In der biblischen Geschichte von der Enthauptung des Johannes gibt es sieben Schleier.
In vielen zeitgenössischen Rosenkreuzer-Schriften wird oft auf das johanneische Bewusstsein oder die Johannes-Phase verwiesen. Wir können diese Phase als die Manifestation eines Bewusstseins auf der irdischen Ebene sehen, das Einsicht in den Zweck des Menschseins vermittelt. Es ist jedoch nicht die Absicht, auf dieser Bewusstseinsstufe ohne weitere Veränderung zu verbleiben, sondern es ist wichtig, aus ihr heraus zu leben, denn das Leben aus ihr heraus wird die Veränderung herbeiführen, bei der schließlich „Johannes“ auf „Jesus“ treffen wird.
Das ist die Geburt des höheren Bewusstseins. Johannes hat dann seine Aufgabe erfüllt. Die Bibel gibt uns einen ausführlichen Bericht über die Taufe Jesu durch Johannes. Der Tod des Johannes wird jedoch nur am Rande erwähnt, denn er wurde auf Wunsch der Stieftochter des Königs geköpft, als Dank für einen Tanz mit sieben Schleiern.
Trotz der scheinbar beiläufigen Erwähnung und der eher reißerischen biblischen Beschreibung steckt hinter dem ganzen Ereignis eine tiefere spirituelle Bedeutung. Oscar Wilde (1854-1900) schrieb 1891 das Stück SaloméOscar Wilde, Salomé, A Tragedy in One Act, 1894 zu diesem Thema, dessen Faden wir im Folgenden grob verfolgen wollen.
Phillipus Herodes ist mit Herodias verheiratet. Sie haben eine Tochter, Salome. Antipas Herodes, sein Bruder oder Stiefbruder nach einigen Quellen, verführt Herodias, Phillipus zu verlassen und mit ihm zu gehen. Sie sind glücklich zusammen. Salome wächst zu einer schönen jungen Frau heran.
Währenddessen predigt Johannes in der Wüste. Antipas möchte über die Geschehnisse in seinem Land informiert bleiben und lädt Johannes in seinen Palast ein. Antipas respektiert die Weisheit des Wüstenpredigers. Johannes wirft ihm jedoch seinen ehebrecherischen Lebenswandel vor, was Herodias missfällt, da sie befürchtet, abgewiesen zu werden, und deshalb plant, Johannes zu verbannen. Sie ergreift die Gelegenheit, als Antipas ihre Tochter bittet, bei seiner Geburtstagsfeier den Tanz mit den sieben Schleiern aufzuführen. Antipas schwört einen Eid, dass Salome alles verlangen kann, was sie will, wenn der Tanz erfolgreich ist. Salome berät sich mit ihrer Mutter, die sich ausdenkt, den Kopf des Johannes zu fordern, um nicht weggeschickt zu werden.
Antipas ist wütend, als er Salomes Forderung erfüllen muss, tut aber wegen seines Schwurs und des möglichen Gesichtsverlusts, was sie verlangt. Er lässt ihr den Kopf des Johannes auf einem Silbertablett bringen, ein Symbol für Reinheit, ein reines Gewissen, gute Absichten und Güte. Damit will er zeigen, dass er einen Unschuldigen getötet hat.
Um den tieferen Sinn dieser Geschichte zu verstehen, können wir uns zunächst den verborgenen Bedeutungen der Namen der Figuren nähern.
Der Name Johannes steht für „der von Gott Begnadete“; Philippus steht für „ein Pferdeliebhaber“; Salome für „die Friedfertige“; Antipas für „wie ein Vater“; während Herodias und Herodes für „mutig und tapfer“ stehen.
Wenn wir uns der Geschichte unter diesen Gesichtspunkten nähern, nimmt sie eine überraschende Wendung. Wir sehen uns plötzlich mit einigen Widersprüchen konfrontiert, da die Namen der Protagonisten nicht mehr zu ihren Rollen in der Geschichte zu passen scheinen.
Wie lässt sich zum Beispiel Salome, die im Hebräischen „das Reich des Friedens“ bedeutet, mit ihrer Forderung nach dem Kopf des Johannes vereinbaren, was nicht gerade eine friedliche Handlung ist? Wie kann Herodias, deren Name „tapfer“ bedeutet, als mutig angesehen werden, nachdem sie ihr eigenes Kind auf verräterische und feige Weise manipuliert hat, um den Kopf des Predigers zu fordern?
Antipas, der mit Nachnamen Herodes heißt, zeigt eine Zweiteilung seines Charakters und damit einen doppelten Widerspruch. Einerseits bedeutet sein Nachname Herodes tapfer, doch er versteckt sich hinter der Enthauptung, um sein Gesicht nicht zu verlieren, während sein Vorname Antipas, der eine väterliche Figur verkörpern soll, Salome zum Tanz der sieben Schleier ermutigt, was eher auf einen Akt der Perversion als auf väterliche Liebe hindeutet.
Wie lässt sich der Widerspruch auflösen, dass das Haupt des Johannes auf einem Silbertablett präsentiert wird, wo wir doch wissen, dass Silber für Reinheit, ein reines Gewissen, gute Absichten und Güte steht? Was ist die Bedeutung hinter all dem?
Die erhabene Bedeutung einer grausamen Geschichte
Es muss eine versteckte Bedeutung hinter dieser grausamen Geschichte geben? Oscar Wilde schreibt in seinem Stück, dass Salome 15 Jahre alt ist. 1 und 5. Sie tanzt den Tanz der 7 Schleier. Hier sehen wir die Kombination der Zahlen 1, 5 und 7, die auf den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist hinweisen. Es ist klar, dass wir hier etwas Besonderes berühren, also lassen Sie uns mit unserer tieferen Analyse fortfahren.
Wenn wir die Symbolik der sieben Schleier betrachten, kann dies auf die sieben Gehirnhälften oder die sieben Kammern des Herzens hinweisen, aber in diesem Fall sind sie hier nicht dargestellt, da wir uns mit dem „Kopf“ des Johannes beschäftigen.
Während Salome ihren Tanz der sieben Schleier tanzt, fällt einer nach dem anderen, was darauf hinweist, dass der johanneische Mensch die wahre Natur des Denkens Schritt für Schritt durchschauen wird. Wenn also die Schleier, die das Heiligtum des Kopfes umhüllen, einer nach dem anderen fallen, ist die „Belohnung“ die Enthauptung, und der Geist beruhigt sich. Frieden tritt in das Denkvermögen ein, und Salome, die Friedliche, ist am Ende.
Wie wir bereits gesehen haben, gibt Oscar Wilde an, dass Salome 15 Jahre alt ist. Die Zahl 1 kann auch für die Einheit oder einen einseitigen Fokus stehen, und die 5 kann die neue Seele darstellen. Wir sehen also, dass Salome als die neue Seele das Werk vollendet. Die Persönlichkeit muss den Mut haben, dies zu tun, den Mut, die sieben Schleier fallen zu lassen, den Mut und die Tapferkeit der Herodias.
Salome ist die Tochter der Herodias. Der Friede ist die Tochter, das Ergebnis der Tapferkeit. Es gehört viel Mut dazu, das eigene Denken und das daraus resultierende Handlungsleben genau zu beobachten und daraus Konsequenzen zu ziehen. All dies kann nur geschehen, wenn es von Reinheit, guten Absichten und Herzensgüte begleitet wird. Die Herzensgüte muss man auch auf sich selbst anwenden.
Wenn die Schleier fallen, kommen die beiden Seiten unseres Wesens zum Vorschein, denn sowohl das Gute als auch das Böse sind Aspekte, die unser altes irdisches Leben aufrechterhalten. Um den Prozess des Aufhebens der Schleier zu sehen und zu durchleben, muss man gütig zu sich selbst sein und darf nicht in Selbstmitleid oder Selbstbeschuldigung verfallen.
Wenn wir uns dieser Geschichte aus einem anderen Blickwinkel nähern, können wir sehen, dass jede Figur als ein separater Aspekt des Menschen auf dem Weg betrachtet werden kann, der eine andere Bewusstseinsebene repräsentiert.
Wir beginnen mit Phillipus, dem „Pferdemenschen“, einem Symbol für den irdischen Geist. Er ist vollkommen glücklich in dieser Welt. Aus gnostischer Sicht ist dies völlig analog zu dem Gefühl, dass Menschen mit Pferden den Himmel auf Erden haben, aber wenn sie sterben, gibt es wenig zu erben“. Phillipus ist der Mensch, der sich ganz auf irdische Dinge konzentriert, der sich überhaupt nicht mit den tieferen Fragen des Lebens beschäftigt. Er lässt sich vom Leben treiben, ohne zu hinterfragen, und lässt „Gottes Wasser über Gottes Acker laufen“, wie es heißt. Er verschwindet schnell aus der Geschichte, weil andere Aspekte des Bewusstseins auftauchen.
Herodias, seine Frau, sein Gegenpol, sehnt sich nach einem höheren Lebensziel. Der Geistesfunke strahlt eine Sehnsucht nach der Einheit mit dem Geist aus, eine Sehnsucht, die ein rudimentärer Ausdruck eines höheren Bewusstseins ist, und die es dem von Natur aus geborenen Menschen Phillipus nicht erlaubt, Frieden in seinem Leben zu finden. Infolgedessen muss Phillipus von der Bildfläche verschwinden und Antipas in den Vordergrund treten. Phillipus wird gewissermaßen in Antipas verwandelt.
Antipas nimmt nun eine ganz andere Rolle ein. Er erkennt Salome als die neue Seele und fordert sie auf, sich zu offenbaren, die Schleier beiseite zu ziehen, die das neue Denkvermögen, das neue Bewusstsein umhüllen.
Doch Salome kann nicht helfen, sondern bittet um den Kopf des Johannes. Salome, die neue Seele, kann sich erst offenbaren, wenn die Schleier, die das Hauptheiligtum umhüllen, beseitigt sind. Solange das alte Denken nicht als begrenzender Faktor auf dem spirituellen Weg gesehen wird, egal wie notwendig es ist, kann keine wahre Einsicht gewonnen werden.
Wenn diese Einsicht durch den Tanz von Salome gewachsen ist, erkennt Johannes, dass seine Rolle erfüllt ist. Er versteht, dass er verschwinden muss, um Salome, der neuen Seele, jede Gelegenheit zu geben, weiter zu wachsen. Er erkennt und anerkennt
innerlich die Anwesenheit der neuen Seele, und er opfert sich aus freiem Willen.
Was wie eine grausame, blutrünstige Geschichte aussieht, bekommt plötzlich eine sehr erhabene spirituelle Bedeutung. Das irdische Bewusstsein, Johannes, das die Grenzen seines Potenzials erreicht hat, weicht bereitwillig dem neuen Bewusstsein, dem neuen Seelenbewusstsein.
Zusammenfassend können wir also sagen, dass die Tür zum neuen Seelenbewusstsein verschlossen bleibt, solange wir aus dem alten irdischen Bewusstsein leben, solange wir uns nur von dem leiten lassen, was „bekannt“ ist. Denn das „Bekannte“ ist der Schleier, die Tür, die das Unbekannte vor uns verbirgt. Wenn wir durch Einsicht die sieben Schleier entfernt und unser altes Denken „enthauptet“ haben, wird sich eine Tür öffnen, eine Tür zum neuen Seelenbewusstsein voller herrlicher neuer Perspektiven.