Wie Oben – so Unten!

Wie Oben – so Unten!

Fraktale sind selbstähnliche Muster, die sich in einer schier unerschöpflichen Gestaltungsdynamik wiederholen. Wir finden dieses fundamentale Ordnungsprinzip nicht nur auf der physischen Ebene, sondern auch in unserer seelischen und geistigen Natur.

Fraktale Geometrie des Lebens

Mathematik ist das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben hat.
Galileo Galilei

Fraktale sind selbstähnliche Muster, die sich in einer schier unerschöpflichen Gestaltungsdynamik sowohl im Raum als auch in der Chronologie der Zeit wiederholen. Es sind diese uns unbewussten Muster, die das Drehbuch unseres Lebens schreiben. Fraktale Geometrie ist die Art und Weise, wie Struktur in den Raum und analog Ereignisse in die Zeit gebracht werden. Sie ist ein Prinzip, das es schon vor der Schöpfung gab und das der Natur innewohnt.

Die fraktalen Muster sind das Werkzeug, mit dem die Evolution ihre unendliche Vielfalt, ihre zauberhafte Schönheit hervorbringt. Sie nutzt das einfache Prinzip der immer neu schreibenden Wiederholung, durch deren immer kleiner werdende Ausprägungen großartige Kunstwerke in der Natur entstehen. Im Prinzip der selbstähnlichen, sich wiederholenden Formoffenbarungen entschleiert sich uns die Komplexität des Lebens. Schauen wir uns die Wunderwerke eines Baumes an: jeder Ast und jedes Ästchen ist das Produkt einer selbstähnlichen Wiederholung des Bauplanes des Baumriesen in verkleinerter Form.

So gestaltet sich die Natur ihre Berge, mäandernde Flüsse, schlängelnde Küstenlinien, Wolkenbilder, und so sind auch wir in unserer Leiblichkeit gestaltet. Denken wir an die Gefäßbäumchen in unserem Gewebe, an die Ausformung unserer Lungenbläschen, die Auffaltungen unserer Darmschleimhaut und unsere Zellstruktur: hier wiederholen sich Muster auf kleinstem Raum. Es ist die hohe Intelligenz der Evolutionsdynamik, die auf diese Weise größte Austauschflächen in der Matrix des Lebens schafft, ohne die Dimension zu verlassen, in der diese fortlaufenden Werdeprozesse sich immer neu gestalten. Dies bedeutet eine wirkungsvolle Vervielfältigung ohne Raumverschwendung.

Fraktale gestalten so die Räume, die Dimensionen des Seins. Sie sind eine wunderbare Strategie der Naturordnung, die Oberflächen so zu gestalten, dass der Austausch mit dem Umfeld optimal stattfinden kann.

Wir finden dieses fundamentale Ordnungsprinzip nicht nur auf der physischen Ebene, sondern auch in unserer seelischen und geistigen Natur. In jedem Menschen ereignet sich das universelle Leben. Das Große wiederholt sich im Kleinen, das Kleine zeigt sich dem Großen selbstähnlich. Kurz: Wir leben in einem holografischen Universum.

Der Entdecker und Namensgeber der Fraktale, Benoit Mandelbrot, erkannte, dass komplexes Leben und sein Beziehungsgeflecht nicht linear, also nicht in klaren, vorhersagbaren Linien verlaufen. In seinen trefflichen Worten wird dies zum Ausdruck gebracht: „Das Auge wurde aus der Naturwissenschaft ‚exkommuniziert’, denn das, was wir täglich sehen, kommt in ihr nicht vor.“

Linearität gibt es nur in der vom Menschen geschaffenen „Maschinenwelt“.

Wir erleben hingegen die komplexe Lebenswirklichkeit in unserer Biografie, in der uns viele Brüche und Ungeraden begegnen und sich bestimmte Lebensmuster in Zeitsprüngen selbstähnlich wiederholen. Wir haben individuelle Lebensprogramme, in denen sich fraktale Ähnlichkeitsereignisse abzeichnen, die sich oftmals über Generationen fortpflanzen können.

Warum erleidet jemand immer wieder kleine Unfälle beim Sport, ähnlich wie sein Papa, und ein anderer geht ohne Blessuren, trotz mangelnder Achtsamkeit, durch das Leben? Warum glücken dem einen seine Partnerbeziehungen und der andere erlebt, trotz Partnerwechsel, immer wieder gleiches Konfliktspotential, und warum pflanzt sich eine Suizidneigung oftmals über drei Generationen fort?

Wenn wir hinter den persönlichen Biografien, die unser Leben schreibt, die webenden Muster, die Gestaltungsprinzipien erkennen, die allem Lebendigen in der Raum-Zeit zugrunde liegen, bedeutet das zugleich, dass wir uns gewiss sein können, mit allem in unserem Universum verbunden zu sein.

Im Urprinzip, jenseits von Zeit und Raum, sind wir alle aus „einem Wort“, einem gleichlautenden Schöpfungsimpuls hervorgegangen. Durch die Welt, in der alle potentiellen Möglichkeiten mit Hilfe der fraktalen Geometrie ihre Gestaltung finden – selbstähnlich, aber nicht gleich –, erfahren wir in endlosen Wiederholungen die variationsreichen Ausgestaltungen dieser schöpferischen Wirksamkeit. Von ihr geht eine verlockende Faszination aus, doch gerade sie hält uns auch in den Dimensionen gefangen, in denen wir uns derzeit befinden.

Wenn es uns gelingt, all die fraktalen Muster zu durchschauen, mit denen uns das Leben zu scheinbar immer neuen Erfahrungen und Freuden verlockt, dann gewinnen wir tiefe Einsicht in das Weben der Naturkräfte und beginnen, uns selbst als ein Wesen zu erkennen, das über das rein Naturhafte hinausragt. Wir erahnen unsere Aufgabe als Mensch in der Welt und für die Welt. Wir durchschauen das Spiel der Verführungen, die uns glauben lassen, dass immer neue Erfahrungen wirklich fundamental Neues bringen und begreifen die endlose Wiederholung der Gleichung, die das Leben schreibt. Am Ende sehen wir klar die Wirklichkeit vor uns, die uns erkennen lässt, dass die Übernahme anderer Lebensmuster auf derselben Ebene (Translatation) niemals zu der Transformation führen kann, zu der wir gerufen sind.

Um die dimensionalen Begrenzungen zu überwinden, bedarf es eines fundamentalen Bewusstseinssprungs.

Dabei ist es hilfreich zu wissen, dass sich tiefliegende Konfliktmuster immer neue Aktualisierungen in den verschiedenen Lebensphasen suchen und die nötigen Umstände in fraktalen Bedingungen auf unterschiedlichen Ebenen, seelisch oder körperlich, gestalten.

Wenn die Erkenntnisbereitschaft zögerlich ist, dann sucht das Lebensprinzip durch Druck einen Phasenübergang zu ermöglichen, der erhöhte Anforderungen nötig macht, durch die neue Qualitäten entwickelt werden. Diese sinnreiche Hilfe wird uns zuteil durch die frustrierende Erfahrung endloser Wiederholungen, ohne die Chance einer wirklichen Konfliktlösung.

Aus der Quantenphilosophie wird uns heute die Gewissheit zuteil, dass Konflikte niemals auf der Bewusstseinsebene ihrer Entstehung gelöst werden können. Es muss eine Transformation des Bewusstseins und eine damit verbundene neue Lebenshaltung errungen werden.

Unsere heutige Lebens- und Weltsituation ist wahrhaft bedrückend und gerade deshalb umso mehr eine Entwicklungshilfe für eine wahrhafte Emergenz, eine Entfaltung noch ungenutzten Potenzials. Nur dadurch kann in uns eine höhere Oktave des Bewusstseins erwachen. Es ist der in unserer Zeitepoche fällige Evolutionssprung in das transpersonale, integrale Bewusstseinsfeld, in der das Spiel der Endlosschleifen ein Ende hat.

Die in unserer Welt wirksamen Ebenen der Geometrie sind in ihrer Dimensionalität begrenzt und deterministisch. Die Geometrie des Euklid, eines Platoschülers, verbleibt in der Zweidimensionalität. Ihre Betrachtung und Berechnung bezieht sich auf Linien und Flächen. Die „heilige Geometrie“ öffnet sich der Dreidimensionalität und beschreibt die symbolische Bedeutung der Muster, zum Beispiel der platonischen Körper, die uns bruchstückhaft vor allem in der mineralischen Welt begegnen.

So ist die fraktale Geometrie die kreative Architektin unserer belebten Natur, die ihre Entsprechung auch in der vierten Dimension, unserer Zeit, hat, wo wir ihre Muster, sich in selbstähnlicher Weise wiederholend, durchleben.

Um in die Vollkommenheit der Urprägung aller geometrischen Formen, in die reine Ideenwelt Platos aufzusteigen, muss aber die horizontale Translatationsbewegung in eine vertikale Bewegung gewandelt werden, eine Öffnung zur Transzendenz.

Wir müssen die Determiniertheit aller dimensional begrenzten Ebenen der Geometrie, die auch unser Leben gestalten, überwinden, um in die Freiheit und Unbegrenztheit eines allgegenwärtigen und ewigen Seins aufzugehen, dem Endziel unseres Menschseins.

In diesem Bestreben wandelt sich der selbstsüchtige Lebenshunger unserer niederen Natur in die Hingabe an die allumfassende Liebeskraft, an die Urmutter allen schöpferischen Lebens.

Das bedeutet zugleich, dass wir aus dem sich immer wiederholenden Abbild unseres Seins heimkehren in die ewige Heimat des göttlichen „Ebenbildes“, in der die Vielfalt alles Gewordenen in der Einheit aufgeht.

Dann löst sich die Symbolik der geometrischen Abbilder auf und ihre geistigen Urbilder werden wirksam.

Vom Kreis der Ewigkeit umfangen, werden wir durch das feurige Dreieck des göttlichen Wirkens aus dem Kreislauf der Wiederholungen entbunden und errichten auf den sicheren Fundamenten des Vierecks, des unsterblichen „Ecksteins“ in uns, das transfiguristische Tempelbauwerk des kommenden neuen Menschen.


Schubert Christian: Geometrie der Seele, Edition Gräfe und Unzer, 2023
Mandelbrot, Benoit: Die fraktale Geometrie der Natur, Birkhäuser Verlag, 1991
Lipton, Bruce: Spontane Evolution, Koha Verlag, 2008

 

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Datum: August 7, 2024
Autor: Dr. Dagmar Uecker (Germany)
Foto: romanescu-Marc Pascual auf Pixabay CCO

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