Das Erste, das Eine

Plotin sagt: Der göttliche Geist, die geistige Welt, ist nicht das Erste, sondern sie ist dem Ersten nur nahe. Dieses Erste, das über allem liegt und sozusagen die ganze Ausdehnung von allem durchmisst, bekommen nach vielem Schauen jene zu Gesicht, die von Liebe getrieben sind. Sie sind nicht mehr bloß Schauende: Denn da gibt es nicht mehr hier das Objekt und dort das Subjekt, das von außen darauf schaut, sondern man muss jenes Erste erblicken als Einheit. Man muss es erblicken als das eigene Selbst.

Das Erste, das Eine

 

Denn dann, wenn wir uns mit dem Teil der Seele, der nicht vom Körper überschwemmt ist, erheben, können wir uns dort, wo unser eigener Mittelpunkt ist, mit dem Mittelpunkt aller Dinge berühren. Wir erleben dann höchste Glückseligkeit.
Dieser Mittelpunkt aller Dinge ist das Erste. Es ist Jenes, das Gute oder das Übergute, das Eine, dem aber in Wahrheit kein Name gebührt. Man spricht von Gott. Dieses Eine ist für keinen draußen, sondern ist bei allen, ohne dass sie es wissen. Sie selbst sind es, die aus ihm herausfliehen; oder richtiger, die aus sich selbst herausfliehen. Dann können sie denjenigen, von dem sie geflohen sind, nicht erfassen. Sie haben sich selbst verloren.

Plotin –   Resonanz zu Text 5  „Das Erste, das Eine“

Der göttliche Geist ist nicht das Erste, so wird gesagt, sondern ist dem Ersten nur nahe. Das Erste liegt über allem. Nur jene können ES – nach vielem Schauen erst – zu Gesicht bekommen, die von Liebe getrieben sind! Sie sind dann nicht mehr bloß Schauende, sondern verschmelzen mit dem Ersten als Einheit, als das eigene Selbst. Und diese Liebe, die uns treibt, ist etwas völlig anderes als die Liebe, die wir im profanen Leben als solche bezeichnen. Wie einsam kann ein Mensch sich in solcher „Liebe“ fühlen …

Die Liebe, die Plotin meint, ist kein Gefühl, sondern ein Seinszustand, der mich nicht eher zur Ruhe kommen lässt, als bis er mich in die Einheit des Mittelpunktes aller Dinge hat führen können. Also lasse ich mich führen und entdecke, dass ich unausweichlich nur Frieden finde, wenn ich mein Innerstes kennen lerne und zu mir selbst stehe und in mir bleibe.

Mir selbst treu, zentriere ich mein Bewusstsein nach innen. Ich kann den Mittelpunkt von Allem finden, wenn ich nicht nur mit anderen Menschen über Gott rede, sondern in mir selbst still werde, meiner inneren Empfindungen gewahr werde und mich darauf einlasse, was in mir geschieht.
Den „Mittelpunkt“ stelle ich mir als die innere Spur, den Lebenssaft des göttlich-feurigen „Baumes des Lebens“ vor, der alles in allem vereint,   alle Wesen, alle Zeiten, alle Räume, alle Dimensionen. Oder als die unzählbaren Mittelpunkte-Bewusstseine, die ineinander – dimensionslos – EINS sind.

Ich beginne, diesen Mittelpunkt auch in anderen Menschen zu erkennen, wenn ich ihnen wahrhaft begegne und in eine neue, tiefere Qualität des Kontakts komme. Daraus entwickelt sich Achtung vor den Mitmenschen, Respekt und echtes Mitgefühl, auch dann, wenn sie von dem Einen noch nichts wissen.
Schließlich finde ich in meinem Mittelpunkt denselben Mittelpunkt in allen Wesen, den Bäumen, den Büschen, den Tieren, den Wolken, dem Wind, den Gestirnen, dem All. Sie alle sind lebendig und sind aus ihren Mittelpunkten Eins mit dem Göttlichen und mit mir.
Sie sind in mir, in mir kann ich mit allem kommunizieren, im wahrsten Sinne bin ich All-Eins.

 

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Datum: August 5, 2020
Autor: Gunter Friedrich (Germany)
Foto: Anne-Elisabeth Seevers

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