Komm, Heiliger Geist! Mit Heiterkeit zum Schafott

Komm, Heiliger Geist! Mit Heiterkeit zum Schafott

Quelle und Wesen der geistigen Heiterkeit bei Dostojewski und den Katharern

Es war eine von den ruhevollen Morgenfrühen, wo einem schlafende Kinder einfallen und alles Schöne, was sie versprechen; die Luft klar und weich, wie wenn Engelsflügel ihr die Bewegung geben. Ein jungfräulich sich erhebender Tag, strahlend, heiter errötend, von Kühle durchrieselt, einen keuschen Mut entfachend.
Giovanni Papini

Die Heiterkeit eines Menschen ist ein herausragendstes Merkmal […] Eine Person wird beim Lachen aufrichtig und ihr gesamter Charakter wird plötzlich in vollem Umfang sichtbar […] Wenn Sie der Seele eines Menschen begegnen wollen […], schauen Sie, wie er lacht. Nur ein guter Mensch kann gut (gesellig und offenherzig) lachen.
Fjodor Dostojewski

Wenn wir uns auf das Wesen der Heiterkeit einlassen wollen, sollten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass Heiterkeit kein bloßer eintöniger emotionaler Zustand ist. An der Vielfältigkeit der Bedeutung von Heiterkeit möchte man verschiedene Fassaden unterscheiden: z.B. eine maßlose Heiterkeit, eine stille, ruhige (seelische) Heiterkeit, eine geistige Heiterkeit, eine heilende Heiterkeit. Alle diese Ausprägungen und noch mehr finden wir in den Werken von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Wir sammeln die Moleküle der Heiterkeit gleichsam Tropfen für Tropfen aus seinen Romanen, Erzählungen und Novellen ein, die die seelisch-psychologischen Abbilder des menschlichen Wesens mit all seinen komplizierten Zusammenhängen und verknoteten Lebenswegen, Erlebnissen und Geschichten, Beziehungen und Träumen darstellen. Bis wir eines Tages auf einmal bewusst und frei von unseren Vorstellungen, Erwartungen und Zielen werden und in der Tiefe unseres vielseitigen Wesens die Quelle der geistigen Heiterkeit erblicken. Aus dieser Quelle schöpften die rätselhaften, unerkannten Helden der Werke Dostojewskis die heilende Kraft und erkannten mitten in ihren Heimsuchungen eine Chance zur seelischen Rettung. Aus diesem Brunnen tranken die Bonshommes, die südfranzösischen Christen im Mittelalter, die furchtlos und bereitwillig, in stiller Heiterkeit mit einem Sprung ins Feuer ihren geistigen Auftrag vollbracht haben. [1]

Was ist Heiterkeit und worin liegt ihr geheimer Zauber? Woran erkennt man ihre Verwandtschaft zur Freude, zu Fröhlichkeit, Frohsinn, Jubel und Glückseligkeit, Wonne? Versuchen wir, den verborgenen Zauber der Heiterkeit zu ergründen, fragen wir nach ihren Ingredienzen, ihrem Maß und ihrem Maßstab.

Komplexe menschliche Charaktere verfügen über verschiedene, meist widersprüchliche „Iche“, so Sri Aurobindo, die miteinander kämpfen. Trotz der Widersprüchlichkeit kann spontan eine heitere Stimmung entstehen, wenn ein Mensch es schafft, einen Blick hinter die Kulissen seiner persönlichen Gemütszustände zu werfen. Wahre Heiterkeit bedarf des rechten Maßes: „Unmäßige Heiterkeit und unnötiges Geschwätz zerstreuen ganz zweifellos die Kraft. Große Mäßigung ist in diesen Dingen erforderlich“, so Sri Aurobindo.[2]

Ein „Molekül Heiterkeit“ besteht aus „Atomen“ verschiedener Art. Je nach deren Quantität und Qualität bildet sich eine Palette verschiedener Ausprägungen heiterer Stimmungen. So kann Heiterkeit zu der Freude werden, „ohne die die Welt nicht bestehen kann“.[3]

Lichte Heiterkeit des Herzens

Allmählich verwandelt das Mysterium des Lebens allen Kummer gewesener Tage in ruhige Heiterkeit.
Fjodor M. Dostojewski [4]

Wie oft verwechseln die Menschen ihre persönlichen mit den seelisch-geistigen Dimensionen! So kommt es dazu, dass sie mit ihrem schöpferischen Vermögen aus hohen Werten Dogmatismus und Machtmissbrauch entstehen lassen. Bei der Heiterkeit kann es ähnlich sein. Ohne Mitgefühl wird sie zu einer Waffe, die verletzen und vernichten kann. Anders ist es, wenn sie trotz erlebten Leides oder erlittenen Unrechts aus der Tiefe des Wesens aufsteigt und dabei hilft, Wunden zu heilen. Eine solche heilende Heiterkeit ist, verbunden mit Lebensfreude, eine läuternde seelische Kraft. Anandamayi Ma, spirituelle Meisterin aus Indien, war von ihrer Wesensart her freundlich, ruhig und heiter. In ihr lebte eine ungebundene, durch nichts gehemmte Freude, die ihren Ausdruck in Fröhlichkeit fand und „keine Hindernisse kennt, weil sie tief im Absoluten, jenseits der Dualität von Gut und Böse, von Ich und Nicht-Ich, von angenehm und unangenehm wurzelt und weil Liebe und Weisheit ihr unerschütterliches Fundament bilden.” Anandamayi Ma erzählte gern Geschichten, sang, tanzte und lachte viel. Eine ihrer Botschaften lautet: „Wann immer ihr die Gelegenheit habt, lacht, so viel ihr könnt.“ [5]

Selbst seine Dunkelheit ist leuchtend

Fjodor Michailowitsch Dostojewski, der bekannte russische Schriftsteller, der auch ukrainische Wurzeln besaß (sein Großvater war ein ukrainischer Pfarrer in Brazlau), schuf bedeutende Werke, in denen er ein breites Spektrum von „Molekülen der Heiterkeit“ darstellte. Er war „ein verbrannter Mensch, verbrannt von innerer spiritueller Leidenschaft. Seine Seele brannte und aus diesem höllischen Feuer wurde sie zum Licht gehoben“.[6] Dostojewski wurde zu einem lichtvollen, fröhlichen und seinem harten Schicksal gegenüber geduldigen und heiteren Menschen. Er und seine literarischen Charaktere finden Rettung im Glauben an Christus – den leichten, leuchtenden und strahlenden Christus, der sagt: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“, und: „Seid fröhlich und getrost!“ (Matthäus 5:4,12).

Dostojewskis Charaktere mit ihren seelischen „Klüften, voll des Guten und Freudigen und voll des Bösen und Leidenden“, faszinieren durch ihre Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, mit der sie ihre inneren Welten erforschen. Die schicksalhaften Verstrickungen, in denen sie sich befinden, können dem moralischen Gericht der Wahrheit letztlich nicht standhalten. So steckt in den Werken Dostojewskis neben der Ungerechtigkeit, Dummheit, dem Leid und der moralischen Qual, die die Personen in seinen Romanen aushalten müssen, seelische Freude und Heiterkeit.[7]

Heiterkeit hinter der Schwermut

Man sollte tief in Dostojewski Werke eintauchen, um das helle, freudige Christentum darin zu entdecken und seine Kraft zu verstehen. Dostojewskis Hauptcharaktere sind nie harmonisch und in sich ruhend. Einer der stärksten Kontraste bildet sich zum Beispiel in Die Brüder Karamasow bei Aljoscha ab, wenn er von abgrundtiefer Trauer und Verzweiflung nach dem Tod seines geliebten Lehrers Starez Zosima zu jubelnder Heiterkeit gelangt nach seiner Vision von der Auferstehung des Starez.

Dostojewskis literarische Geschöpfe sind erst dann klar und aufrichtig, wenn die Verwandlung ihrer Persönlichkeit abgeschlossen ist und die Seele die Führung übernommen hat. Dann verschmilzt das Widersprüchliche zu seelischem Gleichmut, in dem der Mensch von Lebensfreude und unerschütterlichem Glauben erfüllt wird. Es ist der Glaube an einen Gott, der die Menschheit liebt, der Glaube an das Wunderbare, an das Leben selbst, an die immer vorhandene Möglichkeit, aus jeder schweren Lage, aus jeder Erstarrung wieder in den Lebensfluss aufgenommen zu werden. Dmitri Karamasow, der Bruder Aljoschas, fühlt sich am Boden zerstört, als er als Vatermörder verurteilt wird. Doch dann erkennt er, dass „der alte Mensch in ihm gestorben und der neue Mensch geboren ist“. Berührt durch diese gewaltige innere Verwandlung, erklärt er sich bereit, unschuldig die Schuld eines anderen zu übernehmen, um dem neuen Menschen in sich immer nahe zu bleiben, ihm zu dienen und die Verbindung zu ihm nicht zu verlieren. Seine Heiterkeit berührt die Menschen, die an seinem Schicksal teil haben und verleiht auch ihren Seelen die „Schwingungen der Heiterkeit“.[8]

Für Nikolai Berdjajew ist Dostojewski ein Gnostiker besonderer Art. „Seine Weltanschauung ist seine brillante Intuition für das menschliche und weltliche Schicksal. Es ist eine künstlerische Intuition, aber nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine ideologische, kognitive, philosophische Intuition, es ist Gnosis.“ In der Entwicklung von Dostojewskis Denken sieht Berdjajew nicht dogmatisches, strafendes Christentum, sondern das strahlende johanneische Prinzip „des Lichtes in der Dunkelheit“.[9]

Stille Heiterkeit des vollkommenen Glaubens

Plötzlich steigt aus der Mitte des Scheiterhaufens eine Taube, eine schneeweiße Taube auf, die Taube des Parakleten. Sie fliegt zur Burg, umkreist sie einmal und folgt einen Augenblick dem „Weg der Katharer“ in Richtung der Grotten des Sabarthes. Dann schießt sie wie ein Pfeil in Richtung Osten […] Ihre Sendung ist vollbracht.
Antonin Gadal

Gnostisch denkende und lebende Menschengruppen existieren in jedem Zeitalter. Ihre Schicksale sind oft tragisch, die weltliche Macht fürchtet ihren Einfluss und versucht, sie zu vernichten. Doch ihr geistiges Erbe begleitet die Menschheit, wird gleichsam mit der Luft eingeatmet und verwandelt menschliche Herzen in Gefäße für geistige Heiterkeit. So bestiegen die südfranzösischen Bonshommes, die Purs, Parfaits, am 16. März 1244 freiwillig und mit Gesang in heiterer geistiger Offenheit den Scheiterhaufen.

Die lange Reihe von 205 Katharern, die in der Burg [Montségur] eingeschlossen waren […]. Bertrand d’en Marti, der Patriarch, geht an der Spitze des glorreichen Zuges, den er in Ruhe zum Platz der Hinrichtung führt. Nicht einer hat seine Vergangenheit verleugnet. Nicht einer ist vor dem Scheiterhaufen zurückgeschreckt. [10]

Was war die Quelle ihrer Ruhe?, können wir uns fragen. Wo sind die bitteren Tränen und verzweifelten Blicke geblieben, warum klammerten diese Menschen, junge wie alte, Männer und Frauen, nicht an ihrem Leben? Sie, die so viel vom Leben verstanden, die Heilkünste beherrschten und von den Menschen ihrer Umgebung so geliebt wurden, wie sie von den Kreuzfahrern gehasst und gefürchtet waren. Warum haderten sie nicht mit ihrem Schicksal? Die Fragen bleiben an den Lippen hängen, aus Respekt vor der inneren Stille, der Größe des Geistes, der diese Menschen führte und beseelte.

Ich sehe sie vorbeiziehen, ruhig und würdig, glücklich und sicher den Weg zum „guten Ende“ gehend. Sie sind erfreut bei dem Gedanken auf ihren bevorstehenden Aufgang auf dem „Weg der Sterne“. Als treue Jünger Christi, die sie waren, erfüllte sie die Freude, ihr Leben für die Verherrlichung ihres Meisters geben zu dürfen: das höchste Ziel ihrer strengen und langen Einweihung![11]
Antonin Gadal

Wie die Bienen von Blüte zu Blüte fliegen, um Nektar zu sammeln, trachtet der suchende Mensch nach den kostbaren Augenblicken still anrührender Heiterkeit aus allen Zeiten. Und sie stellen sich ein, unerwartet, in Momenten, in denen sie benötigt werden.


[1] Giovanni Papini, in: Das Leben des Herrn (Storia di Cristo), zit. in: William P. Giuliano, Spiritual Evolution of Giovanni Papini, in: Italica, Vol. 23, Nr. 4, 1946, S. 304–311.

[2] Sri Aurobindo/ Die Mutter, Handbuch des Integralen Yoga, 4. Auflage, Gauting, 2010, S.186

[3] Oscar von Schoultz , Der lichte, heitere Dostojewski (Übersetzung des russischen Titels), Petrozavodsk Universitätsverlag, 1999

[4] In: Fjodor Dostojewski, Das Glück liegt in der Heiterkeit, Zitate, zusammengestellt von Baum und Völker, Leipzig

[5] Sri Anandamayi Ma, Worte der Glückseligen Mutter Anandamayi, Chandravali D. Schang ( Hrsg.), 2010, 3. Auflage, S. 2

[6] Berdjajew, Nikolaj, Die Weltanschauung Dostojewskis, 2023

[7] Oscar von Schoultz, a.a.O.

[8] Anklang und Widerhall: Dostojewskij in medialen Kontexten, Jahrbuch der Deutschen Dostojewski–Gesellschaft, 2013, S. 330–346

[9] Berdjajew, a.a.O.

[10] Antonin Gadal, Der Triumph der universellen Gnosis, Amsterdam 2006, S. 35-36

[11] Antonin Gadal, a.a.O.

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Datum: Mai 22, 2025
Autor: Elena Vasenina Russia/Germany
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