen und schaue zu ihr empor. Und es ist, als ob sie freundlich zurückschaut.

„Du bist schön und strahlst wie die Sonne“, denke ich. „Deine Samen ordnen sich in harmonischen Reihen in vollkommener Weise an. Wie hast du diese Vollkommenheit hergestellt? – das ist mir rätselhaft. Ich möchte dieses Rätsel gern ergründen und spüre, dass darin auch eine Antwort für mich verborgen ist.“

„Viele Menschen bleiben stehen, wenn sie mich sehen. Die Reihen meiner Samen bringen sie ins Nachdenken,“ spricht sie mich an.

„Ja“, sage ich, „mich auch. Wie kannst du es so genau machen – kannst du zählen?“

„Ich weiß nicht was zählen ist“, sagt sie“, aber ich habe zu meiner Geburt ein Pentagramm geschenkt bekommen.“

„Ein Fünfeck?“ frage ich, „was hat das mit der Ordnung deiner Samen zu tun?“

„Zuerst legt sich das Fünfeck in die Mitte, wenn die Samen sich bilden wollen.“

„Wie entstehen die Spiralen? Bildest du mit den Spiralen die Sonnenbahn ab?“

„Nein, die Spiralen entstehen nachts.“

„Schaust du dabei in die fernsten Fernen – bis zu den Spiralnebeln?“

„Das kann so sein. Wenn sich dann die Reihen der Samen zu ordnen beginnen, schaudert es mich ganz tief, und ich bin unendlich glücklich. Ich habe das Gefühl, dass sie zuerst umeinander tanzen und dann langsam ihren Platz finden.“

„Was hast du denn zu deiner Geburt geschenkt bekommen?“ fragt sie nach einer Pause weiter.

„Ich weiß nicht – habe ich zur Geburt etwas geschenkt bekommen?“

„Natürlich! Jeder hat doch etwas Besonderes geschenkt bekommen: … wir Blumen, die Bäume … die Tiere … die Vögel … die Käfer … die Steine … jeder hat etwas Besonderes bekommen.

Ich hörte, dass ihr Menschen am meisten von allen geschenkt bekommen habt. Ihr könnt sehen, hören, fühlen, handeln, gehen – und ihr sollt sogar ‚denken‘ können. Ich weiß nicht, was es ist, aber es muss etwas ganz Wunderbares sein.“

Ich stehe still.

Habe ich wirklich gehört, dass eine Sonnenblume zu mir spricht – oder ist es nur eine Einbildung? Aber wie ist es möglich – die Abbildung eines Spiralnebels in den Samenreihen einer Blume?

Ich muss mich setzen.

„Könnt ihr Menschen mit dem Denken verstehen, wie die Welt entstanden ist?“

„Ja, Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass es vor rund 14 Milliarden Jahren den Urknall gab, aus der die heutige Welt entstanden ist.“

„Haha“, lachte die Sonnenblume laut auf, „du machst einen Scherz! Das habe ich noch nie gehört … durch einen Knall. Die ganze Welt soll durch einen Knall entstanden sein. – Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie gelacht, jetzt platze ich noch vor Lachen, …. durch einen Knall! … nein wirklich zu komisch!“

Als sie sich wieder beruhigt hat, sagt sie: „Ich wusste gar nicht, was Lachen ist und warum man lachen muss … jetzt habe ich es erlebt. Lachen ist etwas Wunderbares, etwas Befreiendes! – Aber das hast du doch nicht wirklich im Ernst gesagt?“

„Doch, das ist der Ernst von den meisten Wissenschaftlern und so wird es auch in den Schulen gelehrt.“

„Fragen die Kinder nicht, was vor diesem Urknall gewesen sei?“

„Da hast du vollkommen recht, das ist meistens die erste Frage und soviel ich weiß gibt es darauf keine befriedigende Antwort, sondern nur ausweichende Theorien.“

„Hat den Wissenschaftlern niemand von Gott, dem Schöpfer des Universums erzählt?“

„Doch, aber die meisten sehen den Glauben an Gott als Kinderkram ab. Und wenn ein Wissenschaftler von Gott spricht, wird er ausgestoßen.“

„Oh Gott!!“, entfährt es der Sonnenblume, „ich habe gedacht, dass ihr Menschen das allerhöchste, alleredelste und allerklügste Geschöpf der Welt seid. Und nun sagst du, dass die meisten Menschen nicht an Gott glauben. Alle Wesen, vom kleinsten Käfer bis zum größten Adler glauben an ihren Schöpfer; sie glauben nicht nur, sie wissen es bis in jede Zelle ihres Körpers.

Nun sagst du, die Menschen glauben nicht an Gott. Das muss doch ganz furchtbar sein, ganz dunkel! Ich bin ganz tief erschüttert. Eben noch habe ich mich vor Lachen geschüttelt, und jetzt bin ich todtraurig, so traurig, wir ich noch nie in meinem Leben war. – Wie ist so etwas möglich?“

„Es ist nicht so, dass die meisten Menschen dies so glauben, sondern bei vielen und auch bei Wissenschaftlern ist es oft so, dass sie öffentlich den Glauben an Gott verneinen, aber im privaten Gespräch dann schon zugeben, dass sie an einen Schöpfer glauben.“

„Vielleicht sollt ihr Menschen durch dieses Dunkel hindurch gehen, um den Vater zu vermissen und sich nach ihm zu sehnen? Vielleicht …“

„Gefällt Ihnen meine Sonnenblume, mein Herr? Ein Prachtexemplar, nicht wahr? Ich bin stolz darauf!“

Ich schrecke auf – ich habe den Hausherrn gar nicht kommen hören.

„Äh, ja … ein großes Exemplar … wirklich ein schönes … meinen Glückwunsch!“ reiße ich mich zusammen.

„Ja, wissen Sie, ich bin pensionierter Biologe und züchte seit meiner Kindheit Sonnenblumen. Es ist mir eine Freude, sie dann aus dem kleinen Samen so hoch aufsprießen zu sehen.

Kennen Sie das Geheimnis der Anordnung der Samen? Sehen Sie, sie sind in zwei Bogenreihen angeordnet, und zwar sind es immer genau 34 Spiralen nach rechts gebogen, und genau 55 nach links gebogen. Schon als kleiner Junge habe ich sie gezählt, und gestaunt, dass es immer genau diese Zahlen sind.“

„Man könnte denken, dass Sonnenblumen zählen können,“ werfe ich ein.

„Genau – aber das ist natürlich Unsinn. Im übrigen sind diese beiden Zahlen 34 und 55 aus der Fibonacci-Reihe. Vielleicht haben Sie davon gehört? In dieser ganz einfachen Zahlenreihe – es werden nur immer die beiden vorangehenden Zahlen zu der neuen Zahl zusammengezählt – in dieser Fibonacci-Reihe ist die Zahl des Goldenen Schnitts verborgen.

Und meine Kollegen haben inzwischen herausgefunden, dass die Bogenreihen der Sonnenblumensamen mit einem Winkel beginnen, der genau einem Winkel in einem Fünfeck entspricht, und zwar auf 0,01 Grad genau! Nicht wahr, das ist verblüffend, und es bestärkt mich, dass in der Natur noch viele Geheimnisse versteckt sind, die darauf warten, gelöst zu werden. Und das größte Geheimnis ist wohl der Mensch, oder? Aber was stehen wir hier am Zaun, darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee oder Tee einladen, machen Sie mir die Freude?!“ Und er öffnet mir das Gartentor.

„Ja, gern,“ sage ich und trete ein. Ich drehe mich noch einmal zur Sonnenblume um; sehe ich da ein Lächeln in ihrer Blüte? Aber das ist wahrscheinlich Einbildung.

Ich schließe das Gartentor hinter mir. Hier beginnt eine neue Geschichte, aber dazu ein ander Mal.

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Datum: März 8, 2025
Autor: Joachim Plackmeyer (Germany)
Foto: sunflower-Bild-von-Mandy-Selig-auf-Pixabay CCO

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