Der Tod – Tür ins Offene

Der Tod – Tür ins Offene

Da wir im Allgemeinen gewohnt sind, Tod und Sterben zu verdrängen, kann unser Leben nur an der Oberfläche dümpeln, unsere Ausrichtung, unser Interesse nur Äußerlichkeiten gelten.

– Und dieses Äußere unterliegt, wie sollte es anders sein, dem gnadenvollen Gesetz der Vergänglichkeit.

Ihr sollt nur den heutigen Tag kennen und die jetzige Stund. Was gehen die Sorgen des morgigen Tages den heutigen an? Der Tod kommt nämlich nicht morgen, er kommt heute.
Paracelsus

 

Ein Gespräch zweier Freunde, die sich nach längerer Zeit zufällig im Bäckerladen unten in der Stadt treffen:

 

–Hi Alter, wie gehts, ewig nicht gesehen! (sie umarmen, knuffen sich)

– Dank der Nachfrage, man macht sich das Sterben nicht immer leicht …

– Wie, hör ich richtig, bist du schwer krank, denkst ans Sterben oder so?

– (Lachend) Ja, ich denke ans Sterben, eigentlich schon eine geraume Zeit …

– Aber du schaust mir gar nicht nach Sterben aus, deine Aun lachen und du klingst irgendwie nicht ernst, irgendwie angeheitert; aber du trinkst ja nichts, wenn ich mich recht erinnere?

– Naja, da gibts Verschiedenes zu trinken, mein Lieber, vor allem Spirit, doch denke ich da nicht unbedingt an Spirituosen …

– Erzähl genauer, komm lass’ uns hier einen Kaffee trinken.

Der Eine beginnt zu erzählen, der andere fragt dann und wann nach.

  • Meine alten Vorstellungen, Kompliziertheiten, Neurosen, Sorgen, die dürfen sterben, damit ich leben kann. Und alle meine Schwierigkeiten kommen doch nur daher, dass ich irgendwie in diesen alten Dingen stecken bleibe …

Nun, in eigenen Worten, einige weitere Inhalte aus dem Gespräch.

Anfangs drehte es sich um Sorgen und Ängste …

Wir Menschen sind echt etwas Eigenartiges. Machen uns Sorgen über dieses und jenes – und sind den ganzen Tag über mit irgendwelchen Banalitäten beschäftigt, unsere schnatternden, rastlosen, wirren Gedanken beschäftigen uns Tag und Nacht, dann bewegen wir dies von da nach dort, und das von dort nach da und stöhnen darüber, wie schwer es ist, laufen unserer Arbeit nach, die uns irgendwie ernährt, uns allerdings selten wirkliche Freude bereitet; fühlen uns – in den vielen Momenten unseres Lebens – wie die Ratten in einem Laufrad.

Oft braucht es Katastrophen, zumindest ordentliche Krisen, in denen wir durchgeschüttelt werden vor Enttäuschung und Gram, bis wir uns zu fragen beginnen, wozu und warum das wohl gut ist, womit wir hier auf diesem Erdenrund geschäftig sind. Aus dieser Qual, diesem Schmerz unserer Seelen beginnen wir dann (wenn es gut ist), Fragen zu stellen, beginnen unsere Fühler auszustrecken nach etwas anderem – wir ahnen es ja. Es muss, ja muss so etwas geben wie Paradies … Neben mir siechen die Menschen, werden krank aus Frust und Sinnlosigkeit, sterben sehr oft zutiefst unerfüllt; viele, gerade in unseren Tagen, gehen dahin – plötzlich und unerwartet. Und wozu?

Vor allem die westliche Menschheit folgt – seit vielen Jahrhunderten irregeführt – restlos veräußerlichten Lebenszielen, wie Macht, Ansehen, Wohlstand …

Ein Funke der Ewigkeit klopft am Tor unserer Seele, unseres Gewissens – und was tun wir? Wir erstarren in Sorge und Angst vor der Zukunft und vor dem Tod, der all unser Streben und unsere Ziele auflöst in ein schwarzes Nichts. – Ist ja schließlich kein Wunder, denn über kurz oder lang entpuppt sich der schöne Schein, das zufriedene, selbstgefällige Grinsen über unsere Großartigkeit als Illusion und Unwirklichkeit.

… und dann kam der Tod zur Sprache und die Ordnung im Universum.

Da wir im Allgemeinen gewohnt sind, Tod und Sterben zu verdrängen, kann unser Leben nur an der Oberfläche dümpeln, unsere Ausrichtung, unser Interesse nur Äußerlichkeiten gelten. – Und dieses Äußere unterliegt, wie sollte es anders sein, dem gnadenvollen Gesetz der Vergänglichkeit, dem Tod. Der Tod gehört ganz normal zur Ordnung des Universums, zumindest in dessen uns so bekanntem Teil, in dem alles kommt und geht. Der Tod ist nämlich die Garantie dafür, dass alles, was nicht tauglich ist fürs Unendliche, über kurz oder lang auseinanderbricht, aufgelöst – wörtlich: liquidiert (verflüssigt)– wird.

Die unleugbare Vergänglichkeit alles Irdischen stellt den bewusst werdenden Menschen immer wieder vor die wesentliche Frage der Existenz. Ohne Tod hat das Leben keinen Sinn und keine Tiefe. Der Tod ist, so könnte man sehr realistisch sagen, das Salz des Lebens. Durch das Ende, durch den Tod nimmt das Leben Fahrt auf, wird dynamisch, feurig, bekommt Gewicht und vor allem Tiefe. Wir können den brennenden Fragen nach dem Woher und Wozu nicht mehr ausweichen. Und es liegt nur an uns, ob wir Teil der stumpfen Masse bleiben, jener Masse, die in Ablenkung, oberflächlich ängstlich, unlustig, von Illusionen geschüttelt und krank dahintreibt – oder ob wir beginnen, uns für die Hintergründe und Zusammenhänge des Lebens zu interessieren, für jene Gesetze und Kräfte, die die Welt im Innersten zusammenhalten.

Eine philosophische Orientierung kann nicht ausbleiben. Wozu leben wir, wenn wir doch sterben müssen? Jene Menschen, die dies spüren, und dabei bleiben und sich nicht blenden und lähmen lassen von der westlichen Digital-Komfortzone, die steigen erstmal – zumindest innerlich – aus und machen sich auf die Suche. Denn, dass Bruder Tod, Gevatter Hain der alten Erzählungen, nicht zu leugnen ist, steht glühend und todsicher vor den Augen jener, die diese nicht mehr verschließen. Ja, und irgendwann, meist recht bald, hören wir (da wir immer weniger ignorant den Tatsachen gegenüber sein können), dass es eigentlich gar keinen Tod gibt, dass der Tod eine optische Täuschung ist (Einstein). – Und das ist eine riesige Freude, die uns allerdings nur zuteil wird, wenn wir bereit sind, das Unsterbliche, das Unendliche, den Spirit-in-uns anzunehmen und unser Leben danach auszurichten beginnen, in selbstverständlichem Wohlwollen und guter Gesinnung unseren Mitmenschen gegenüber.

… die beiden Freunde kamen nun auf das Thema Unsterblich-sein, und da nahm das Gespräch eine interessante Wendung. Eine unerklärliche Heiterkeit durchzog die beiden.

Wir brauchen eigentlich nicht unsterblich zu werden, weil wir es bereits sind. Zumindest prinzipiell. – Ein großer Protest steht in deinen Augen bei diesen Worten, natürlich. Wenn wir die Wandlungen des Lebens Tod nennen, so stirbt eigentlich jeden Augenblick etwas in und von uns. Millionen Zellen unseres Körpers sterben jede Sekunde ab und werden erneuert; alle Lösungsvorgänge, so banal und alltäglich sie auch sind, sie dienen dem Leben. Wenn in der Bibel der Satz steht, die Seele, die sündigt muss sterben, so kann man dieses Sterben als ein Entbinden, eigentlich Verwandeln dessen verstehen, was nicht in Resonanz steht mit dem urpranischen Licht. Das, was an Ewigkeitswerten in uns lebt, das stirbt nicht. Die Kräfte des Urlichtes arbeiten in uns transformierend, wir befinden uns sozusagen im Athanor, im alchymischen Ofen, und der brennt am Heißesten im Herzen.

Die Gretchenfrage: Was kann ich nun dazu tun zum Sterben?  In Goethes Faust stellt Gretchen dem Doktor die Frage, wie er es mit der Religion hält. Das ist die eigentliche Frage überhaupt: religare, wörtlich verbinden. Also wir, die sterblich-stofflichen Geschöpfe, müssen uns mit unserem Inneren, dem Unsterblichen-in-uns, oder Christus oder Krishna-in-uns, verbinden. Und dann kann der Tod tatsächlich in jedem Augenblick von uns begrüßt werden; nur dann sind Tod und Sterben keine Schreck-Gespenster mehr, sondern freudige Türen zu Noch-mehr-Licht, die täglich, tags und vor allem nachts, durchschritten werden können.

Alles Alte, meine Vorstellungen, Urteile, ja genau, meine Meinungen, werden mir bewusst; ich hinterfrage und überprüfe und übergebe sie immer und immer wieder dem Feuer-des-Herzens, dem Athanor, manchmal mit Schmerzen, manchmal mit Drama, manchmal leicht und mit Liebe.

Das mit dem Unsterblichen ist im Prinzip also recht einfach. Ist es einmal in mir entschleiert, so  bleibt es fürs praktische Leben DIE Lebensaufgabe schlechthin. Alle Fragestellungen des Lebens gelangen in unseren „Briefkasten“, zugestellt vom Boten namens Schicksal oder Karma. Wenn Karma wieder einmal etwas für uns vorbei bringt, etwas aus den geheimnisvollen Ländern des Unbewussten, und wir die Botschaft ignorieren, dann kommen weitere Schreiben, Erinnerungen sozusagen, die von Mal zu Mal strenger ausfallen.  Bis wir zerbrechen oder lernen, keinen Widerstand mehr zu leisten und das annehmen, was auf uns zukommt. Und je mehr ich mich mit den Fragestellungen beschäftige, sie mit Interesse ergründe, desto schneller wandeln sich etwaige Probleme,  sterben gleichsam ins Licht hinein.

Ein wunderbares Beispiel dafür ist die Kerze. Ist der Docht erst einmal entzündet – durch den Funken, stirbt das Wachs in die Flamme hinein; was entsteht, sind Licht, Wärme, Wohlbehagen – – – Leben.

Die wirklich einzige Voraussetzung für dieses Glückliche ist unser Leben im flammenden Heute. Ja, das Leben kann zu einem täglichen Fest werden. Durchziehen meine ängstlichen Gedanken jedoch als Sorgen um den morgigen Tag mein Wesen, lebe ich also nicht im aktuellen Jetzt, bin ich lebend tot. Der Tod kommt nicht morgen, er kommt heute. Er ist dann schon da.

Die beiden Freunde schauten sich an. Sie  hatten das Gefühl, als hätte das Leben  sie gerade  auf sanfte und mahnende Weise  berührt …


Ruediger Dahlke, Von der großen Verwandlung – Wir sterben und werden weiterleben, Crotona Verlag, 2011

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Datum: Februar 8, 2025
Autor: Klaus Bielau (Österreich)
Foto: candle-Bild von Gerd Altmann auf Pixabay HD

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