Im Menschen ist das Machtpotential für beides vorhanden. Im Spannungsfeld dieser beiden Impulse kann sich durch Erfahrung ein Mensch entwickeln, der in der Lage ist, jenseits dieser beiden Machtstrukturen ihre Quelle zu entdecken. Dann beginnt ein Werdegang besonderer Art: ein Kampf, in dem die Macht der Gewohnheit mit der Macht der Stille und Liebe streitet, ein Werden, das zu immer neuen Abenteuern ruft, mit der Sehnsucht nach Freiheit im Rücken.
Der Mensch sieht nur mit dem Herzen gut
„Macht ist Wirkung“, „Macht ist Bewegungsfreiheit“, so definiert der Sozialphilosoph Martin Saar die Macht.
Ein Credo: Mit Technik lässt sich alles heilen
In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder große Persönlichkeiten, die für lange Entwicklungszeiträume prägend waren. Zu ihnen gehört der Philosoph und Wissenschaftler Sir Isaac Newton (1643-1727). Er steht für die Entwicklung einer rationalen und vernunftbegabten Wissenschaft, die selbst in Pandemiezeiten, wie wir sie jetzt erleben, noch die Macht hat, Menschen zu beruhigen. Zum Credo der heutigen Wissenschaft gehört die Gewissheit, dass man den Folgen des zerstörenden Lebensstils der heutigen Menschheit mit Technik schon zu begegnen weiß. Der rationale Geist hat sich in den letzten Jahrhunderten durch die Gesetzmäßigkeiten einer Wissenschaft entwickelt, die durch eine Einschränkung von Wahrnehmung und Intuition zur Wahrheit gelangen will. Sie hat einen Menschen hervorgebracht, dem nicht mehr bewusst ist, was es bedeutet, gegen die Natur und ihre Geschöpfe zu leben.
„Isaac Newton war der letzte der Magier“
Als die Schriften aus dem Nachlass Isaac Newtons der University of Cambridge angeboten wurden, zeigte diese wenig Interesse. Erst als der Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946) sie bei Sotheby’s ersteigerte und studierte, zeigte sich in diesen Schriften noch ein ganz anderer Newton. Keynes entdeckte den „Beinahe-Mystiker“ und Alchimisten Newton und beschrieb 1942 in einem Vortrag vor der Royal Society diese unbekannte Seite des Naturforschers. Er führte aus:
Newton war nicht der erste des Zeitalters der Vernunft. Er war der letzte der Magier, der letzte der Babylonier und Sumerer, der letzte große Geist, der auf die sichtbare und intellektuelle Welt mit denselben Augen blickte wie jene, die vor etwas weniger als 10.000 Jahren begannen, unser intellektuelles Erbe aufzubauen.
Machtvolle Schlüsselfiguren und prägende Ideen
Immer wieder gibt es Ideen, die für eine Menschheitsepoche prägend sind. In Newtons Biographie, die durch erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit und persönliche innere Zerrissenheit gekennzeichnet war, zeigte sich eine eigentümliche Mischung von individueller und überpersönlicher Macht. Das Überpersönliche zeigte sich in der Idee eines vernunftbegabten Menschen, die er maßgeblich mitprägte. „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ (Victor Hugo). Die neuen Entwicklungen, hervorgebracht von einzelnen Persönlichkeiten, sind gleichwohl nicht individueller Art; sie wirken mit einem lichtvollen Zeitgeist zusammen, der eine neue blühende Kulturepoche hervorbringt.
Obwohl die Idee des rationalen mathematischen Geistes individuell ausgetragen wurde und von der düster wirkenden Macht einer innerlich zerrissenen Persönlichkeit überschattet war, wurde schon zu Newtons Lebzeiten die nicht individuelle, geistige Ebene sichtbar. Zur vollen Blüte gelangte sie aber erst, als sein Leben schon lange Geschichte war. Während die individuelle Macht sich im immerwährenden Kampf mit zeitgenössischen Philosophen und im Ringen um das eigene innere Gleichgewicht zeigte, bleibt die lichtvolle helle Macht über das Ende seines Lebens hinaus prägend.
Newton als Alchimist und Naturwissenschaftler
Newton stand als Alchimist und Naturwissenschaftler im modernen Sinne an der Schwelle einer neuen Zeit. Er war als Mathematiker Verfechter der rationalen Vernunft und gleichzeitig, wie Keynes beschreibt, der letzte große Magier. Er stellte trotz seiner persönlichen Schwierigkeiten die Wissenschaft auf ein neues Fundament, das allerdings heute, knapp 300 Jahre nach seinem Tod, an vielen Stellen schon wieder zu bröckeln beginnt.
In Newton zeigten sich zwei Gesichter der Macht. Es gibt eine Macht, die aus dem höchsten und reinsten Licht Bewegung und Entwicklung hervorbringt. Und es gibt eine Macht, in der Kräfte der Dunkelheit und Unwissenheit der Vergangenheit mitwirken. Beide Arten der Kräfte versuchte „der unbekannte Newton“, wie aus seinem schriftlichen Nachlass zu ersehen ist, sein Leben lang zu erforschen.
Die helle und die dunkle Seite der Macht
Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob eine helle oder eine dunkle Seite der Macht wirkt, wenn eine neue Idee lebendig wird. Zu Newtons Lebzeiten war die rationale Wissenschaft eine machtvolle lichte Idee, die den Menschen eine bessere Zukunft, ein besseres Leben versprach. Inzwischen scheint sich die Idee eher verdunkelt zu haben angesichts der vielen Menschen, die unter den Folgen ihrer Entwicklung leiden. So kann man die Macht großer Ideen vielleicht als holographische Struktur betrachten, die immer alles in sich enthält und ihrem göttlichen Ursprung gemäß multidimensional ist. In unserer Welt der vier Dimensionen entfaltet sie ihre wechselvolle helle und dunkle Natur. Sie erscheint an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten als Verursacher blühender Kulturepochen, um nur einige hundert Jahre später die gleiche Region mit Dunkelheit und Leid zu überziehen.
Jenseits von Licht und Dunkelheit
Doch was geschieht, wenn wir uns mit weiteren Dimensionen auseinandersetzen, mit Bereichen, die jenseits der Polarität der Welt liegen? Newton muss sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Er hat sein Leben lang nach dem Stein der Weisen gesucht. Die Frage: wie wächst der Mensch über sich selbst hinaus? könnte auch ihn beschäftigt haben. Denn an dieser Stelle geht der Kampf für eine bessere Welt in die fünfte Dimension. Hier zeigt sich Macht nicht mehr in der üblichen hellen oder dunklen Struktur. Jetzt geht es darum, in einem ersten Schritt alles – nach einem langen ermüdenden Kampf – loszulassen. Man lernt, weder zu siegen noch Besiegter zu sein. Jenseits der Polarität von Licht und Dunkelheit kommt der Mensch zu Ruhe. Er lauscht dem machtvollen Lied der Stille, das die Geschichte des Ursprungs erzählt. Sie handelt von einer Zeit, in der die ganze Macht der Schöpfung weder Licht noch Finsternis war.
Diese „erste Macht“, die Macht des Schöpferischen, ist ein reines Gewähren. Die lichte und die dunkle Seite der Macht wurden erst wirksam, als der Mensch die „Worte“ vernahm: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“. Das aus der Stille entstehende Gewähren kann den Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung nach innen ziehen. Im gespannten Hören auf das eine Lied, das in der Stille entsteht, vernimmt er die Botschaft: „Höre tiefer, nimm den wahr, der du selbst bist.“ Hier zeigt sich die Macht dadurch, dass der äußere Mensch immer mehr zurücktritt und immer mehr zum Ohr wird, das der inneren Stille, der inneren Einheit lauscht. Auf dieser Ebene erlebt er die Schöpfungsmacht.