Geist und Materie

Geist und Materie in einen lebendigen Zusammenhang zu stellen, war das Anliegen der Alchemie. In ihr flossen religiöse Erkenntnis, wissenschaftliche Forschung und die Kunst der Veredelung der Materie zusammen. Es war die Kunst, mit drei Bällen zu jonglieren, wobei sich einer der Bälle immer gerade in der Luft befindet.

Geist und Materie

Mit Beginn der Aufklärung zerbrach dieses empfindliche Gleichgewicht, und die Entwicklung der materiellen Wissenschaft nahm ihren Lauf. Geist und Materie in einem Zusammenhang zu denken wurde damit für eine gewisse Zeit unmöglich. Erst bei den Quantenphysikern änderte sich dies.

Die Alchemie war seit Beginn des Mittelalters eine Geheimwissenschaft. Viele Fürsten an den europäischen Herrscherhäusern unterhielten Labore, in denen sie Alchimisten beschäftigten. So manche wichtigen Erfindungen wie das Porzellan oder auch die spagyrischen Heilmittel entstammten diesen Laboren. Das Besondere an der Alchemie war ihre enge Verknüpfung von geistiger Erkenntnis und materieller Forschung. Mit dem Beginn der Neuzeit, als die modernen Naturwissenschaften ihren Siegeszug antraten, verschwand die Alchemie, und die enge Verbindung zwischen Geist und Materie verflüchtigte sich in der europäischen Kultur.

Die Wissenschaft löste zu Beginn der Neuzeit die Religion in ihrer Vormachtstellung ab und wurde zum Motor einer neuen Weltsicht. War die Religion zuvor Herrscher über die Wissenschaft, so wurde nun die Wissenschaft zum Katalysator eines neuen Weltbildes. Das Bild des nüchternen, aufgeklärten Menschen stand ihr vor Augen. Die Welt sollte erklärbar werden. Die Entdeckungen im Bereich der Mechanik veränderten das tägliche Leben der Menschen. Die Erleichterungen durch Motorisierung und Technisierung führten zu einem Wohlstand, der die Lebenssinnfragen zunehmend aus dem Bewusstsein verdrängte. Der feste Glaube, der viele Wissenschaftler zu Höchstleistungen anspornte, war der Traum, eines Tages mit wissenschaftlichen Methoden alle Geheimnisse der Natur aufdecken zu können und damit die Welt dem Menschen endgültig untertan zu machen. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts kehrte besondere Denkansatz der Alchemie durch die Entwicklung der Quantenphysik in die Wissenschaft zurück.

Die Trennung von Geist und Materie

Mit diesem radikalen Bruch zwischen Wissenschaft und Religion verlor auch die Alchemie ihre Funktion an den Fürstenhöfen.  Das Zusammenspiel von Geist und Materie immer wieder auszuleuchten und so als fruchtbarer Nährboden für eine umfassende Weltsicht zu dienen, ging verloren. Das Besondere an der Alchemie war ihre Ausgewogenheit zwischen geistiger Suche und materieller Forschung. Scharlatane begannen, sich alchemistischer Methoden zu bedienen und führten eine Rufschädigung herbei, von der sie sich nicht wieder erholte. In Form der Quantenphysik kehrten jedoch Denkansätze der Alchemie in der Bemühung zurück, Geist und Materie wieder in einen Zusammenhang zu stellen. Die Quantenphysik kann man als moderne Schwester der Alchemie betrachten, da sie die Frage nach dem Zusammenspiel von Geist und Materie neu stellte.

Nach über 200 Jahren, in denen die moderne Wissenschaft beständig nach dem inneren Aufbau der Materie gefragte hatte, musste die Quantenphysik erleben, wie ihr bei ihrem konsequenten Vorstoß in die subatomare Welt die Materie abhanden kam.

Werner Heisenberg, einer der großen Pioniere, wollte schon in jungen Jahren wissen, was es ist, das die Welt im Innersten zusammenhält. Vielleicht war ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass er mit seiner Fragestellung die Fundamente der Wissenschaft auf einen ganz neuen Boden stellen sollte. Bis dahin interessierte die Wissenschaftler in erster Linie die Struktur der Materie, die sie bis in die mikroskopische Ebene hinein erforschten. Die Frage war, wie die kleinsten unsichtbaren Teilchen aussehen, aus denen die sichtbare Materie zusammengesetzt ist.

Werner Heisenberg suchte mit seiner Frage nicht nach der Form, sondern nach der Kraftwirkung. Mit dieser veränderten Fragestellung stießen er und andere Physiker irgendwann auf das Paradox des „Welle-Teilchen Dualismus“. Das Besondere an den Wissenschaftlern der Quantenphysik war, dass sie die Frage nach dem Göttlichen nicht von vornherein ablehnten. Sie suchten in ihren philosophischen Abhandlungen zur Quantenphysik oft nach Antworten, die den Zusammenhang von Geist und Materie näher beleuchten. Um überhaupt die Frage nach dem „inneren Zusammenhang“ stellen zu können, musste zuvor der tiefe Graben zwischen Wissenschaft und Religion bzw. Philosophie überwunden werden.

Max Planck, der Begründer der Quantenphysik, ging davon aus, dass es hinter allem, was er als Physiker messen und erfahren konnte, eine fundamentale Kraft geben muss, die alles Leben erzeugt. Damit wurde es notwendig, das Leben, welches die Wissenschaft in den Jahrhunderten davor konsequent aus ihren Fragestellungen eliminiert hatte, um eindeutige reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, wieder in ihre Forschungen mit einzubeziehen. Leben ist erfahrbare Geistwirkung, aus der wir unsere duale Realität erzeugen, die bis dahin Gegenstand der Wissenschaft war. Hinter dem Leben drängt der Geist als  potentielle Wirkkraft. Auf dieser Ebene gibt es eine Wirklichkeit, die das Potential besitzt, zur Realität zu werden.

Materie ist geronnener Geist

Was „Wirklichkeit“ ist, ist eine hoch abstrakte Frage, die sich nur der individuellen Erfahrung erschließt. Wir bemerken sehr schnell, wenn wir uns mit anderen Menschen austauschen wollen, dass die Wirklichkeit nicht mitteilbar ist. Ein Austausch über Erfahrungen ist  möglich; eine Einigung lässt sich erzielen, wenn der Gesprächspartner über ähnliche Erfahrungen verfügt und bestätigt: dieses oder jenes ist wahr. Er begreift zwar auch dann noch nicht, was in dem Moment von seinem Gesprächspartner erlebt wird, es entsteht aber eine Resonanz zu einem eigenen Erleben, das die Worte des Gesprächspartners nachvollziehbar macht. Wenn wir also einem Menschen etwas über „Wirklichkeit“ mitteilen wollen, dann müssen wir vorher zu dieser Wirklichkeit werden. Sind wir das, was wir sagen, dann entsteht ein Resonanzfeld, in dem sich die Information auf den Zuhörer überträgt. Genauer gesagt schwingen die beiden Gesprächspartner dann in der gleichen Wirklichkeit. Wenn dieser Informationsaustausch fruchtbar werden soll, muss für sie die reine Geistwirkung in einem ersten Gerinnungsprozess zur lebendigen Realität werden. C.G. Jung sprach in diesem Zusammenhang von Archetypen. Archetypen sind ein erster Gerinnungsprozess, der für einen stark in der Materie verhafteten Menschen eine kaum vorstellbare geistige Lebendigkeit enthält.

Der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr sagt: „Materie ist geronnener Geist.“ Dieser Gerinnungsprozess ist immer mit einem Verlust an Geist und Lebendigkeit verbunden. Er kann stufenweise weiter fortschreiten und schließlich in einem rein materiellen Zustand enden. Dann sind wir bei der toten Materie angelangt. Die Alchemisten sprachen vom Caput mortuum. Es ist der Teil der Materie, der absolut nicht mehr transformierbar ist. Sie erscheint uns aber vielleicht auch nur als tot, weil ihre Veränderungsgeschwindigkeit so unvorstellbar klein geworden ist, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Veränderungen muss es auch in der Materie immer geben, da auch die Materie ein Aspekt des Geistes ist und dieser sich immer in schöpferischer Bewegung befindet. Hans Peter Dürr beschreibt in seinen Vorträgen, dass dieser „Prozess der Gerinnung“ irreversibel, also nicht umkehrbar sei und die Materie auf dieser Ebene nicht mehr an der Evolution teilnehme.

Diese Sicht auf die Materialisierung des Geistes ist wohl noch einmal genauer zu betrachten, da ein irreversibler Prozess bedeuten würde, dass es Schöpfungsprozesse gibt, die in einer Sackgasse enden.

Die Entstehung der Naturgesetze

Die Quantenphysik, die „holistische Physik“, ist eine ganz neue Möglichkeit, die Welt zu begreifen. Holistisch nennt Hans-Peter Dürr die Quantenphysik deshalb, weil er hinter allem Sichtbaren und Messbaren ein alles verbindendes Feld vermutet, dessen Wirkkraft er als Potentialität bezeichnet. Dieses Feld ist reine Lebendigkeit und beständige Veränderung. So gesehen ist Geist Leben und Kreativität und hat damit eine gewisse Polarität zur Materie. Wenn der Geist Bewegung erzeugt, dann liegt darin nicht mehr als eine Ahnung, ein „diffuses Etwas”, aber noch kein Gedanke. Dieses Feld der Potentialität enthält Ahnungen und ist in der Lage, Gewohnheiten auszubilden. Sehr umfassende fundamentale Gewohnheiten bilden die Naturgesetze. Die Gewohnheiten sind dabei die Heranbildung gewisser Formen, an denen entlang Geist sich ausbreitet.

Es gibt eine kleine Geschichte, die sich um die Entdeckung der Quantenmechanik rankt. Max Planck versuchte sich vorzustellen, wie sich Energie innerhalb der Materie bewegt. Er kam auf den Gedanken, dass dies kein gradliniger und gleichmäßiger Fluss ist, sondern dass sich Kraft- oder Lichtpakete, sogenannte Quanten, bewegen bzw. sich ihren Weg suchen. Es lässt sich vergleichen mit einer Fensterscheibe, an die Regentropfen schlagen. Haben sich genügend vereinigt, dann bildet sich ein Rinnsal aus Tropfen auf der Scheibe. Dieses Rinnsal sucht zuerst seinen Weg. Ist der einmal gebildet, dann fließt das Wasser immer diesen gleichen Weg. Am Anfang weiß niemand, warum es gerade diesen Weg und keinen anderen nimmt. Es entwickelt sich so etwas wie eine „Fließgewohnheit”. Man kann nun sagen, dass das Wasser für die nächste Zeit diesen Weg nehmen wird. Diese typische Form, mit der die Energie dann Gewohnheitsstrukturen entwickelt, nennt die klassische Physik Naturgesetze.

In einem nächsten Schritt gerinnt der Geist in diesen Bahnen zu Materie. Dieser Gerinnungsprozess führt ihn zu einem Ende seiner Wandlungsfähigkeit. Damit steigt der materialisierte Geist aus der Evolution aus. Es ist der Wärmetod des Kosmos, der dadurch eintritt, dass die Materie schließlich auf ihrem niedrigsten Energieniveau ankommt, auf dem für jegliche Veränderung die weitere Energie fehlt. Hier wird ein Zustand beschrieben, der aber sinnvoller Weise keinen Endpunkt darstellen kann, sondern in den Mythologien, Philosophien oder Religionen nur die eine Hälfte eines Kreislaufes beschreibt. Unter den Begriffen „Wiedergeburt aus Wasser und Geist“ in der christlichen Tradition oder der „Transfiguration“ der Rosenkreuzer oder auch der Rückkehr der Buddhisten ins Nirvana wird ein Weg beschrieben, der durch eine strukturelle Regeneration der atomaren Substanz deren Gerinnungsprozess wieder rückgängig macht und den ursprünglichen Zusammenhang wieder herstellt. Und vielleicht wussten auch die Quantenphysiker um diese Möglichkeit, die z.B. Werner Heisenberg sein Leben lang nach der Weltformel suchen ließ.


You tube Video: Hans-Peter Dürr: Das Geistige ist die treibende Kraft.

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Datum: September 13, 2023
Autor: Heiko Haase (Germany)
Foto: disc by Manuel on Pixabay

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