Die biblische Geschichte der Versuchung in der Wüste, hat viele Dichter, Denker und Schriftsteller inspiriert und doch ist vieles an hier bis heute schwer zu verstehen.
Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn danach. Als nun der Versucher zu ihm kam, sagte er: „Wenn du der Sohn Gottes bist, dann befiehl, dass diese Steine zu Brot werden.“ Er aber antwortete und sprach: „Es steht geschrieben: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes geht.'“
(Matthäus 4,1-4)
Das obige Zitat aus dem Neuen Testament ist sehr bekannt und hat viele Menschen inspiriert. Am Ende des 20. Jahrhunderts glaubten einige sogar, dass ein strenges vierzigtägiges Fasten ohne Essen und Trinken ihnen Unsterblichkeit bringen würde. Es scheint, dass es niemandem gelungen ist, dieses Fasten so lange durchzuhalten; es gab jedoch Personen, die behaupteten, zehn oder mehr Tage durchgehalten zu haben. Tatsächlich ist der Glaube weit verbreitet, dass ein strenges vierzigtägiges Fasten aus wissenschaftlicher Sicht physisch unmöglich ist, obwohl es einige Menschen gibt, die behaupten, sie könnten nur mit Prana oder Licht überleben.
Können wir daher in diesem Text irgendeine Bedeutung oder Relevanz finden, die denjenigen hilft, die nach dem wahren Sinn ihres Lebens suchen? Sollten wir außerdem die Aussage, dass ein vierzigtägiges strenges Fasten Unsterblichkeit bringen kann, nicht als völligen Unsinn betrachten?
Dies hängt natürlich davon ab, wie wir die Worte „vierzig“ und „Fasten“ verstehen, denn um diesem Text einen Sinn zu geben, dürfen sie nicht wörtlich genommen werden. Lassen Sie uns diese Symbolik untersuchen und sehen, ob wir nicht zu einem tieferen Verständnis vordringen können.
Zunächst müssen wir verstehen, dass die Bibeltexte im Laufe der Zeit verändert und absichtlich umgeschrieben wurden, und daher wurde auch die frühere Bedeutung des obigen Fragments verändert. Die gleiche „Versuchungs“-Geschichte erscheint auch in anderen Evangelien – Markus 1,12 und Lukas 4,1-4 – in etwas anderer Form. Es macht jedoch wenig Sinn, zu untersuchen, was ihr ursprünglicher Charakter war oder was ihr Autor gemeint haben könnte, denn es ist nicht einmal bekannt, ob es jemals eine ursprüngliche Form davon gab und ob es einen Autor gab. Dennoch können wir davon ausgehen, dass die grundlegenden Begriffe weitgehend erhalten geblieben sind. Diese sind: Jesus, vierzig Tage und Nächte, Fasten, Versuchung, Steine und das Wort Gottes.
Beginnen wir damit, die Symbolik der Zahl 4 zu untersuchen, wie sie im Konzept der 40 Tage dargestellt wird. Die Zahl 4 kann die Funktionsweise und die Impulse der vier Vehikel der menschlichen Persönlichkeit symbolisieren – den physischen, ätherischen, astralen und mentalen Körper, während die 0 auf eine höhere geistige Aktivität dieser Vehikel verweist. Diese höhere Aktivität kann als eine Assimilation dieser Impulse durch ein erhöhtes Bewusstseinsniveau verstanden werden, das eine größere Autonomie und Unabhängigkeit von den früheren automatischen, unbewussten Reaktionen anzeigt, die normalerweise unsere Persönlichkeit steuern.
Eine solche Ebene des Bewusstseins und der Sensibilität ist gleichsam ein überpersönlicher Seinszustand und kann durch die Loslösung von negativen Wünschen und Emotionen wie Ärger, Irritation, Angst, Depression, Eifersucht, Feindseligkeit oder Konkurrenzdenken erreicht werden, ebenso wie von solchen einer “ höheren“ und subtileren Natur, die uns Glück, Freude und Erfüllung bringen, aber schwerer aufzugeben sind. Wir brauchen nicht zu befürchten, dass die Neutralisierung dieser Wünsche und Emotionen uns schwächt, denn sie werden durch höhere und subtilere Zustände ganz anderer Natur ersetzt, nach denen wir uns jahrelang unbewusst gesehnt haben, angetrieben von einem starken inneren Streben nach der Wahrheit.
So kann sich das „40-tägige Fasten“ darauf beziehen, dass alle unsere vier Fahrzeuge auf die inneren Reize verzichten, die von unserer eigenen Persönlichkeit gefärbt sind. Wenn wir einen solchen Zustand der Neutralität erreichen, kann er bis zu einem gewissen Grad mit dem buddhistischen Zustand des Nirvana verglichen werden, und wenn er ausreichend im Wesen des Menschen verankert wird, kann der Einfluss einer anderen Realität, manchmal Gnosis genannt, wahrgenommen werden. Diese neue Realität wird von der Persönlichkeit zunächst nicht bewusst wahrgenommen, da sie von einer völlig anderen Natur ist als das „Selbst“. In der biblischen Geschichte wird Jesus als hungrig beschrieben, was auch darauf hinweist, dass er nach einer Substanz hungerte, die nicht von dieser Welt ist.
Die Aufgabe aller gnostischen spirituellen Schulen ist es, denen zu helfen, die bereit sind, einen solchen Zustand zu entwickeln. Zu diesem Zweck wird ein direkter Kontakt, eine Verbindung mit dieser Übernatur hergestellt, die gleichzeitig die Kräfte der gewöhnlichen Natur schwächt.
Das ist kein leichter Zustand, denn unsere gewöhnliche Natur ist daran nicht gewöhnt, und die neue Wirklichkeit ist für unsere Sinne nicht wahrnehmbar, erscheint also farblos und leer, was in der Versuchungsgeschichte mit nackten, rohen Steinen verglichen wird. Deshalb entsteht in uns sofort die Versuchung, diese Steine in Brot zu verwandeln, d.h. ihnen mit Hilfe der schöpferischen Kräfte unserer Persönlichkeit Farbe zu geben und sie angenehmer zu machen, wie wir es in unserem normalen Leben ständig tun, indem wir unsere Kräfte als Söhne Gottes missbrauchen, indem wir mentale und astrale Wesen schaffen – in Form von verschiedenen anhaltenden Gedanken und Gefühlen.
In der Geschichte von der „Versuchung“ lässt sich Jesus, d.h. der Teil von uns, der wirklich nach der Wahrheit strebt, nicht überreden, weil er weiß, dass ihm eine andere Nahrung, eine andere Ernährung offen steht, und er drückt dies in seinen Worten aus: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt. Dank dieses Prozesses geht die innere Arbeit in uns weiter, die mit der Zeit – bei entsprechender Anregung – immer bewusster erfolgen kann.
Durch ihre Literatur und ihre Aktivitäten, die helfen, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, bieten die geistigen Schulen eine große Unterstützung für diejenigen, die solche Momente der „Versuchung“ erleben. Der „Erfolg“ dieser Unterstützung hängt natürlich von unserer Reaktion ab, die unterschiedlich ausfallen kann, so wie wir Menschen unterschiedlich sind. Es ist jedoch unsere Beharrlichkeit, die die innere Kraft ist, die uns durch den Fortschritt zum Erfolg führt. Wenn dieser „Fortschritt“ eine gewisse innere Qualität erreicht hat, wird sich auch ein direkterer Kontakt mit dem Feld einer anderen Realität entwickeln, das uns die Möglichkeit einer bewussten Aufnahme „dieser wirklichen Nahrung“ gibt, die unserem Selbst hilft, die Seele mit der Zeit unsterblich zu machen. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten, die uns in diesem Leben zur Verfügung stehen, verwirklicht werden, und so können wir die ganze in uns angelegte Fülle in unser Menschsein bringen.
Ich hoffe, dass diese kurze Erkundung für uns alle auf dieser inneren Reise eine Hilfe sein kann.