Ich verlasse den Bahnhof von Gent in Richtung Stadt und stoße in der Stadtmöblierung auf ein leuchtend gelbes Werbeplakat. Darauf steht: „Der Abstandhalter gewinnt“
Es scheint logisch: In einer Zeit, in der Menschen etwas gefährlich Ansteckendes füreinander haben können, ist es am besten, etwas Abstand von seinen Mitmenschen zu halten. Abstand im physischen Raum. Ein Mensch ist aber auch im Seelenraum präsent. Da wird der Slogan unlogisch. Er steht im Widerspruch zu dem, was wir als unsere innere Mission erleben: das Streben nach Verbindung mit all den anderen Menschen und die Erfahrung des Einsseins. Unsere Anwesenheit in beiden Räumen stellt also einen Konflikt dar. Lassen Sie uns dieses Problem erforschen.
Ausgehend von einer alten, aber zeitlosen Weisheit, zitieren wir Hermes Trismegistos:
Und als der Mensch in der Natur jene Form bemerkte, die ihm durch ihr Spiegelbild im Wasser so sehr ähnelte, verliebte er sich in sie und wollte dort wohnen. Und was er wollte, tat er sofort, und so ging er hin, um die sinnlose Form zu bewohnen.
Für Hermes hat unser Grundproblem als Menschen damit zu tun, dass wir uns mit einer Projektion unserer selbst in die Materie identifizieren. Das gilt für den einzelnen Menschen, das gilt auch für die Menschheit. Und doch haben wir diese sehr starke Tendenz, alles zu tief in den Staub zu ziehen. Was in den psychischen Raum gehört, sehen, übersetzen, interpretieren wir in der Materie. Und wir vergessen, dass die Materie eine Metapher ist, eine visuelle Lektion.
Vor vierhundert Jahren wurden die grundlegenden Bücher der klassischen Rosenkreuzer veröffentlicht. Liest man die Historikerin Frances Yates, so zeigt sich schon bald darauf eine wichtige Spaltung im europäischen Denken. Frei übersetzt: Es entstanden zwei Strömungen, eine magisch-wissenschaftliche Strömung und eine wissend-magische Strömung. Letztere können wir auch als gnostisch-magisch bezeichnen. Jetzt, vier Jahrhunderte später, können wir deutlich sehen, wohin diese beiden Entwicklungslinien führen. Der Unterschied zwischen den beiden Strömungen, zwischen den beiden Ansätzen, besteht darin, ob eine Reihe von Kraftlinien zur Offenbarung in den Staub gezogen werden oder nicht. Die Kraftlinien sind da, wie in einem Plan gezeichnet. Wir können diese Linien entweder im physischen Raum oder im Seelenraum verwirklichen.
Der magisch-wissenschaftliche Strom wurde im frühen zwanzigsten Jahrhundert zu einer wissenschaftlichen Bruderschaft. Eine parallel inkarnierte Gruppe menschlicher Seelen, die sich zu Wissenschaftlern entwickelte, sammelte sich während der Ereignisse und Kriege der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika im Los-Alamos-Projekt. Diese Wissenschaftler bekämpften in dieser Zeit die Achsenmächte – Deutschland, Italien und Japan – und aus ihrer Sicht die Mächte des Bösen. Experimentell arbeiten sie an der Atombombe. Ihr erstes Exemplar wird während des Trinity-Tests furchterregend gezündet und zum Funktionieren gebracht. Trinity kann mit Dreieinigkeit übersetzt werden. Die visuelle Erfahrung des Tests lässt sich so beschreiben: Wir haben die Sonne erschaffen!
Der gnostisch-magische Strom hat seinen eigenen Entwicklungsverlauf. Jahrhunderts wird in unseren Ländern eine Geistesschule gegründet, mit der Jan van Rijckenborgh inhaltlich in die Fußstapfen von Rudolf Steiner und Max Heindel tritt und den Weg weiter erforscht. Er tut dies mit einer Gruppe von Schülern in beiden Räumen: Der Schwerpunkt liegt in der Seelenwelt, aber die Schule nimmt auch in der physischen Realität Gestalt an.
Es mag interessant sein, die Atombombe und ihre Entwicklung als Metapher näher zu betrachten, als eine Reihe von Kraftlinien, die durch menschliche Unwissenheit zu tief in die Materie hineingezogen wurden.
Der magisch-wissenschaftliche Strom arbeitet experimentell, in einem Wechselspiel von physikalischen Experimenten und theoretischen Entwicklungen in Physik und Mathematik. Bei diesen Experimenten kommt es auch zu einer Reihe von Unfällen, bei denen große Energien ungewollt freigesetzt werden.
Der gnostisch-magische Strom arbeitet nach dem Plan Gottes für die Welt und die Menschheit. Er experimentiert ausdrücklich nicht im dialektischen Labor für menschliche Seelen. Entsprechend seiner Manifestation in dieser Welt zerfällt dieses eine Labor in eine unbestimmte Anzahl von Schulen, die zusammen die eine Schule für den Geist der eigentlichen Menschheit bilden.
Zentral für die magischen Wissenschaftler ist der Begriff der kritischen Masse. Es muss eine ausreichende Menge aktiv strahlender Materie in einem bestimmten, relativ kleinen Volumen zusammengebracht werden. In der ersten Atombombe geschieht dies durch ein kugelförmiges Implosionsfeld, das die kleine Kugel aus radioaktiver Materie nach innen, zum Kern hin, komprimiert. Auf diese Weise wird die kritische Masse erreicht. Die Kettenreaktion wird stark beschleunigt und gipfelt in einer Kernexplosion. All dies findet im physischen Raum statt.
Meiner Meinung nach will auch die gnostisch-magische Schule des Geistes die kritische Masse erreichen. Sie tut dies im psychischen Raum, im Seelenraum. Wie die Metapher zeigt, ist dafür nicht so sehr eine große Masse erforderlich. Vielmehr geht es um die Verdichtung einer Ansammlung von aktiven Emittern. Menschliche Seelen, in denen durch die Lebenseinstellung und die Einflüsse eines kollektiven Strahlungsfeldes die eigene Fähigkeit zu strahlender Aktivität geweckt und bis zu einem gewissen Grad aktiviert wurde. Ausstrahlung heißt hier: Energie zur Transformation der Seele. Metaphorisch ausgedrückt: Sie wurden in angereichertes Uran, in Kernbrennstoff verwandelt. Der äußere Druck, diese Ansammlung von Seelen zu einer kritischen Masse im Sinne des Plans zu verdichten, kommt von kosmischen und brüderlichen Einflüssen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Mysterienplaneten, darunter auch Uranus.
Wie funktioniert das in der Schule des Geistes? Die menschlichen Seelen werden in einem geplanten Prozess gesammelt, aktiviert, umgewandelt und angereichert. Dann werden sie, immer noch vollständig geplant, geordnet und in Gruppen zusammengeführt. Die Aufforderung an die Mitglieder einer solchen Gruppe lautet, die höchstmögliche Dichte an strahlenden Seelen zu erreichen. Wir erleben einen ständigen sanften Druck, ein Drängen, im psychischen Raum näher zusammenzukommen, sich zu vereinigen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Abstandshalter entfernt werden müssen: störende Felder von Bewusstseinsmaterie, von psychischer Materie, von anziehenden und abstoßenden Kräften, die um jeden Einzelnen herum vorhanden sind. Und die, wie der Kohlenstoff in einem Kernreaktor, einen Teil der freigesetzten Strahlung absorbieren und sie damit unwirksam machen.
Ein wichtiger potenzieller Abstandshalter ist unser Körper. Nehmen wir für einen Moment an, dass ein liebevoll biologisch minimal gepflegter Körper derzeit das Beste ist, was man erreichen kann, und dass ein solcher gepflegter Körper dann der Seele ihre Freiheit lässt.
Gegenbeispiel: Wenn Sie hungrig sind, gilt Ihre Aufmerksamkeit nur dem Essen. Wenn Sie in das Objekt Ihrer Liebe verliebt sind. Die Seele ist dann nicht frei. Die Spannungen in uns und um uns herum sind Arbeitsmaterial. Ein wichtiges Element dabei ist die Identität. Die Identität ist das Grundproblem der Seele, der Seele, die sich mit ihrer Projektion in der Materie identifiziert und damit ihre Freiheit der Offenbarung verwirkt hat. Wir haben das vorhin bei Hermes Trismegistos gelesen.
Mit unseren eigenen begrenzten Bewusstseinskräften wiederholen wir denselben Mechanismus: Wir identifizieren uns mit unseren Schöpfungen, unseren Vorstellungen. Du bist ein Belgier, ich bin ein Holländer. Ich bin ein Mann, Sie sind eine Frau. Man spürt sofort die Abstandshalter, die sich dazwischen schieben! Und noch ein paar mehr: Ich wurde in der Schule geboren, du kamst im Alter. Oder: Ich bin Rosenkreuzer, du Anthroposoph. Diese Identifikationen können und müssen wir weitgehend loslassen, vor allem, wenn wir den Tempel betreten wollen.
Metaphorisch kann man den Tempel mit dem Zentrallabor im Seelenraum vergleichen. Dort wird mit transformatorischer Energie gearbeitet. Dort wird Alchemie praktiziert. Die Abstandshalter müssen also raus! Ein noch akuteres Problem ist die Kritik: Wir schaffen eine Vorstellung, um Distanz zu schaffen. Du machst es falsch, schau, wie gut ich es mache. Zwei Seelen werden sozusagen auseinander katapultiert. Die Aufforderung lautet: Nimm die Abstandshalter heraus und schmiede keinen neuen!
Es gibt auch Abstandshalter, die wir teilen, die zur Gruppe gehören. Eine besondere Kategorie davon sind die Ideen rund um Macht und Organisation. Wir können jemanden, der in der Organisation eine bestimmte Verantwortung hat, auf ein Podest stellen und uns selbst ganz nach unten stellen. Das schafft Distanz. In welchem Raum findet das also statt?
Identität, Identifikation und Distanz spielen auch in einem größeren Rahmen eine Rolle: Die verschiedenen geoffenbarten Schulen, die verschiedenen alchemistischen Laboratorien, haben aus ihrer Entstehung und Konstruktion heraus ihre eigenen Identitäten entwickelt. Aber diese Identitäten entstehen nur durch die Identifikation der Gruppe mit den Dingen, die per Definition außerhalb des physischen Raums liegen. Durch diese Identifikation distanzieren wir uns von den anderen Gruppen. Wir schieben auch zwischen sie und uns einen kollektiven Abstandhalter.
Die Einheit der Gruppe und die Einheit der Seele, die Einheit des Menschseins, das Erleben DER Einheit, sind das Ergebnis der Beseitigung der Distanzhalter. Des Loslassens von Identifikationen. Das Aufgeben der Identität. Im Tempel. Als Gruppe von strebenden Seelen werden wir immer wieder eingeladen, in dieser Einheit zu stehen. Sind wir dazu bereit? Sind wir bereit, alles zu tun und zu lassen, um uns so nahe zu kommen, dass wir die Menschheit verwandeln können, sie im Seelenraum wie eine neue Sonne erstrahlen lassen?
Das erste Stück des Weges ist lang, mühsam und erfordert Opfer. Es erfordert ständige Bereitschaft und damit Menschenliebe, dem sich entwickelnden aktiven Spaltungskern anzugehören. Dann gibt es die plötzliche Erhebung in das Sonnenfeuer, in den Christus. Er leuchtet für alle.