HEITER

HEITER

Heiterkeit hat viele Gesichter und Geschwister: tänzerische Leichtigkeit – auch im Sitzen /

ansteckende Fröhlichkeit – auch ohne Worte / spontane Munterkeit – auch allein mit sich selbst
sonnenklare Zuversicht – auch bei Nacht / sanfter Humor – auch in der Wut / stilles Glück – auch im Pech / friedliche Gelassenheit – auch im Stress / umfassende Gefasstheit – auch vor der OP / Gesundheit – auch im Kranksein, und ANGSTFREIHEIT.

Immer nur lächeln, immer vergnügt,
doch wie´s da drin aussieht,
geht niemand etwas an.
Franz Lehár, Das Land des Lächelns

Einen Artikel über Heiterkeit schreiben? … das kann ja heiter werden!

Früher Morgen: 6:30. Wie immer, schreibe ich gleich nach dem Aufwachen. Heute Nacht hatte ich einen spannenden Traum. Den will ich kurz notieren, bevor ich unten in der Küche einen Morgentee machen werde.

Traum:

Ich war in einer großen Menschenmenge. Eine riesige künstliche Festplatte kam wie ein Ufo vom Himmel her angeschwebt. Alle Menschen bekamen von dieser über uns schwebenden Festplatte eine kleine neue Festplatte angeboten, mit der sie weiterleben konnten. Ich sah das ganz konkret. Alles Alte wurde damit gelöscht, alles Karma, alle Probleme: Reset! Mit der neuen Festplatte konnten wir ganz neu beginnen. Die meisten nahmen sie gerne freiwillig an. Es war nichts Zwingendes dabei. Wir konnten diesen Austausch verweigern, mussten das jedoch dann vor so etwas wie Zoll- oder Grenzbeamten begründen. Ich wollte keine neue Festplatte, sondern fand das künstlerisch forschende Leben, wie es ist, attraktiver und verweigerte das Angebot. Es waren wenige, die sich weigerten, das Angebot anzunehmen. Wir scherzten mit denen, die sich für die Umprogrammierung entschieden haben: Keine Sorge, es hält nur eine Inkarnation, dann wird sich die Natur das wieder zurückerobern und ihr seid um eine karmische Erfahrung reicher.

Das war etwa der Kern des Traums.

Als ich das aufgeschrieben hatte, ging ich 18 Stufen in die Küche hinunter, um mir einen Tee zu brauen. Den wollte ich mit hochnehmen, um weiter zu schreiben. Denn ich sinniere schon eine Weile über einen Text zu Heiterkeit für LOGON Nr. 19. Das kann ja heiter werden! … ja, über Heiterkeit zu schreiben ist eine ernste Sache, grinste ich vor mich hin.
Da fiel mir spontan ein gedanklicher Zugang ein: „ … Sei doch mal heiter und nicht in so trüber Stimmung!“ Heiterkeit als Stimmungsaufheller? … ja, das kennen wir, das möchte ich vertiefen. Mich interessiert an diesem Thema der „Placeboeffekt“, also die Frage: Können wir uns selbst in eine heitere Stimmung bringen, ohne uns und anderen was vorzumachen? Oder anders gefragt: Ändern wir unsere Stimmung, wenn wir uns bewusst etwas vormachen, wenn wir so tun, als ob wir heiter wären, uns trotz miserabler Laune zu einem Lächeln überreden? Am besten gleich mal ausprobieren!

Als ich etwa 12 Jahre alt war, besuchte ich meine Tante in Basel. Sie schenkte mir einen Besuch im Theater. Genauer: zu der Operette Das Land des Lächelns von Franz Lehár. Der Kernsatz des Tenors lautete: Immer nur lächeln, immer vergnügt, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand etwas an.

Der Mann tat mir leid, wie er das so vor allen Leuten singen musste. Ich wusste spontan ganz sicher, dass ich kein Operettensänger werden wollte. Seine Aussage hat mich dennoch verwirrt und deshalb auch nachhaltig beeindruckt. Denn hieß das nicht, dass sein Lächeln, sein Ausdruck von Vergnügt sein und seine Heiterkeit eine Maske, eine Tarnung, ein nach außen geheuchelter Zustand sind? Offenbar funktionierte bei ihm der Als-ob-Effekt nicht. Stattdessen pries er ein Verhaltenskonzept an, bei dem das Innere verborgen und versteckt bleiben muss, weil es viel zu gefährlich wäre, die Gefühle zu zeigen, die wirklich da sind. Hier sein ganzer Text:

Wie jedoch schon Konfuzius in aller Weisheit spricht, / was immer du fühlst, verrate dich nicht / … Immer nur lächeln und immer vergnügt, / immer zufrieden, wie´s immer sich fügt. / Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, / doch wie’s da drin aussieht, geht niemand etwas an … / niemals zeigen sein wahres Gesicht.

Pokerface also? Bloß nicht sein Gesicht dadurch verlieren, dass man sein wahres Gesicht zeigt?

Ja, diese Richtung werde ich schreibend weiter erkunden.

Da brodelte also nicht nur das Teewasser, sondern es brodelte auch schon in meinem Kopf – ich hatte es eilig, wieder an meine Hightec-Schreibmaschine nach oben zu kommen. Der Tee war inzwischen fertig. Ich stellte die Thermoskanne und meine wertvolle, bereits mit feinem Darjeeling gefüllte Porzellan-Tasse (sie ist von meinem Kunst-Professor Gerhard Gollwitzer gestaltet) auf das Tablett und noch ein paar Haferkekse dazu. Dann eilte ich mit dem vollen Tablett die 18-stufige Eichentreppe hinauf, um diesen gedanklichen Zugang zum Thema Heiterkeit bloß nicht zu verlieren, sondern ihn gleich in den Computer einzuspeisen. Da passierte es: Ich stolperte auf der Treppe … die Tasse auf dem Tablett fiel um … der heiße Tee wurde verschüttet. Die Tasse hielt ich instinktiv fest: Lieber der Tee verschüttet, als die Tasse kaputt, ging es mir blitzartig durch den Sinn. Was für eine komische Situation! Ich war in euphorischer Stimmung die Treppe hochgeeilt, um über Heiterkeit zu schreiben … und stolperte. Was blieb mir anderes übrig: Ich musste lachen, putzte den Tee auf, um dann – endlich – das hier zu schreiben.

Ich gebe zu, das ist eine etwas stolperige Einleitung in das Thema Heiterkeit. Doch gehört Stolpern nicht zum wichtigen Repertoire eines Clowns? Stolpern erheitert, besonders wenn jemand zielstrebig daher schreitet oder übereifrig die Treppen hochstürmt. Stolpern relativiert das Ach-so-Gewisse. Wäre Ärger nicht natürlicher und ehrlicher gewesen? Sicherlich.

Doch vermutlich wusste eine inzwischen erfahrungsgeschulte Intelligenz, dass Ärger die Sache immer nur verschlimmert. So kommt gedankenschnell ein kreatives, inneres Steuerungsinstrument zum Einsatz, dessen Maxime etwa so lauten könnte: Wenn schon etwas derart Ärgerliches passiert, dann muss du dich doch nicht auch noch zusätzlich darüber ärgern!

Tänzerische Leichtigkeit – auch im Sitzen

Heiterkeit hat viele Gesichter und Geschwister: tänzerische Leichtigkeit – auch im Sitzen / ansteckende Fröhlichkeit – auch ohne Worte / spontane Munterkeit – auch allein mit sich selbst / sonnenklare Zuversicht – auch bei Nacht / sanfter Humor – auch in der Wut / stilles Glück – auch im Pech / friedliche Gelassenheit – auch im Stress / umfassende Gefasstheit – auch vor der OP / Gesundheit – auch im Kranksein, und ANGSTFREIHEIT.

Doch wie diesen Zustand erreichen oder von diesem erreicht werden … unter – und in – allen Umständen, die manchmal alles andere als heiter sind, wenn einen doch der Ärger am Schlafittchen hat?

Schauen wir uns nochmals kurz das Rezept des Operettensängers an: Immer nur lächeln, immer vergnügt, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand etwas an.

Das klingt zunächst – im westlichen Kulturverständnis – nach Drama, Selbstbetrug und Heuchelei. Doch es verweist auch auf die Tugend der Selbstbeherrschung, die in den östlichen Traditionen einen hohen Stellenwert genießt. Nicht gleich alles rauszulassen, muss also keine Heuchelei sein, sondern kann auch sozial wertvoll, lebensklug und freundlich-förderlich wirken. Eine gewisse Kontrolle der Gefühle und Gedanken, oder präziser: eine Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken lenkend zu gestalten, ist in jedem Falle hilfreich, auch um den Zustand der Heiterkeit – also diese schöne sonnige Stimmung – in sich selbst zu ermöglichen und auszustrahlen. Das hieße, wenn unser Protagonist diese beiden unvereinbaren Gegensätze, Lächeln und verborgenen Schmerz, in seiner inneren Herz- und Bewusstseinswerkstatt bearbeiten würde, anstatt vor Publikum seinen Status quo bravourös gekonnt zu lamentieren, dann könnte da was draus werden … ja, das könnte heiter werden!

Das Universum hilft

Und wie ist es mit der Als-ob-Methode? Durch bewusste positive Projektionen die selbstsuggestiven Kräfte zu aktivieren, etwa mit dem Mantram Es wird gelingen! Aber wie? Ist es mit einem bloßen Wunsch, den dann doch bitte das Universum (ein wissenschaftlicher Begriff für Gott) erfüllen möge, getan?

Nein, um die eigene Arbeit kommt man auch hier nicht herum. Denn das Universum – also Gott – hat dieses komplexe, schöpferische Wesen Mensch nicht hervorgebracht, um es im passiven Konsumieren, das es in träger Selbstgefälligkeit mit Hingabe verwechselt, mit Segen zu begießen oder mit neuen technischen Festplatten zu beglücken, die schon alles lösen werden, was die Menschen sich selber eingebrockt haben. Nein, etwas Lernwilligkeit und schöpferische Eigenleistung gehören schon dazu, um aus den Widersprüchen, zwischen denen der Mensch hin- und herpendelt, ein dynamisch-fruchtbares Spannungsfeld zu kreieren. Darin kann sich das Göttliche, also das Universum, einsenken, aussprechen, weiter entfalten und sich in spontaner Handlung offenbaren.

Das braucht fraglos die freudige Mitwirkung des ganzen Menschen. Dieser wird alles ihm Mögliche tun, damit das Unmögliche, das er nicht zu tun vermag, eintreten und gelingen kann. Das hört sich paradox an. Ist es auch. Denn ein Paradox ist genau das, was die zwei Pole eines Ganzen zugleich aktiviert. Die Ambiguität (Gegensätzlichkeit) auszuhalten und als schöpferisches Feld zu erkennen, bringt die innere Ausrichtung weg von der dualistischen Pendelbewegung von Gut nach Böse und wieder zurück. Dabei kann erlebt werden, dass sich die paradoxe Gleichzeitigkeit der Widersprüche nicht befeindet, sondern sich zum schöpferischen Lebensfeld ergänzt. Alle emotionalen, mentalen und unbewussten Kräfte versammeln sich dann am inneren Arbeitsplatz in der Konzentration einer Handlung, einer Haltung. Wenn der strebende Mensch seinem glücklichen Gelingen entgegenstolpert, werden die Wünsche an das „Universum“ meist auf eine überraschende, unvorstellbare Weise erfüllt.

Eine solche polare Grundstimmung, die sich zwischen der absoluten Sicherheit (im Universellen und Göttlichen geborgen zu sein) und der Einsicht in die eigenen Grenzen ergibt, könnte die Heiterkeit sein, die mit all ihren Gesichtern und Geschwistern das eigene Leben und das der Andern bereichert. Sogar mit Tee und Haferkeksen. Und manche Menschen vielleicht mit neuen technischen Festplatten – oder doch lieber mit Fest-Platten aus Porzellan voll appetitlicher Früchte, Speisen und mit Frühlingsblumen drauf.

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Datum: Mai 26, 2025
Autor: Alfred Bast (Germany)
Foto: face-kostenlose Nutzung auf Pixabay CCO

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