Der Golem Teil 1: Die Vergangenheit

Die Legende vom Golem hat einen Bezug zur Urvergangenheit der Menschheit – und zur griechischen Mythe von Prometheus

Der Golem Teil 1: Die Vergangenheit

Es gibt ein Thema, das die Menschheit auf ihrer Reise in und durch die Materie begleitet. Äußerlich betrachtet, hat es sich durch die Zeiten hin verändert. Seine Essenz bleibt jedoch immer die gleiche: Wir wollen ebenfalls Schöpfer sein, wie Gott.

In der jüdischen Legende vom Golem findet dieses Bestreben einen prägnanten Ausdruck. Der Golem wurde von einem Rabbi aus Lehm geformt und zum Leben erweckt.

Näher ist uns westlichen Menschen wahrscheinlich die Geschichte von Mary Shelley „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ (1818) und vor allem die Filme, die sich darauf stützen.

Das Thema reicht bis in eine graue Vorzeit zurück. Geistige Lehrer sprechen davon, dass es einmal einen Kontinent mit Namen Lemurien gab. Es wird gesagt, dass dieser große Kontinent vor etwa 850.000 Jahren im Ozean versank. Australien, Madagaskar und die Osterinsel gelten als Überreste, die von den Wellen verschont wurden.

In einem Artikel über Australien schreibt Jan van Rijckenborgh:

Die äußerst primitiven und groben tierhaften Persönlichkeiten der Lemurier wurden von Monaden oder himmlischen Wesen durchdrungen, die noch nahezu vollständig im ursprünglichen [geistig-seelischen] Feld existierten. Ein Teil der ursprünglichen Menschheit war in jenen Tagen noch auf dem Weg der Involution, dem Weg des vollkommenen Eintauchens in die stoffliche Welt. Der himmlische Mensch war noch nicht im Schlaf versunken, Prometheus war noch nicht vollkommen gefesselt. Allerdings hatte dieser Teil der Menschheit, der schon nicht mehr unter göttlicher Leitung stand, bereits eine primitive, grobe, missgestaltete Persönlichkeit geschaffen, die keine eigene Intelligenz besaß.

Dieses tierhafte Geschöpf glich einem Golem, einem Roboter, einem lebendigen Automaten aus Fleisch, Knochen und Muskeln, der vollkommen auf seinen halbgöttlichen Schöpfer reagierte und dessen Instrument war. Als Roboter war er für den Gott-Menschen in seinem Niedergang ein Spielzeug und ein Werkzeug, mit dessen Hilfe er in der groben Materie der Dialektik wirken konnte. Und so führte der tierhafte Sklave – soweit die grobe Materie es erlaubte – die wunderlichen und bizarren Ideen und Aufträge der ihn lenkenden Monade aus.

Er baute enorme Städte mit seltsamen Formen und schuf aus dem Lavastein große Standbilder, welche die Monaden darstellen sollten.[1] 

Die Idee eines Himmels auf Erden

So können wir sehen, dass in sehr frühen Zeiten ein Teil der menschlichen Geistseelen damit beschäftigt war, sich immer enger mit der Materie zu verbinden. Es ist der Weg einer Involution des Geistigen. Auf diese Weise wurden die Lemurier zu Doppelwesen. Man könnte fragen: Warum haben sie das getan, die Geistseelen, warum haben sie diesen Weg gewählt? – Es ist eine Schlüsselfrage. – Es scheint, dass der Mensch das Bedürfnis hat, selbst so zu sein wie Gott. Und das nicht ohne Grund, denn seine Wurzeln liegen im Göttlichen. In der Tiefe besitzen wir einen göttlichen Kern. Doch wie realisieren wir dieses Potenzial? In Lemurien wurde offenbar mit dem Versuch begonnen, die Idee vom Himmel auf Erden zu verwirklichen.

Es stellte sich allerdings heraus, dass die Realität anders war. Was fand statt? Himmlische Kräfte erschufen eine Persönlichkeit mit einem irdischen Körper als eine Art „Fahrzeug“, in der Annahme, sie würde sich zu einem neuen göttlichen Menschen entwickeln, einem Menschen, in dem die Monade, der individuelle Gott, leben und sich ausdrücken könnte. Der Versuch war, wie gesagt, verständlich, aber für die Geistseelen auch gefährlich, wenn man bedenkt, was daraus wurde. Das aus irdischer Materie entwickelte Wesen errang eine Dominanz. Das Göttliche fand sich in einem „Haus des Fleisches“ eingeschlossen und konnte sich nicht mehr frei offenbaren. Es verschwand in seine eigene Schöpfung hinein.

Davon legen die Skulpturen der Osterinsel Zeugnis ab, sogar mit einer gewissen Ironie. Die Monade wurde durch ihre lemurische Persönlichkeit in der Materie abgebildet. Allerdings konnte der Lemure nicht wissen, dass er damit auch seine eigene Zukunft darstellte – in einem Testament aus Stein. Er konnte nicht wissen, dass sein innerstes eines Tages so sein würde wie diese Skulpturen: ein Bild mit toten Augen.

Und nun stehen diese Skulpturen auf einer Insel, die noch nicht von den Meereswellen verschluckt worden ist. Heillos starren sie ins Weite und scheinen auf jemanden zu warten, der sie aus ihrem Unheil, ihrer Erstarrung, rettet.

Die mysteriösen Skulpturen der Osterinsel sprechen sowohl zu unserer Vorstellungskraft als auch zum Unterbewusstsein. Sie wurden zum Gegenstand vieler historischer und wissenschaftlicher Theorien. Nach einer Legende der Bewohner der Insel sind die Kolosse eines Tages von alleine angekommen. Wenn wir das von einem spirituellen Standpunkt aus betrachten, liegt darin eine gewisse Wahrheit. War es nicht der Licht-Mensch, der vom Himmel auf die Erde kam und auf der materiellen Ebene Experimente anstellte? Die Folge davon waren der Verlust seines freien Willens und der Verlust seiner göttlich-geistigen Gestalt.

Der gefesselte Prometheus

Aus dem Zitat von Jan van Rijckenborgh lassen sich Bezüge herstellen zu Mary Shelleys Frankenstein und zur Gestalt des Prometheus aus der griechischen Mythologie. Der Name Prometheus bedeutet „der Vorausdenkende“. Er stahl das Feuer der Götter und brachte es den Menschen, weil er meinte, sie seien schlecht ausgestattet für ihr Leben. Als Strafe dafür kettete Zeus ihn an einen Felsen. Täglich nagte ein Adler an Prometheus‘ Leber, die sich während der Nacht wieder regenerierte. Schließlich tötete Herakles den Adler und befreite Prometheus.

In Mythen sind bisweilen spirituelle Wahrheiten verborgen. Wir haben gesehen, wie in der lemurischen Ära der göttliche Mensch, die feurige Geistseele, durch Experimentieren an die materielle Gestalt gebunden wurde. Sie wurde gleichsam an einen Felsen gekettet. Das, was weiterhin an Kräften von ihr ausgeht, wird von den Naturkräften verschlungen. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass wir selbst der Mensch sind, an den Prometheus gekettet ist und der die von ihm ausgehenden Impulse für sich in Anspruch nimmt. Ja, wir sind das Resultat der beschriebenen Entwicklung. In der Tiefe unseres Wesens ist Prometheus an uns gekettet. In dieser Tiefe liegt unsere wahre Identität.

Auch lassen sich Parallelen ziehen zwischen Prometheus und Luzifer. Beider Aktionen sind rebellisch und experimentell. Beide sind Licht-Träger, doch ihr Geistfeuer versinkt in dem Versuch, ein weltliches Königreich zu schaffen und hier dauerhaft die Vollkommenheit zu verankern.

Somit können wir sehen, dass die Themenkreise Identität und Imitation eine große Rolle in der menschlichen Entwicklung spielen.

– Wer bin ich?

– Woher komme ich?

– Wohin gehe ich?

– Welchem Weg soll ich folgen?

Wenn dich jemand fragt: „Wer bist du?“, was wirst du antworten?

Im zweiten Teil von „Der Golem“ werden wir erkunden, ob uns unser gegenwärtiges Bestehen Hinweise zu diesen existenziellen Fragen geben kann.

 


[1] In: Pentagramm 2008, Heft 4, S. 7

Print Friendly, PDF & Email

Share

LOGON Magazine

Bestellmöglichkeiten

über unseren Online-Shop oder per Email: shop@logon.media

  • Einzelheft 10 €, inkl. Versand (Ausland 14 €, inkl. Versand)
  • Einzelheft digital 4 €
  • Print-Abo 36 €, 4 Ausgaben/Jahr, inkl. Versand (Ausland 52 €), fortlaufend, Kündigung jederzeit möglich.
  • Digitales Abo 15 €, 4 Ausgaben/Jahr zum Download (pdf), fortlaufend, Kündigung jederzeit möglich.

Unsere neuesten Artikel

Post info

Datum: Februar 28, 2019
Autor: Niels van Saane (Bulgaria)
Foto: Marion Pellikaan

Bild: