Der Mensch findet keine endgültige Lösung für seine Konflikte, wenn er nicht seine Persönlichkeit überwindet und seine Verbundenheit mit der Welt erkennt und verwirklicht.
Dafür ist er gut gerüstet, weil er in seinem Innern Gnosis besitzt und mit diesem inneren Führer seinen Weg im Äußeren finden kann (so der Psychotherapeut Sborowitz)
Spirituelle Gedanken über die Wege der Seele und den Sinn des Lebens halten in unserer Zeit vermehrt Einzug in die psychotherapeutische Behandlung. Einer der Vorreiter hierfür war C.G. Jung (1875-1961) mit seiner Analytischen Psychologie. Er schreibt:
Eines der glänzendsten Beispiele des Lebens und des Sinnes einer Persönlichkeit, das uns die Geschichte aufbewahrt hat, ist das Leben Christi.[1]
Auch auf philosophische Aussagen über die Seele des Menschen richtet sich das Augenmerk. So erklärte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716):
Die Einsicht aber derer schlechterdings notwendigen und ewigen Wahrheiten ist dasjenige, welches uns von denen bloßen Tieren unterscheidet und verursachet, dass wir die Vernunft und die Wissenschaften haben, indem sie uns zu der Erkenntnis Gottes und unserer selbst führet und erhebet. Und eben dieses ist es, welches man in uns Vernünftige Seele oder Geist nennet.[2]
Nach vielen Jahren der Forschung in den Bereichen Wahrnehmung, Emotionen und Kommunikation kamen akademische Geisteswissenschaftler zu der erstaunlichen Entdeckung, dass der Erfolg in der therapeutischen Behandlung im Anderen, dem Zwischenmenschlichen, dem „Dritten im Bunde“ zu suchen und ihm zu verdanken ist.
Man spricht auch vom „Fünften Paradigma“, das mit dem Anfang des 21. Jahrhunderts der psychoanalytischen Psychotherapie eine neue Perspektive eröffnet. Doch wie weit ist noch der Weg und welche Transformationen stehen noch bevor, ehe man der Vernünftigen Seele oder dem Geist (Leibniz) gerecht werden kann?
Die psychotherapeutische Behandlung ist eine feste Form des ärztlichen Einsatzes in der modernen Gesellschaft geworden. Es wurden zahlreiche wissenschaftliche Studien bzgl. der Effektivität einer psychotherapeutischen Behandlung durchgeführt und ihre Ergebnisse sind in die Praxis eingeflossen. Die Behandlungskonzepte verschiedenster Richtungen bieten vielfältige Umgangsarten mit Störungsbildern der Psyche an und erreichen häufig gute Ergebnisse.
Die sozialen Verurteile des vergangenen Jahrhunderts bzgl. der Behandlung von psychisch erkrankten PatientInnen sind im Großen und Ganzen überwunden. Tausende und Abertausende Menschen lassen sich auf die psychotherapeutische Arbeit ein. Bei Ängsten, Depressionen, Psychosen und anderem zeigen sich Heilerfolge – doch bleibt das Ergebnis meist nicht lange bestehen. Worin liegt das Geheimnis einer zufriedenstellenden, heilsamen Psychotherapie?
Seit einigen Jahren gibt es vermehrt Forschungsbemühungen, um den Einfluss der Person des Psychotherapeuten auf den Prozess und das Ergebnis einer Psychotherapie zu ermitteln. Den durchgeführten kontrollierten Studien und Metaanalysen nach hängt ein wesentlicher Teil des Erfolges einer Behandlung von der Person des Psychotherapeuten ab.
Es ist zweifelsfrei, dass die interpersonellen Fähigkeiten eines Psychotherapeuten einflussreich sind, dass sie sich fördernd auf das „Arbeitsbündnis“ auswirken. Erweist sich eine Psychotherapeutin / ein Psychotherapeut verbal und nonverbal als empathisch, authentisch, freundlich zugewandt und respektvoll, so wird dies vom Patienten positiv aufgenommen. Doch es zeigt sich ebenfalls, dass die Unterschiede in den interpersonellen Fähigkeiten nicht ausreichen, um Therapieerfolge erklären zu können; es bleibt offen, was am Ende entscheidend wirkt.[3]
Metaskills in der prozessorientierten Psychotherapie
Die Persönlichkeit und Haltung eines Psychotherapeuten sowie seine Weltanschauung und sein Wertesystem wirken sich auf den Prozess und das Ergebnis einer Psychotherapie aus. Was sollte nun aber das Menschenbild einer Psychotherapeutin / eines Psychotherapeuten beinhalten, um den Menschen als ein ganzes Wesen, als einen Träger der Vernünftigen Seele oder Geist zu erkennen und zu behandeln?
Zweifellos würde die Fähigkeit, die seelisch-geistige Dimension eines Menschen zu erkennen und in ihm also mehr als nur eine aus eigenständigem Denken, Fühlen und Wollen bestehende Persönlichkeit zu sehen, den therapeutischen Prozessen helfen.
Die US-amerikanischen Physiker und Lernanalytiker Amy und Arnold Mindell sind die Begründer der Prozessorientierten Psychotherapie; sie verstehen darunter eine Art geistiger Praxis und sprechen von Metaskills.[4] Das ist ein neuer Begriff in der Psychotherapie, der auf die kaum wahrnehmbaren Aufnahmefähigkeiten eines Therapeuten hinweist. Die Autoren sehen in der Psychotherapie den Auftrag, dem Menschen zu helfen, seinen Lebensweg zu gehen und das zu verwirklichen, wozu er innerlich bereit ist. Dafür benötigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die geistigen Metaskills – die wesentlichen Attribute der prozessorientierten Psychotherapie.
Die in der Tiefe ruhenden geistigen Eigenschaften eines Therapeuten offenbaren sich während der Behandlung und bauen eine Brücke zur Seele des Patienten. Es ist ein Geschehen, das während der Anwendung einer der bekannten Techniken und Methoden stattfindet. Damit erheben sich tiefe Gefühle bis hin zu Metafähigkeiten, und Psychotherapie wird zur geistigen Praxis.
Die prozessorientierte Psychotherapie folgt dem natürlichen Prozess und konzentriert sich auf beabsichtigte und unbeabsichtigte Vorgänge, darauf, was sich ausdrückt und was versucht sich auszudrücken. Es geht nicht darum, wer oder was sich ausdrücken oder präsent sein sollte oder welche Rollen eingenommen werden sollten. Da die Arbeit auf einem phänomenologischen Ansatz basiert, sind Begriffe wie Erfahrungen, Bewusstheit, und Beobachtung von entscheidender Bedeutung.
Zwei Persönlichkeiten – zwei Perspektiven
Vier Gottessöhne zogen aus. Doch nur einer kehrte zurück.
Vier Erlöser verschmolzen zu zweien, und diese zwei wurden zu dem Einen.[5]
Eine spirituelle Perspektive in Bezug auf den strukturellen Aufbau des Menschen führt zur Anerkennung und Erforschung der Gesetze der menschlichen Organisation unter Einschluss ihrer feinstofflichen (energetischen) Strukturen. Seit langem kennt man den vierfachen Aufbau der Persönlichkeit: bestehend aus physischem Körper, Ätherkörper, Astralkörper und mentaler Struktur.
Der Ätherkörper, auch Lebenskörper genannt, der den physischen Körper durchdringt und ihn um einige Zentimeter überragt, hält die Funktionen des physischen Körpers aufrecht und versorgt ihn mit Lebensenergie.
Der noch höher schwingende Astralkörper ist Träger der emotionalen Zustände und damit Antriebskraft und -feld zu entsprechenden Handlungen des Menschen. Es sind oft Störungen im Astralkörper, die dazu führen, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Dann stehen die emotionalen Verstimmungen im Zentrum einer psychotherapeutischen Behandlung.
Eine weitere feinstoffliche Struktur ist der „Mentalkörper“, der die Denkfähigkeit und Gehirnaktivität trägt. Korrekter wäre es, den Mentalkörper als mentale Fähigkeit zu bezeichnen, da er sich bei den meisten Menschen erst in der Entwicklung befindet. Die Gesamtheit der vier Körper bildet die sogenannte „niedere“ Persönlichkeit.
Die andere, die „höhere“ Persönlichkeit, entspringt der gnostischen Überlieferung nach aus einer Monade und entwickelt sich nach radikal anderen, nach göttlichen Gesetzen. Sie besitzt auch „Körper“, die durch höhere Äther und Kräfte sowie durch sieben geistige Strahlen genährt und gefördert werden. Dieser „Zweite“, dieser „Andere“ im menschlichen Gesamtsystem entfaltet sich auf einem ernsthaften geistig-seelischen Weg und vereint sich mit der ihm entgegenwachsenden „niederen“ Persönlichkeit.
Eine Rolle spielen hierbei sieben Kraftzentren, die uns von der östlichen Weisheit überliefert sind, die sogenannten Chakren. Sie bilden den Übergang der Lebenskräfte und auch der atmosphärischen und kosmischen Kräfte in den Körper des Menschen. Zwei davon befinden sich im Kopf und die fünf anderen im übrigen Körper.
Alice A. Bailey beschreibt in ihrem Buch Die Seele und ihr Mechanismus [6] die Verbindung zwischen diesen sieben Zentren mit dem Drüsensystem des Körpers.
Heilung aus der Begegnung der Seele mit der Welt
Das Selbst des Menschen ist souverän in sich selbst als dieses je und je Einzige und steht in seiner personell bestimmten Würde zunächst nur Gott, seinem Schöpfer, gegenüber. Es ist auf Anrede von Ihm her und auf Gehorsam zu Ihm hin angelegt und ist selbst darin noch frei, diese Anrede zu verschließen und seinen Gehorsam zu verweigern … [7]
Die dualistisch-gnostische Weltanschauung von C.G. Jung ermöglichte es den Nachfolgern in der Seelenheilkunst, sich der Innenwelt der Seele auf neue Weise zuzuwenden.
Auch der Psychotherapeut Hans Trüb sah in ihr die Inspirationsquelle, die ihn zur Begründung seiner Dialogischen Psychologie führte: Ihr Ansatzpunkt scheint dem von C.G. Jung zu widersprechen. Trübs Forschungsthema sind der Einfluss der Außenwelt und dabei die Beziehungen zu anderen Menschen auf die Entwicklung und Entstehung der persönlich-seelischen Beschaffenheiten. Letztendlich rundete er hierdurch aber die Innenschau der jungianischen Psychologie ab.[8]
Die Perspektive „Heilung aus der Begegnung“ erwies sich als bedeutende Grundlage für eine humanistische Psychotherapie, aber auch für die psychoanalytischen intersubjektiven Ansätze. Trüb erkannte in C.G. Jungs Psychologie durch dessen Interpretation von alchemistischem Material die Nähe zur Gnosis, aber er sah die Heilung nicht allein in der Wendung zur Seele, wie er es bei Jung wahrzunehmen glaubte.
Nach Trübs dualistischer Weltanschauung, die den geistig suchenden Menschen an seine psychologischen Grenzen führt, befinden sich im menschlichen Individuum zwei substanziell verschiedene Systeme: ein nach innen (zur Seele hin) gerichtetes und ein zur Peripherie (zur Welt) gewandtes. Die psychologische Bedeutung der Rolle und Funktion des Selbst – „des verlorenen Sohnes“ – muss nach Trübs Anschauung auch aus ontologischer Sicht (der Lehre vom Sein) erfasst werden. Das Selbst kann nur dann eigenständig und einzigartig auftreten, wenn es zum Verantwortungsträger der Seele wird und diese sich dem Aufruf der Schöpfung (der Welt) stellt – mit dem entsprechenden Mut.
Obwohl die beiden Systeme (Seele und Welt) nicht völlig in Einklang miteinander zu bringen sind, sind sie auch nicht voneinander zu trennen. An dieser Zweiheit, die eine potenzielle Einheit ist, leidet der Mensch subjektiv, was sich in objektiven Symptomen manifestiert. Dies ist der spezifisch menschliche, innerseelische Konflikt, der zur funktionellen neurotischen Persönlichkeitsspaltung führen kann. Die schwierige Aufgabe einer Psychotherapeutin / eines Psychotherapeuten ist es nach Trüb, die „schuldlos verlorene, in Wahrheit schuldhaft verwirkte subjektive Einheit im Patienten wiederherstellen“.
Trübs dualistische Weltanschauung führte die Maxime des Hermes Trismegistus in die Psychologie ein: Wie oben so unten, wie innen so außen. Der Mensch, von der Seele gerufen, hat den Auftrag, in ihr „seine seelische Vergegenwärtigung der Welt“ zu entdecken und kann „erst dann den Zugang zur ihr finden“. Hieraus „schöpft [er] die Kraft zur Entscheidung und den Mut zur Umkehr“.[9]
Zurück zum Ursprung: von der Spaltung zur Synthese
Die Synthese, die Jesus erreichte, war die neue religiöse Konzeption von der brüderlichen Menschengemeinschaft. [10]
Denn in der integralen, heilen Seele sind Bewußtsein und Unbewußtes, ohne daß ihnen da die Eigencharaktere fehlten, doch nicht wirklich geschieden voneinander, sondern gerade einander zugewandt — die Seelenganzheit manifestiert sich eben in diesem Aufeinanderbezogensein, sie ist so und nur so intakt. Wenn die Synthesis der Seele aber zerbricht, offenbart sich alsdann der Bruch. [11]
Die Konzeption, die Jung als transzendente Funktion bezeichnete, war dem Psychotherapeuten Arie Sborowitz nach für Jesus „das Symbol, an dessen innerem Gehalt sich seine Seele zur neuen Einheit erlöste. Sie hob ihn aus seiner Krisis heraus und führte ihn seiner Aufgabe zu“.
Nach Sborowitz orientiert sich das Religiöse „an der zweiten Synthesis [die Synthese der menschlichen Seele mit ihrer Weltsituation – El.V.] in ihrer zweifachen Gestalt […], an deren Ausblenden sie leidet und krankt, mit deren Finden sie sich erfüllt“. Die zweite Synthesis „führt zugleich zur religio, zur Bindung nach innen und nach außen: Integration der Seele in sich und Integration des Verhältnisses von Seele und Welt erfüllen sich im aufeinander bezogenen bindenden Vollzug.“ Darin sieht Sbrowitz das religiöse Moment in seiner Totalität.[12]
Nach dieser Sicht findet ein Mensch keine endgültige Lösung für seine Konflikte, wenn er nicht seine Persönlichkeit überwindet und seine Verbundenheit mit der Welt erkennt und verwirklicht. Dafür ist der Mensch gut gerüstet, weil er in seinem Innern Gnosis besitzt und mit diesem inneren Führer seinen Weg im Äußeren finden kann.
In Bezug auf die Entwicklung der Psychologie und Psychotherapie führen Forschungsansätze wie die hier genannten eine persönlichkeitsübergreifende Perspektive ein. Psychologen, Psychotherapeuten und Psychoanalytikern der unterschiedlichsten Richtungen erleben ihre eigenen notwendigen Transformationen durch die Theorie und Praxis ihrer Wege und können auf dieser Basis nach einem „gemeinsamen Nenner“ suchen. Dies kann – bei aller Spaltung in der Wissenschaft – in eine fruchtbringende Zusammenarbeit münden, in gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung der vollbrachen Leistungen. Das gilt auch für die Unterschiede in den Menschenbildern. Die Menschen, die um psychotherapeutische Hilfe bitten, sind auf die unterschiedlichste Weise in ihren inneren und äußeren Welten verstrickt und darin oft verloren. Um ihnen helfen zu können, bedarf es der Kenntnisse von diesen Welten und auch der Einsichten, die in Philosophie, Quantenphysik und wahrer Geisteswissenschaft gewonnen wurden.
[1] C.G. Jung, Vom Werden der Persönlichkeit, In: C. G. Jung, Wirklichkeit der Seele, Zürich, 1934
[2] Gottfried Leibniz, Monadologie, § 28
[3] Sonnenmoser, Marion, Einfluss des Psychotherapeuten auf den Therapieerfolg, Deutsches Ärzteblatt PP 7/2014
[4] Mindel, Amy, Metaskills: The Spiritual Art of Therapy. New Falcon Publications, U.S., 1995
[5] Bailey, Alice A., Esoterische Psychologie, Zweiter Band, in: Eine Abhandlung über die Sieben Strahlen. Verlag Lucis, Genf 1990, S. 229
[6] Bailey, Alice A., Die Seele und ihr Mechanismus: Das Problem der Psychologie. Verlag Lucis, Genf 1976
[7] Trüb, Hans, Heilung aus der Begegnung. Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach, 2015
[8] Trüb, Hans, Vom Selbst zur Welt: Der zweifache Auftrag des Psychotherapeuten, in: Psyche, Dezember 1947, 1. Jahrgang, Heft 1, S. 41-67
[9] A.a.O., S. 63
[10] Sborowitz, Arie, Das religiöse Moment in der Tiefenpsychologie. In: Psyche, 1951, 5. Jahrgang, Heft 5, S. 278-289
[11] Sborowitz, Arie, a.a.O.
[12] Sborowitz, Arie, a.a.O.