Es ist kein Geheimnis, dass die Mythen der Kulturen archetypische Muster menschlicher Gedanken, Gefühle und zum Ausdruck bringen. Auch die Art unserer Reaktionen auf schicksalhafte Ereignisse stellt sich in ihnen dar. Die archaischen Muster sind eine Art Matrix, die unserer Psyche ihr Siegel aufdrückt und uns dazu veranlasst, sie über Tausende von Jahren hin zu kopieren.
Die Planeten in unserem Sonnensystem tragen die Namen griechischer bzw. römischer Götter. Darin liegt eine metaphorische Beschreibung spezifischer Situationen, in denen sich die Götter befanden; die unterschiedlichen Situationen und Begebenheiten entsprechen der Wechselwirkung zwischen den Energien der gleichnamigen Planeten. Jeder der Himmelskörper hat sein eigenes Bewusstsein und besitzt eine bestimmte energetische Qualität. Indem sie sich bewegen und in bestimmten Winkeln zueinander positionieren, schaffen sie harmonische oder nichtharmonische Systeme (Konjunktionen, Trigone, Quinkunxe, Sextile, Quadraturen …) und erzeugen ein ganzes Spektrum geprägter Energien, die sich dann in den Wesen auf der Erde auswirken. Menschen, Tiere und Pflanzen und sogar Mineralien werden zu Schauspieler in Dramen, deren Drehbuch aus dem Kosmos kommt.
Die Anordnung der Planeten im Moment der Geburt eines Menschen hinterlässt Spuren in seinen feinstofflichen Körpern und programmiert diese entsprechend. Deshalb ist ein erfahrener Astrologe bei der Betrachtung des Mandalas, auf das das Bild der Konfiguration der Planeten im Zeitpunkt der Geburt eines Menschen gelegt wird, in der Lage, den Charakter, die Stärken und Schwächen dieses Menschen und seine voraussichtlichen Reaktionen in bestimmten Situationen darzustellen. Der Astrologe stellt fest, wie sich die ursprüngliche Konfiguration (bei der Geburt) durch die Bewegung dieser Planeten ändert, und kann daraus Voraussagen herleiten, was dieser Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich durchmachen muss, welche Herausforderungen er zu bewältigen hat, was für ihn leicht oder was schwierig sein wird.
Daraus ergibt sich die Frage, ob unser Schicksal im Voraus feststeht. Ähnelt unser Lebensweg einer Metallkugel, die auf der vorgefertigten Bahn eines Spielzeuglabyrinths rollt? Wenn ja, wer hat dann die Spuren für uns gezogen? Und wer hat unseren Charakter, unseren Persönlichkeitstyp mit seinen Tugenden und Lastern programmiert? In der Regel weist man auf die Umgebung, in der wir aufwachsen, hin, auf unsere Eltern und unsere Lebensbedingungen. Aber warum gelangten wir in genau diese Umstände? Und wie kommt es, dass jemand, der in praktisch den gleichen Umständen aufwächst, einen ganz anderen Charakter entfaltet? Woher kommt meine spezielle Eigenart?
Die Antwort mag für Menschen, die sich für esoterische Wissenschaften interessieren, offensichtlich sein. Karmische Gesetzmäßigkeiten spielen eine Rolle, das Erbe früherer Inkarnationen. Das gegenwärtige Schicksal ist ein weiteres Glied in einer langen Kette von Inkarnationen. Die Glieder sind vielfarbig, aber in ihrer Art doch si, dass sie zusammenpassen. Jedes Glied ist ein geschlossener Kreislauf, ein Kreis, in dem der Mensch sich selbst gefangen gehalten hält. Es gibt die uralte Weisheit:
Achte auf deine Gedanken, sie werden zu deinen Worten;
achte auf deine Worte, sie werden zu deinen Taten;
achte auf deine Taten, sie werden zu deinen Gewohnheiten;
achte auf deine Gewohnheiten, sie werden zu deinem Charakter;
Achte auf deinen Charakter, er wird zu deinem Schicksal.
Wie kommt es, dass wir uns genau in dieser Situation in der Welt vorfinden, so dass wir zu Gefangenen unseres Schicksals werden?
Die Antwort hierauf können wir in den mythologischen Geschichten der alten Kulturen finden. Es sind archetypische Geschichten, die unsere Psyche befruchten und unser Verhalten beeinflussen und die einer universellen Ebene Ausdruck verleihen.
Mythologische Beschreibungen unseres Zustandes
Da sind zum Beispiel die ägyptischen Mythen, deren Protagonisten Götter wie Nun, Ra, Nut, Geb, Osiris, Isis, Horus, Seth und Nephthys sind. Zwischen ihnen gibt es grundlegende Themen wie Brudermord, Eifersucht, den Tod einer geliebten Person, den Verrat in der Ehe, die Verführung, die Geburt eines nichtehelichen Kindes, den Kampf gegen das Tier. All das sind nicht nur Dramen in der menschlichen Psyche, sondern es sind zunächst einmal spirituelle Realitäten. Sie beschreiben auf metaphorische Weise den Sturz des menschlichen Bewusstseins aus dem Einssein im Universellen und die damit einhergehende Entstehung eines neuen, ungöttlichen Universums mit all ihren Folgen.
Und sie erläutern zugleich auch, wie wir in unsere himmlische Heimat zurückkehren können.
In einem altägyptischen Text, der aus den Gräbern der Pharaonen Tutanchamun, Sethos I, Ramses II, Ramses III und Ramses VI stammt und den Titel Das Buch der himmlischen Kuh trägt, finden wir eine Beschreibung der Rebellion der Menschheit gegen den Gott Ra. Die göttlichen Menschen glaubten, dass Ra zu alt geworden sei, um sich mit den Angelegenheiten der Welt zu befassen. Nachdem dieser davon erfahren hatte, berief er einen Götterrat ein. Der empfahl ihm, sein „Auge“ (die Göttin Hathor) auszusenden, um das rebellierende Volk zu bestrafen. Hathor erfüllte den Willen von Ra und ermordete Tausende von Rebellen. Von einer menschenfreundlichen, nährenden Mutter verwandelte sie sich in Sekhmet, einen blutrünstigen Dämon. Ra begann, seine Entscheidung zu bereuen, er bekam Mitleid mit der Menschheit und bat Sekhmet, ihre blutrünstigen Aktivitäten einzustellen. Diese weigerte sich jedoch, weil sie menschliches Blut gekostet hatte. Da wandte Ra einen Trick an und schüttete siebentausend Gläser Bier, gemischt mit rotem Ocker, der dem Blut ähnelt, in die Felder. Verwirrt trank Sekhmet Hektoliter dieses Getränks, wurde ohnmächtig und wachte verändert wieder auf. Sie wurde erneut zur freundlichen Hathor.
Die Rebellion war eingedämmt, aber Ra, der menschlichen Undankbarkeit überdrüssig, bat Nut, ihn in höhere Gebiete des Himmels zu versetzen. Und das geschah. Ra, in eine Kuh verwandelt, zog sich auf dem Rücken von Nut in die höheren Regionen des Himmels zurück. Osiris und Thot nahmen seine Stelle ein bei der Herrschaft über die Welt. Bevor Ra die Welt verließ, erschuf er für die Menschen Schilffelder, das heißt Gegenden für das Leben nach dem Tod. Denn der Mensch wurde nun sterblich. Er musste sich selbst um das rechte Maß kümmern, um Maat, wenn er Harmonie und Ordnung aufrechterhalten wollte.
Nach dem Rückzug des Gottes Ra werden der Himmel und die Himmelskörper von niedrigeren Göttern regiert. Die einst von Ra geprägten planetarischen Kräfte sind degeneriert und haben sich mit den Prinzipien des Bösen, des Chaos und der Unwissenheit vermischt.
Die Griechen erzählten es so:
Die Äquivalente für Hathor und Ra waren in Griechenland Athene und Zeus. Im Mythos über die Gorgone oder Medusa finden wir Bilder, die den Fall der Menschheit aus der Sicht der Griechen deutlich machen.
Die Gorgone, die das menschliche Bewusstsein versinnbildlicht, war ursprünglich ein schönes Mädchen. Sie wurde von Poseidon – dem Herrscher der Meere – verzaubert (Poseidon entspricht in diesem Zusammenhang dem ägyptischen Gott Seth/Typhon, der unter anderem als Herr des Meeres galt) und Poseidon verführte sie im Tempel der Athene. Letztere verwandelte die Gorgone daraufhin in ein Monster, das anstelle von Haaren Giftschlangen hatte.
Gorgone, unser ursprünglich schönes Bewusstsein, war nun mit dem Prinzip des Bösen, des Chaos, der Anarchie, deren Symbol Poseidon/Seth ist, verbunden und verlor die Verbindung zur göttlichen Weisheit. Deshalb ist der ursprüngliche Tempel der Weisheit, der früher unser Haupt war, heute ein Tempel, der von wimmelnden, ungeordneten Gedanken bewohnt wird, die unser Leiden verursachen. Schlangen sind eine Anspielung auf das Schlangenfeuer, das in unserem Rückenmark fließt, dem zentralen Träger unseres Bewusstseins. Hinzuzufügen ist, dass der Planet Neptun, das römische Äquivalent von Poseidon, die menschliche Zirbeldrüse beeinflusst. Die Degeneration dieses Organs können wir als Folge des gefallenen Neptun-Prinzips ansehen.
Unser Geist, unser Bewusstsein, wird ständig in Bewegung gesetzt. Aber es ist keine heilige, rationale Bewegung, die durch Isis symbolisiert wird. Vielmehr ist es ein ununterbrochener mentaler Lärm, der uns überall und zu jeder Zeit begleitet. Die meisten Menschen halten ihre Gedanken für die Realität und glauben, dass sie die Wahrheit über die Welt um uns herum reflektieren. Es ist schwierig, sich dessen bewusst zu werden, was in unseren Köpfen geschieht. Im Allgemeinen beherrschen uns die Gedanken, rufen bestimmte Stimmungen in uns hervor und provozieren impulsives Handeln.
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind. Wir sehen sie durch die Filter unserer Gedanken und Überzeugungen, die sich ihrerseits oft durch ängstliche, traumatische Erfahrungen entwickelt haben.
(zu Teil 2)