Vertraut. Dein Gesicht ganz nah auf dem Kissen. Das Blau deiner Augen. Die silbernen Strähnen in deinem Haar. Der leicht gebogene Mund, wenn dein Kopf auf der Seite liegt. Jeden Morgen sehen meine Augen dieses Bild. Jeden Morgen, nehme ich deinen Geruch war. Jeden Morgen wache ich neben dir auf. Selbstverständlich.
Doch ich sehe dich nicht. Zu oft hab ich dich angeschaut, gerochen – und gehört. Ich weiß, was du sagst, bevor du sprichst. Ich höre das, was ich erwarte. Ich nehme wahr, was ich als Wahrheit nehmen will. Ich begegne immer wieder mir – anstatt dir.
Das ist der Lauf der Dinge. So ist es, wenn Menschen gemeinsam alt werden. Die immer gleichen Wortgebilde, die sich wiederholen. Die immer gleichen Gemeinsamkeiten, die immer gleichen Unterschiede, immer dieselben Konflikte. Eingespielt in Jahren der Vertrautheit, manches ist zu Ritualen geworden. Zur festen Gewohnheit ohne Lebendigkeit. Der Lauf der Dinge.
Gehe zurück zum Anfang. Zur bedingungslosen Offenheit der ersten Treffen. Da, als sich die Herzen sahen. Der Beginn bleibt der Beginn. Nicht wieder herzustellen. Es bleibt der Zauber des Anfangs. Der Punkt, an dem die gemeinsame Reise startete. Dorthin geht es nicht zurück.
Doch: Wieder auffindbar ist etwas anderes. Der Zauber an sich. Die Begegnung in der Offenheit. Das Erkennen des anderen Menschen, wenn sich die Schichten der Persönlichkeit abschälen. Dann blitzt etwas auf, das zart ist und licht – und voller Kraft. Der Kern. Die Seele, die zu Hause ist in der Ewigkeit. Das bleibt übrig, wenn der Mensch die Kleider seiner Kultur ablegt.
Im Verlieben ist das Aufleuchten der Seele ein Geschenk, kaum wahrgenommen – aber selbstverständlich da. In den Jahren des gemeinsamen Weges drängt sich die Seele nie auf. Wird vergessen bei all den Projekten. Und verschwindet unter der Alltäglichkeit. Im Lauf der Dinge.
Oder sie wird reserviert – nur für sich selbst. Doch so vergeht sie, ihre Leuchtkraft nimmt ab, wird kleiner und kleiner. Und sie verschließt sich. Die Seele beginnt nur zu leben, wenn sie gewollt und ernährt wird. Und wenn sie ihresgleichen begegnet. Dann kann sie vibrieren, in Schwingung geraten – und sich mitteilen. Dann beginnt das Gespräch. Die Begegnung mit Anderen. Mit dem Menschen, der so vertraut in den Kissen liegt.
Es ist eine Begegnung ohne Worte. Es ist eine Zeit für die Seelen.