Die digitale Zeit und die Welt der Seele. Wer entscheidet über unser Denken und unsere Begegnungen?

Mit den Technologien des Internets und der sozialen Netzwerke entscheidet nicht der Einzelne, wann er eine Beziehung eingeht. Die Wahl wird von einem Netz vorgefertigter Algorithmen getroffen. Wie aber kann man sich wieder mit der Welt der Seele verbinden?

Die digitale Zeit und die Welt der Seele. Wer entscheidet über unser Denken und unsere Begegnungen?

Wie ist unser Verhältnis zum Wissen in einer sich wandelnden Menschheit, in der die digitale Technologie einen immer größeren Platz einnimmt? Welche neuen Wege des Denkens wird es geben? Wer ist der kommende neue Mensch, der von Vordenkern bereits konzipiert wird? Was wird sich in seinem Bewusstsein abspielen?

Es gilt, die Gesellschaft von morgen zu gestalten. Wird es uns gelingen, eine Gesellschaft aufzubauen, die freien Zugang zu Wissen, Austausch, Gemeinschaften und gemeinsamer Entwicklung besitzt? Viele intelligente Maschinen werden uns zur Seite stehen. Welche Rolle werden sie spielen?

Wie sieht ein Ökosystem der Zukunft aus, in dem sich das menschliche Bewusstsein mit der Intelligenz der Computer vereint? Welchen Stellenwert hat unser Bewusstsein angesichts von Maschinen, die schneller und genauer berechnen, speichern und Schlussfolgerungen ziehen können als der Mensch?

Und: Wer sind die Menschen, die die Fäden ziehen und von den neuen Technologien profitieren? Wer sind diese Männer und Frauen, die von Kalifornien aus davon träumen, eine neue Art Mensch, eine digitale Transhumanität zu erschaffen, die sich Google-Fabriken auf dem Mars wünschen oder die Einsamkeit und Langeweile für immer beseitigen wollen, wie Reed Hastings, der Verantwortliche für die Netflix-Plattform?

Wer sind die, für die das Denken nur ein weiterer Algorithmus ist? Wird der Transhumanist der Zukunft, so wie sie vorhersagen, unempfänglich gegenüber Krankheiten, ewig jung und mit perfekter Kontrolle über seine Gefühle, Stimmungen und Gedanken sein?

Gehen wir einer Manipulation des Denkens im globalen Maßstab entgegen? Von welcher Philosophie lassen sich diese Globalisierungsforscher leiten?

Viele von uns haben bereits seit ihrer Kindheit mehrere Stunden am Tag hinter einem Bildschirm verbracht, von der Grundschule bis zu den beruflichen Aktivitäten als Erwachsene. Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob das „das wirkliche Leben“ ist.

Welche Rolle spielen Bildung und neue Bildungssysteme, die der digitalen Dimension Rechnung tragen, in einer Gesellschaft, in der die Nutzung von Computern, Mobiltelefonen und digitalen Netzen für die meisten Arbeitsplätze unverzichtbar geworden ist?

Die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz, bei der Kontrolle von Gefühlen, Gedanken und Bewusstsein und bei der Verfügbarkeit von Wissen auf Knopfdruck bergen Gefahren. Das wissen auch die Entwickler von Computersystemen im Silicon Valley, die ihre eigenen Kinder vor dem Einfluss sozialer Netzwerke und der übermäßigen Nutzung von Mobiltelefonen schützen. Warum haben Bill Gates, Steve Jobs, Jeff Bezos und Prinz William, wie man den Medien entnehmen konnte, beschlossen, ihre eigenen Kinder von diesen Geräten fernzuhalten?

Wir können beobachten, wie sich eine neue Art von Einsamkeit entwickelt, eine digitale Einsamkeit mit illusorischen sozialen Beziehungen und „falschen Freunden“. Freunde in sozialen Netzwerken zu haben, ist für die jüngere Generation so wichtig geworden, dass viele bereit sind, dafür etwas zu bezahlen – bis hin zum Mieten von Freunden, um mit ihnen auszugehen, wie ein kommerzielles Unternehmen in Japan vorschlägt. Die Ingenieure, die diese künstlichen menschlichen Beziehungen in den gigantischen Programmen von Facebook erschaffen, sind sich der Mechanismen, durch die das menschliche Bewusstsein beeinflusst wird, durchaus bewusst.

Separate Boxen für Entscheidungen

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2017 wurde Richard Thaler für seine Arbeiten zum Thema Verhalten verliehen. Der amerikanische Professor an der University of Chicago zeigte, wie menschliche Eigenschaften „individuelle Entscheidungen und Marktorientierungen beeinflussen“. In seiner Arbeit erklärt er, wie formorientiertes Denken die Entscheidungsfindung vereinfacht, indem es separate Boxen schafft und sich auf jede einzelne Entscheidung konzentriert, anstatt auf eine Gesamtentscheidung. Dies sind die gleichen Prinzipien, die auch im Bereich des Internets und der sozialen Netzwerke angewandt werden. Auf sehr bewusste und wissenschaftliche Weise wird die Entscheidungsfindung im Internet durch ausgeklügelte Algorithmen im Voraus geplant. Globales Bewusstsein, Visionen, bei denen das Bewusstsein die unsichtbare Idee hinter den manifestierten Formen betrachtet, werden von den Algorithmen des Internets und der digitalen Netzwerke systematisch verworfen. Ist es angesichts dessen nicht legitim, von einer Manipulation des Bewusstseins zu sprechen?

Einige hundert Genies im Silicon Valley gehen daran, über die Denkprozesse von Milliarden von Menschen zu entscheiden. Sie verwerfen die Vision des Ganzen und lenken das Bewusstsein auf Einzelnes, auf Teile.

Aber es gibt auch einige reuige Genies von Google oder Facebook, wie Tristan Harris oder den ehemaligen Starentwickler von Facebook, Justin Rosenstein, die ihre Stimme erheben und öffentlich Stellung nehmen gegen die Manipulation von Gehirnen auf der Grundlage einer Aufmerksamkeitsökonomie. Sie erklären, warum das heutige Bewusstsein allmählich seine Fähigkeit verliert, sich auf eine Idee zu konzentrieren. Sie geben Interviews, in denen sie dazu raten, sich von den digitalen Netzen zu trennen, und sie nennen Methoden, um dem wachsenden Einfluss der virtuellen Welten zu entkommen.

Die mahnenden Stimmen weisen vor allem auf die Manipulation zahlloser zu Gunsten einiger weniger Privilegierter hin. Sie haben verstanden, dass der Transhumanismus und das „höhere Bewusstsein von morgen“ nicht für alle, sondern nur für einige Privilegierte sein werden, wenn man die Ingenieure des Silicon Valley sich selbst überlässt.

Helfen könnte, wie Goethe im 19. Jahrhundert sagte, nicht der Mensch als Einzelner, sondern der, der sich zur rechten Zeit mit anderen zusammentut. Aber gerade hier stoßen wir auf die Situation, dass mit den Technologien des Internets und der sozialen Netzwerke es nicht die Person selbst ist, die sich in freier Entscheidung mit anderen verbindet. Die Wahl wird von einem Netz vorgefertigter Algorithmen getroffen, die von Ingenieuren und Wissenschaftlern betrieben werden. Es sind diese Programme, die die Verbindungen zwischen Menschen im Voraus vorbereiten. Und das führt zu einer globalen Illusion: Denn jeder wird auf diese Weise von einem Kreis von Menschen umgeben, die nach festgelegten Kategorien „hören“, „mögen“ und „verstehen“, was er sagt oder tut.

Dabei gibt es allerdings einen bedeutsamen Schwachpunkt: Dieser Kreis ist nicht real, er ist in gewisser Weise „aus der Luft gegriffen“, um Gewinne zu steigern, indem die Aufmerksamkeitsspanne aller verkürzt und Käufe und Konsum angeregt werden. Es handelt sich nicht um eine authentische Gemeinschaft, sondern um einen Kreis aus Illusionen und Zerrspiegeln. Das wirkliche Individuum bleibt zurück und wird immer mehr isoliert.

Ist die Lage wirklich verzweifelt? Blicken wir einmal ein paar Jahre zurück …

Entwicklungsschritte der digitalen Kommunikation

Die digitale Kommunikation hat sich in drei Hauptphasen entwickelt:

1. In den 1950er bis 1970er Jahren erfolgte die Kommunikation im Monologmodus, z. B. durch Radio, Fernsehen oder Vorträge. Nur eine Person sprach, und die anderen hörten zu. In dieser Phase war die Manipulation des Bewusstseins schwieriger, weil sich immer nur eine Person äußerte.

2. In den 1980er Jahren bis 2000 verlagerte sich die Kommunikation auf den Dialog; der Sprecher tauschte Informationen direkt mit den Zuhörern aus. In diese Phase fällt der Beginn der Nutzung des Internets mit der Entwicklung der Blogosphäre.

3. Ab 2001 hat sich dieser Dialog zu einem gemeinschaftlichen und gemeinsamen Modus entwickelt. Jeder tauscht sich mit jedem anderen aus. Ein soziales Netzwerk wie Twitter ist wie ein großer Raum, in dem alle gleichzeitig und so laut wie möglich reden. Es ist wichtiger geworden, „laut“ zu sein, als echte Informationen zu teilen. Das bedeutet, dass es heute nicht mehr auf die Fakten ankommt, sondern auf die Netzwerke. Je mehr Informationen in den Netzen geteilt werden, desto mehr erlangen sie den Anschein von Wahrhaftigkeit. Je öfter ein Beitrag in einem sozialen Netzwerk weitergegeben wird, desto wichtiger wird er.

Morgen könnte die digitale Menschheit in eine vierte Phase eintreten, in der die Wahrheit keine Rolle mehr spielt. Dem Propagandaminister des Dritten Reichs Joseph Goebbels wird der Satz „eine tausendmal wiederholte Lüge wird zur Wahrheit“ zugeschrieben. Seine Maßnahmen waren so wirkungsvoll, dass seine Methoden der Gewissensmanipulation aufgegriffen wurden von Menschen, die andere dazu bringen wollen, das Unannehmbare zu akzeptieren, um die Interessen einiger weniger zu unterstützen.

Alle, die die Algorithmen der großen digitalen Netze programmieren, wissen, dass es ausreicht, den Austausch im Internet zu kontrollieren und zu beeinflussen, um eine Pseudo-Wahrheit entstehen zu lassen. Wenn sich dieses Vorgehen auf die Bildungssysteme ausweitet, die Werte vermitteln sollen, wird sich die Menschheit verändern.

Eltern und Lehrer sehen sich heute mit politischen Entscheidungen konfrontiert, die die Integration von Computertechnologien in der frühkindlichen Betreuung, in Kindergärten und Grundschulen fördern. Wissen wir wirklich, wie sich diese Technologien auf die Orientierung des Kindes in Raum, Zeit und der analogen Welt auswirken, wie sie die Entwicklung von Empathie und entscheidenden sozialen Fähigkeiten beeinflussen? Wir wissen es nicht, denn die vorhandenen Studien wurden von denselben Leuten in Auftrag gegeben, die diese Technologien verkaufen.

Seelenkommunikation

Das ist wahrscheinlich der Grund, warum mehrere alternative Erziehungssysteme, z. B. Montessori- oder Waldorf-Schulen, vor dem wahllosen Einsatz digitaler Technologien in Schulen warnen. In der Montessori-Pädagogik wird den Kindern das Rechnen mit realen Gegenständen wie roten und blauen „Zahlenstäben“ beigebracht. Der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner sah die große Gefahr der Zukunft in der Automatisierung des Denkens. Für ihn geht der westliche Mensch ein gigantisches Risiko ein, nämlich das Risiko, dass sein Denken in Zukunft völlig tot, mechanisch und automatisch wird. Die Folgen einer solchen Entwicklung hat er bereits 1905 beschrieben, als er sagte, dass in Zukunft die Manipulation der Massen durch die Manipulation von Gemeinschaften erfolgen wird. Denn das wahre Denken ist nicht individuell, sondern ein lebendiger Gedanke vollzieht sich immer in einer Gemeinschaft von Individuen. Gedanken, Gefühle und Handlungen manifestieren sich in Einheiten von Menschen. Die Seele eines jeden Individuums kann, so Steiner, die ihr innewohnenden Qualitäten der Empathie und des Gleichgewichts nur in der Wechselbeziehung in einem Kreis von Seelen entwickeln, entlang geistiger, emotionaler und physischer Dimensionen.

Wie können wir uns also wieder mit der Welt der Seele verbinden? Durch die Beziehung, die jeder von uns mit dem Kreis all derer um ihn herum hat, die das Licht seiner Seele widerspiegeln. Dadurch wachsen innere Gewissheiten im Herzen und es finden wahre innere Veränderungen statt.

 

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Datum: April 30, 2021
Autor: Sylvain Gillier-Imbs (France)
Foto: Unsplash CCO

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