Das andere Ufer

In vielen Religionen wird von der großen Umwendung, dem Überqueren der Styx, oder der Akademischen See, dem anderen Ufer gesprochen. Der Grundgedanke ist ähnlich and weist auf ein Überwinden der Welt der Gegensätze und Beschränkungen und auf den Tod hin.

Das andere Ufer

Im Mahayana Buddhismus wird dies in dem Diamant Sutra so beschrieben:

O Erleuchtung, die du gegangen, gegangen, hinübergegangen zum anderen Ufer, völlig zum anderen Ufer hinübergegangen bist .

Das Diamant Sutra ist ein Zwiegespräch zwischen Buddha und einem fortgeschrittenen Schüler, Subhuti. Es behandelt in 6 Abschnitten die Praxis zur Erlangung der Weisheit und Erleuchtung (Prajna-Paramita) und richtet sich an Bodhisattvas . Diese sind:

Die Vollkommenheit der Gabe: Der Geist wird beunruhigt durch Unterscheidungen der Sinnesbegriffe… und verfällt in falsche Vorstellungen wie dem eines eigenen Selbst und seine Beziehungen zu anderen Selbsten. Bei der Ausübung der Mildtätigkeit der Gabe, muss der Geist frei gehalten werden von allen Gedanken, die in ihm entstehen. Die Mildtätigkeit gegenüber anderen Wesen, muss von dem Wissen ausgehen, dass alle lebenden Wesen in Wirklichkeit keine lebenden Wesen sind. ..Ein Bodhisattva, der Mildtätigkeit mit einem von allen Formbegriffen losgelösten Geist ausübt, gleicht einem Mann mit offenen Augen in der Helle des Morgens“.

Die Vollkommenheit selbstloser Güte: Ein Merkmal eines Bodhisattvas ist die uneingeschränkte Nächstenliebe mit allen lebenden Wesen, wobei er sich bewusst ist, dass es keine willkürliche Unterscheidung zwischen einem Selbst und dem Selbst Anderer gibt, und deshalb sollte er Mildtätigkeit nicht nur allein durch Verschenken materieller Gaben üben, sondern auch durch die selbstlosen Gaben der Güte und Sympathie.

Die Vollkommenheit der Demut und der Geduld: Der Jünger, der noch Gedanken an einen geistigen Fortschritt hegt und denkt, er habe eine bestimmte Stufe der Befreiung erlangt, hängt immer noch im Netz der Phänomene. Aus diesem Grunde müssen die Bodhisattvas einen reinen, hellen Geist entwickeln, der nicht abhängt von Formen, Tönen, Gerüchen oder irgendeiner Eigenschaft. Sie sollen ihre geistigen Fähigkeiten spontan und natürlich gebrauchen, unbeeinflusst von irgendwelchen Vorurteilen, die aus den Sinnen entstehen.

Die Vollkommenheit der Energie bezieht sich auf die unermesslichen und unbegreifbaren Verdienste, die ein Jünger erwirbt, der diese Schrift (das Diamantsutra) versteht, befolgt und Anderen erklärt. Wo sich diese Schrift befindet, werden alle Götter, Menschen und Geister ihre Verehrung bezeugen.

Die Vollkommenheit der Meditation: ein guter und frommer Jünger, der die Erleuchtung erreichen möchte, sollte nur einen Gedanken hegen, nämlich: wenn ich dieses höchste, vollkommene Wissen erlangt haben werde, so will ich alle lebenden Wesen zum ewigen Frieden Nirwanas führen. Wenn dieses Gelübde aufrichtig ist, so sind alle lebenden Wesen schon befreit, d.h. dass alle lebenden Wesen die Möglichkeit der Erlösung eröffnet wurde. Der Erleuchtet verzichtet damit auf den Eingang in das Nirvana zum Wohl und Unterstützung aller lebenden Wesen, so das diese die Erleuchtung erlangen, wohl wissend, dass „lebende Wesen und Bereifung von lebenden Wesen nur Phänomene und Worte sind“.

Die Vollkommenheit der Weisheit: es ist etwas, das undifferenziert, weder als hocherhaben noch als niedriger Zustand betrachtet werden kann, es ist vollkommen unabhängig von irgendwelchen bestimmten oder willkürlichen Begriffen wie eines eigenen Selbstes, anderer Selbste, lebenden Wesen oder eines Universalselbstes.

Die grundlegende Botschaft dieses Sutras ist, dass alle Dinge, Phänomene und Ideen subjektiver und nicht-wirklicher Natur und nur Manifestationen des eigenen Geistes sind, denn

„… zum Unterschied zu den trügerischen Phänomenen gibt es die wahre Geistessenz; den Geistesphänomenen zu Grunde liegend besteht ein unwandelbarer Urgrund“ .

Dieser Urgrund, die Erleuchtung, das andere Ufer kann nicht in Worten ausgedrückt werden, es wird in Paradoxen beschrieben, wie

(…. Auf die Geistessenz angewandt haben Worte keine Bedeutung, denn bei der Geistessenz gibt es nichts, was ergriffen werden könnte. Aber wir gebrauchen Worte, um uns von Worten freizumachen, bis wir die reine, wortlose Essenz erlangen .

Dieses Erlangen ist das Hinübergegangen-Sein zum anderen Ufer, das in vielen Mythen der Menschheit beschrieben wird. Es ist das Ziel der menschlichen Existenz. Womit nicht das Ende der körperlichen Existenz des Menschen, der sogenannte Tod, gemeint ist, sondern das Überwinden der Gegensätze dieser Welt, das Eingehen in Nirvana, die Leere, in der Alles seinen Ursprung und seine Vollendung erfährt., auf das der Weise zum Wohl von Menschheit und Universum verzichtet, denn ein frommer Jünger sollte nur einen Gedanken haben nämlich

Wenn ich dieses höchste Wissen erlangt haben werde, so will ich alle lebenden Wesen zum ewigen Frieden Nirvanas führen. Wenn dieses Gelübde aufrichtig ist, so sind alle lebenden Wesen schon befreit .

Viel wurde und wird spekuliert und geschrieben über Nirvana, deshalb will ich keinen weiteren zum Scheitern verurteilten Versuch wagen, sondern die Worte des Sutras sprechen lassen:

Wie ich den Erhabenen verstehe, gibt es kein Ding wie vollkommenes Wissen, noch ist es dem Tathagata möglich, irgendeine Lehre zu verkünden. Und warum? Es gibt keine Formulierung der Wahrheit, genannt Vollendung der unaussprechlichen Erleuchtung, weil die Dinge, welche vom Tathagata gelehrt werden, in ihrer wesentlichen Natur unbegreiflich und unergründlich sind; weder sind sie noch sind sie nicht…. Was bedeutet dies? Dies bedeutet, dass Buddhas… nicht durch feststehende Lehren erleuchtet werden, sondern durch einen intuitiven Prozess, der spontan und natürlich ist. Dieses unausgesprochene Prinzip ist der Grund der verschiedenen Systeme aller Weisen .

Hat Jesus, der Christus, dies nicht auch mit einfachen anderen Worten angedeutet:

Mein Reich ist nicht von dieser Welt!

Ist dies nicht das Andere, das andere Ufer, das nicht mit Worten beschrieben werden kann, aber intuitiv erfasst and aufgenommen werden kann? Dieses Beispiel zeigt uns deutlich, wie die Universelle Lehre über Zeiten und Regionen hinweg ein und dieselbe Botschaft an uns richtet. Die Welt der Gegensätze, der positiven und negativen Erfahrungen, des Lebens und des Todes, sind alle von dieser Welt, sind Phänomene unserer Anhaftung an die Sinnesorgane und unseres spekulativen Denkens. Solange wir in dieser Welt. d.h. in der uns umgebenden materiellen Welt, sowie der Welt der Kultur und des Denkens, der Welt des Humanismus und des Versuches „gut“ zu sein, leben, gelten für uns die Worte des Buddha:

Wer mich in der Form sucht,
Wer mich in Tönen sucht,
Verirrt hat er sich auf dem Wege,
Denn er kann nicht den Tathagata erkennen .

Wie auch die Klage aus dem Alten Testament:

… mein Volk geht aus Mangel an Erkenntnis verloren…

Wie können wir aus der Verwirrung zurückkommen, wie können wir die Erkenntnis erlangen? Wie verwirklichen wir den intuitiven spontanen und natürlichen Prozess, der im Diamantsutra erwähnt ist? Alle Lehren der Vergangenheit und der Gegenwart deuten auf die Stille hin, Stille in uns, in unseren Gedanken und Gefühlen, unseren Verlangen und Begehren, so dass wir die Stimme der Stille in uns hören können, von der Mdme. Blavatski spricht:

Ehe die Seele sehen kann, muss die innere Harmonie erlangt….worden sein
Ehe die Seele hören kann, muss das Abbild (der Mensch) ebenso taub geworden sein für Geschrei wie Geflüster, für das Brüllen trompetender Elefanten….
Ehe die Seele verstehen und sich erinnern kann, muss sie zuerst mit dem „Schweigenden Sprecher“ vereint sein…. Dann erst wird die Seele hören und sich erinnern. Und dann wird zu dem inneren Ohre sprechen:
DIE STIMME DER STILLE .

Dann sind wir hinüber gegangen, hinüber gegangen zum anderen Ufer.

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Datum: September 7, 2023
Autor: Horst Matthäus (Nepal)
Foto: morning by Miki on Pixabay CCO

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