Wie der göttliche Geist in den Menschen kam und was dann mit ihm geschah – Heraklit und Origenes

Bereits am Beginn der europäischen Kultur wurde die alles entscheidende Frage nach der Wahrheit und den Urquellen der Weisheit gestellt.

Wie der göttliche Geist in den Menschen kam und was dann mit ihm geschah – Heraklit und Origenes

Der Philosoph Heraklit fand eine Antwort auf sie, indem er sich selbst erforschte. Der Philosoph und Theologe Origenes wollte, was Heraklit erkannt hatte, auch ins Christentum aufnehmen und wurde dafür schwer bestraft.

 Heraklit (520-460 vor Chr.)

Vor 3.000 Jahren besiedelten die Griechen die Küstengebiete Kleinasiens, der heutigen Türkei. Dieses Land war bereits bewohnt von den Karern. In Ephesus hatte das karische Volk bereits ein Heiligtum errichtet, das der Fruchtbarkeitsgöttin Diana polymastos geweiht war. Noch heute gibt es den Begriff der alma mater, der vielbrüstigen nährenden Göttin von Ephesus. Die Griechen errichteten in dieser Tempelzone den ersten steinernen Tempel, der zu den sieben Weltwundern der Antike gehörte. Er hatte eine Grundfläche von etwa einem qkm und war 25 Meter hoch. In dem damaligen Tempelbezirk befand sich auch das Wäldchen, in dem Heraklit zurückgezogen lebte.

Für die Karer hing die Einweihung noch unter anderem von den Jahreszeiten und der Konstellation der Sterne und Planeten ab. In der ephesischen Spiritualität trat nun durch Heraklit eine Emanzipation ein: Einweihung konnte unabhängig von Natur, Zeit, Ort und astronomischen Phänomenen stattfinden. Allein die Reife des Schülers ist ausschlaggebend, die abhängt von seinen spirituellen Erfahrungen, seinem Denken und seiner Weisheit.

Heraklit nimmt unter den griechischen Philosophen eine Ausnahmestellung ein. Bei ihm ist erstmals das Bewusstsein des Denkens von sich selbst wahrnehmbar. Und dieses Bewusstsein beinhaltet die Idee des Logos. Während zu gleicher Zeit Pythagoras (570-510 v.Chr.) Wissen und Kenntnisse auf seinen Reisen durch die damals bekannte Welt sammelte und so als wahrer Sucher auch in heutigem Sinne bezeichnet werden kann, steht Heraklit auf einem vollkommen anderen Standpunkt. Er sagt, er wisse alles! Diese Aussage ist kompatibel mit der Aussage des späteren Sokrates, der formulierte: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Sokrates war sehr kenntnisreich, ja, er war ein wissender Philosoph. So kann es sich bei dieser Aussage nur um die alles entscheidende Frage nach der Wahrheit und den Urquellen der Weisheit handeln. Bei Heraklit erleben wir die Geburt des Gedankens aus dem Logos, der eigentlichen Quelle des Seins. Vielleicht hilft das Bild, dass Heraklit noch Kontakt zu den Göttern hatte. Pythagoras und Sokrates hingegen konnten nur noch aus den Abbildern der Götter Erkenntnis gewinnen. So konnten die Nachgeborenen Heraklit wohl nicht mehr ganz verstehen. Und wir heute können das wohl auch nicht.

Die Logos-Idee hat sich hingegen über die Jahrtausende bis heute zu uns gerettet. Heraklit schrieb seine Gedanken nieder und hinterlegte seine Bücher im Tempel der Artemis (dem Tempel der Diana polymastos). Die Absicht war, dass nur diejenigen zu diesen Aufzeichnungen gelangen sollten, die dazu (kraft ihrer Stellung im Artemistempel) in der Lage waren. Seine heilige Schrift sollte also im Schutz der Logos-Göttin geborgen bleiben. Überliefert ist der Satz Heraklits zur Quelle seines Wissens: „Ich durchforschte mich selbst!“ Der vollendete Logos ist das Urprinzip der Schöpfung. Die Logos-Idee umschreibt das geistige Feuerprinzip, das mit jedem Wesen der Schöpfung verbunden ist und das der Mensch in seinem eigenen Innern erfahren kann.

Durch alle Jahrhunderte wird diese Idee des Feuergeistes weitergetragen. Sie findet ihren Ausdruck auch in der griechischen Urfassung des Neuen Testaments: „Am Anfang war der Logos; und der Logos war bei Gott und Gott war der Logos“ (Joh. 1, 1).

Es ist gut, sich bewusst zu machen, dass die alten griechischen Philosophen die Mythologie für das geeignetste Ausdrucksmittel hielten, die Wirklichkeit zu vermitteln. Zu bedenken ist, dass es, von heute aus betrachtet, kaum möglich ist, die Situation in der Mitte des 1. Jahrtausends vor Christus richtig zu deuten bzw. zu erkennen. Gesellschaftliche, gedankliche und religiöse Erscheinungsformen, Traditionen und Bedrohungen und Reaktionen darauf dürfen nicht mit heutigen Maßstäben gemessen werden. Gleichwohl kann der heutige Mensch aus der alten Philosophie durchaus wertvolle Erkenntnisse ziehen. Auch Dichtung und Poesie gehörten damals zu den wesentlichen Urphänomenen der Existenz. Der Mythos kann als Spielraum zwischen Wahrheit und Unwahrheit angesehen werden. Er stellt die Wirklichkeit im bildhaften Spiel der Phantasie und der inneren Schau dar. In diesem Rahmen können also Wunder die Naturordnung zumindest zeitweise außer Kraft setzen.

Heraklit nennt das „Feuer“ den Urgrund von allem.

Es ist zu vermuten, dass er damit die Frage nach dem „einheitlichen Grund“ aller Erscheinungsformen beantworten will. Hierin könnte der Beginn der Geisteswissenschaft liegen, zumal durch Heraklits Einführung des Feuergeistes das kosmologische „Einheitsdogma“ der Antike prinzipiell aufgehoben wird. Nicht mehr gilt das „Es war immer so und wird so bleiben.“  Sein vielleicht bekanntestes Textfragment, das die Zeiten überlebt hat, spielt jetzt die entscheidende Rolle: panta rhei, alles fließt, alles ist in Wandlung begriffen durch den Feuergeist des Gottes. Dieses Feuer ist kein „ruhender Urstoff“, sondern Motor der permanenten Verwandlung. Hierzu gehört auch Heraklits oft falsch verstandene Aussage: „Der Krieg (Kampf) ist der Vater aller Dinge.“ Diese Aussage beeinflusste Hegel, Marx, Engels und Lenin. Sie ist vor allem im Sinne einer inneren Auseinandersetzung zu verstehen. Auch der ursprüngliche Islam hat diese Gedanken aufgenommen: Der Dschihad stellt, recht verstanden, den innerlichen mentalen und emotionalen Kampf um das richtige Handeln im Angesicht Allahs dar. Eine Reihe überlieferter Fragmente Heraklits beschreibt einen frühen Dualismus, der den inneren Streit notwendigerweise lebendig erhält:

  • Die Menschen verstehen nicht, wie das „Eine“ auseinanderstrebend in sich übereinstimmt.
  • Das All ist „Alles in Einem“: Getrenntes und Ungetrenntes, Gewordenes und Ungewordenes, Sterbliches und Unsterbliches.
  • Der Schraube Weg, gerade und gekrümmt, ist einer und derselbe, gerade hinauf und im Kreise herum geht er zugleich.
  • Die Natur strebt nach dem „Entgegengesetzten“ und bringt hieraus und nicht aus dem „Gleichen“ den Einklang hervor.
  • Sich wandelnd ruht das ätherische Feuer im menschlichen Körper sich aus.
  • Das meiste des Göttlichen entzieht sich der Erkenntnis aus Mangel an Vertrauen.

Am Ende der Tage sind alle Gegensätze und Widersprüche des Menschenlebens in einer höheren Geistigkeit und Einheit aufgehoben. So entstand in den Schriften Heraklits die Lehre der Coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens des Gegensätzlichen. Diese philosophische, ephesische Sicht entsprach dem Logos, wie Heraklit ihn postuliert. Er ist zugleich „Wort“, also Idee und Sprache, Gedanke, also innerer Hervorbringungsprozess der eigenen Wahrheit, des Sinnes und zugleich der Vernunft. Der Mensch, inspiriert durch den göttlichen Logos, kann die Worte sprechen: Haben sie nicht mich, sondern den Logos vernommen, so ist es weise zu sagen, „Alles ist Eins“.

Die Aktivität, die Kraft des Logos im Menschen, ist nach wie vor ungebrochen. Im Äußeren ist es die vollendete geistige Schöpfungskraft. Im Inneren (auf der Geist-Seelenebene) ist der Logos die Saat zukünftiger Evolution. Er ist also noch im Wachstum begriffen. So lässt sich nach den wenigen Überlieferungen Heraklits erklären, dass der Geist im Herzen des Menschen aktiv schöpferisch tätig ist und die Entwicklung eines höheren „Ichs“ vorantreibt bis hin zu einem Zustand/Geschehen, in dem die göttliche Geistkraft im entwickelten Menschen zu einer Vergeistigung, einer Heiligung führt. Zuversicht und Vertrauen sind die Wege zum Logos.

  • Doch, aufs Innigste mit dem Logos verknüpft,
  • widersetzt sich der Mensch ständig.
  • Wie kann sich jemand vor dem Licht verstecken,
  • das niemals untergeht?

Origenes (geb. Ende des 2. Jh. nach Chr.) trägt die Fackel weiter

Origenes gilt für viele als der größte Kirchenvater. Er schrieb 6.000 Bücher, die nur noch bruchstückhaft erhalten sind. Es wird vermutet, dass einige der im letzten Jahrhundert gefundenen Schriftrollen vom Toten Meer aus seiner Feder stammen. Origenes führte den griechischen Geist in das frühe Christentum ein. Verfolgung, Folter und Vernichtung seiner Schriften bedrohten und begleiteten ihn bis zu seinem Tod. In Palästina wurde er im Jahre 230 zum Priester geweiht. In seiner Heimat, in Alexandria, Ägypten, wurde ihm die Priesterweihe aberkannt, und er wurde aus der frühen Kirche exkommuniziert. Er blieb seiner Kirche allerdings immer treu. Es heißt von ihm, er kämpfte mit dem Rücken gegen den Klerus, mit dem Gesicht hingegen für Gott.

Origenes beschreibt das Hegemonikon. Es ist der Ort im Herzen eines jeden Menschen, in dem der Logos wohnt. Er postuliert, dass Christus allen Vollendeten erscheine und ihr Hegemonikon erleuchte zur Erkenntnis aller Dinge. Das Hegemonikon ist das innerste Heiligtum im Menschen, das Uratom, der Raum, in den der Geist seinen Samen sät. Es ist der Raum des Logos spermatikos, der Berührung mit dem geistigen Samen.

Sein Leben lang war Origenes ein unermüdlicher, hingebungsvoller Lehrer, der seine Gedanken unaufhörlich druckreif äußerte. Eine Mannschaft von Stenografen schrieb ununterbrochen seine Aphorismen und Gedankensplitter auf.

Auf einem Konzil in Konstantinopel im Jahre 553 wurden neun Lehren Origenes´ als Ketzerei verurteilt. 869 beschloss die Kirche, das Zwei-Seelen-Prinzip abzuschaffen, nach dem der Mensch neben der irdischen Seele auch eine unsterbliche Geistseele besitzt. Die Zwei-Seelen-Lehre wurde mit dem Bannfluch belegt, der bis heute fortbesteht. Der Mensch verlor den Geist aus seinem Bewusstsein, und damit wurden, ohne dass man sich dessen bewusst war, die Grundlagen für den heutigen Materialismus geschaffen. Auch das Luziferische, das übersteigerte irdische Ich, konnte nun in die europäische Zivilisation einziehen. Die Ergebnisse hiervon erleben wir in unserer Zeit.

Origenes wurde unter Kaiser Decius mit Folter und schweren Misshandlungen in Gefängnissen geschunden. An den Verletzungen starb er im Jahr 254. Er erhielt den Beinamen Origenes Adamantius, was bedeutet: der Mann aus Stahl.

Er drückte seine Beziehung zum Vatergott wie folgt aus: Wenn wir uns nicht dem Bösen hingeben, sondern für Gott Raum schaffen, säet Gott seinen Samen in unser Hegemonikon. Den Ort in uns, in dem höhere Erkenntniskräfte wirken, umschreibt er als das Innere der Hüllen, wo Unzugängliches aufbewahrt wird. Dieses principale cordis (Herr des Herzens) kann allein die Wahrheit erfassen und ist den Geheimnissen Gottes gewachsen.

Darin liegt die Möglichkeit, Christ zu werden. Durch die Geistwirksamkeit im Hegemonikon wird der Mensch bereit, dem göttlichen Geist, dem Logos, sein Leben zu weihen. Zahllose Menschen sind im Laufe der Geschichte von dem Drang erfasst worden, nach dem tieferen Sinn der Dinge zu forschen. Sie haben die dogmatischen Grenzen der herrschenden Religionen durchbrochen. Gerade in unseren Tagen drängt das innere Gotteselement erneut zum Aufbruch, quer durch alle Lebens- und Kulturbereiche hin: in der Wissenschaft, der Philosophie, der Kunst, der Spiritualität.

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Datum: Oktober 24, 2023
Autor: Hermann Achenbach (Germany)
Foto: ancient-Bild von efes auf Pixabay CCO

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