Das geheilte Herz: Groß wie die Sonne, klein wie ein Funke 

Das geheilte Herz: Groß wie die Sonne, klein wie ein Funke 

Der Schöpfer hat ins Samenkorn die künftige Entwicklung gelegt: in das des Baumes die Berufung, Baum zu werden, in das des Menschen die Berufung, Mensch zu werden. In der Tiefe des Herzens eines jeden Menschen ruht der göttliche Geistfunke als ein Samenkorn.



 

Während der ganzen Nacht befand sich der Geist des Gottes in meinem Herzen und bei Tagesanbruch tat ich, was er liebt. Ich praktizierte Maat, ich verabscheute das Böse. Ich wusste, wovon die Gottheit lebt.
Moustafa Gadalla [1]

Die Weltanschauung Altägyptens hat noch heute ihre Bedeutung. Die schöpferische Kraft des Herzens spielt bei ihr eine wesentliche Rolle. Die Verbindung von Herz und Seele, die Herz-Seele-Quintessenz gilt als der Schlüssel zur Unsterblichkeit. Diesen Schlüssel zu handhaben, ist der erhabenste Lebensauftrag des Menschen. Er öffnet die Tür zu seiner metaphysischen Dimension, zu seinem inneren Christus.

Laut dem Historischen Wörterbuch der Philosophie ist das Herz „in allen Kulturen das große Integrationszentrum der menschlichen Gefühle, Empfindungen und Gedanken, sämtlicher psychischer Leistungen und Fähigkeiten des Menschen. Im Herzen schlägt sich nieder, was im Menschen als Ganzem geschieht, hier wird sein Befinden zur Synthese gebracht.“ Das Herz ist der psychologische Brennpunkt der individuellen menschlichen Manifestation.[2]

Das Herz wird in der Zukunft Bewegungen ausführen, welche die Wirkungen sein werden der inneren Seelenimpulse des Menschen.
Rudolf Steiner  [3]

Aus der Sicht der ursprünglichen Geisteswissenschaft befindet sich das menschliche Herz in seiner embryonalen Entwicklungsphase. Erst in der Zukunft bekommt es eine andere Form und entfaltet sein Potenzial für eine höhere Aufgabe. Ein Hinweis auf eine solche Entwicklung ist in der quer gestreiften Muskulatur des Herzen zu finden. In einer künftigen Entwicklungsperiode wird der Mensch sein Herz bewegen können, so wie er seine Arme und Beine bewegt und zwar in Übereinstimmung mit seinen inneren seelischen Impulsen.[4]

Der Pfad des Herzens

Neben der Philosophie (der „Liebe zur Weisheit“) hat sich die Erforschung des Herzens in der Medizin und in der Psychotherapie etabliert – aus der Not des Herzens heraus. Die Leiden der Psyche finden dort ihren Ausdruck – so bei schweren depressiven Zuständen, bei Trauer infolge des Verlustes eines geliebten Menschen oder nach erlebten Schicksalsschlägen, bei Ungerechtigkeiten und Gewalterfahrungen. Bei solchen Ereignissen „bleibt das Herz stehen“; und es bedarf der Herzheilung, damit es wieder lebendig wird. Ängste, Herzneurosen (Freud) und andere Formen von psychischen Störungen sind Reaktionen, mit denen die Psyche ihre Kohärenz zu schützen sucht.

Untersuchungen des Gründers der Prozessorientierten Psychologie, Arnold Mindell, zufolge hängt der Verlauf einer Nahtoderfahrung wesentlich vom Zustand des Herzens ab: Entscheidend ist, ob der Mensch sich in seinem Leben nach dem Auftrag des Herzens gerichtet hat. Hier klingt der Gedanke des Herz-Wiegens im altägyptischen Ritual an, das nach dem Tod eines Menschen im Jenseits vollzogen wird. In seinem Buch Den Pfad des Herzens gehen stellt Mindell das Sehen mit den Augen dem Wahrnehmen mit dem Herzen gegenüber und stellt fest, dass man ohne das Herz nicht fühlen kann, was man sieht. Ein Mangel an Mitgefühl lässt das Herz erkranken, denn eine seiner wesentlichen Qualitäten ist dann unterdrückt. Mindell betont, dass es von entscheidender Bedeutung ist, Aufmerksamkeit auf die innere Stimme zu richten, um den Pfad des Herzens zu erkennen.[5]

Das Herzensgebet

Die Psychotherapie sowie die klassische und die alternative Medizin leisten Hilfe bei Herzerkrankungen. Aber auch im Bereich der Spiritualität sind wichtige Heilungsmethoden entwickelt worden, die dem heutigen Menschen helfen können. Dazu gehören als die wohl bekanntesten das Herzensgebet im Christentum und die Herzenspraxis im tibetischen Buddhismus.

Das Herzensgebet wurzelt im Alten und Neuen Testament. Aus der „inneren Kammer“ (Mt 6, 6) in der Tiefe des Herzens steigt es auf zu Gott. Das verwundete Herz richtet sich an den mitfühlenden Gott und öffnet sich für seine Kräfte. Aus dem mystischen, geheimnisvollen Ort heraus wird durch das beharrliche Beten der Worte „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“, das reine Herz erschaffen.[6]

Das heilige Herz im alten Ägypten

Symbol für das Herz war für die Ägypter der Perseabaum (Avocadobaum). Die birnenförmige Gestalt seiner Frucht und besonders die des Fruchtkerns gleicht der Herzensform. Auf manchen Abbildungen findet sich die Frucht des Avocadobaumes auf dem Kopf der Isis, der Mutter von Horus, wobei die Frucht aufgeschnitten und der herzähnliche Kern ganz zu sehen ist.[7]

In Altägypten diente die Sonne einer allumfassenden Orientierung. Ob in der Architektur oder bei der Vorbereitung von Mahlzeiten, stets wurden die Prinzipien und Anweisungen von Ra, dem Sonnengott, geehrt und befolgt. Man sah das Herz (Ab) auch als Organ der geistigen Wahrnehmung und Sitz des Unterscheidungsvermögens an. Horus, der auf einem Weg der Verwandlung eins wurde mit dem Sonnengott Ra, wurde Herrscher des Herzens genannt. Dies deutet auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Herzen und der Sonne hin. So wie die Sonne im Zentrum unseres Sonnensystems steht, so befindet sich das Herz in der Mitte des menschlichen Körpers. Allein diese zentrale Stellung erhebt die Sonne wie auch das Herz zum Heiligtum, zu einem Tempel, in dem die Quelle des Lebens sprudelt.

Die Verbindung zwischen Herz und Seele bildet eine göttliche Einheit (Ba) im Menschen. Diese Einheit ist nach altägyptischer Weisheit unsterblich: Ba bleibt auch nach dem Tod eines Menschen erhalten. Das Herz spielt dann eine entscheidende Rolle. Anubis, der Gott des Totenreichs, hat die Aufgabe, es zu wiegen. Er legt es auf die eine Schale der Waage, während er auf die andere eine Feder von Maat, der Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit, legt. Das Herz darf nicht schwerer sein als Feder. Hiervon hängt das Schicksal des Verstorbenen ab.[8]

Es sollten sich immer mehr Menschen auf der Erde dieser Arbeit mit der Sonne widmen, denn nur die Liebe und das Licht werden die Menschheit verwandeln.

Omraam Mickael Aivanhov

Die Sonne – Herz des Sonnenkosmos

In seinem Werk Sonnen-Yoga stellt Omraam Mickael Aivanhov eine neue, auf der Sonne gründende Kultur dar, in der die Verbrüderung aller Völker möglich wird. Er lehrt, dass Menschen, die ihre Aufmerksamkeit auf die geistige Sonne, auf Tiphereth, das Zentrum des Sonnenkörpers, richten, sich dabei zugleich ihrem eigenen Zentrum nähern, ihrer inneren Sonne. Durch die Vereinigung mit der Sonne wird der Mensch nach und nach wie sie. Die Konzentration auf die Sonne befähigt ihn dazu, all seine Gedanken, Wünsche und Energien für die Verwirklichung des höchsten Ideals einzusetzen. Wer daran arbeitet, die vielen ungeordneten Kräfte, von denen er hin- und hergerissen wird, zu vereinen, um sie in eine einzige lichtvolle und heilbringende Richtung zu lenken, wird zu einem so mächtigen Brennpunkt, dass er den Weltraum durchstrahlen kann. Ja, wenn der Mensch die Kräfte seiner niederen Natur beherrscht, kann er – wie die Sonne – seine Segnungen auf die ganze Menschheit verteilen. Er lebt in solcher Freiheit, dass sich sein Bewusstsein auf die Menschheit ausdehnt. Dieser Zustand versetzt ihn in die Lage, ihr den Überfluss des Lichts und der Liebe, die von der Sonne ausstrahlen, weiter zu vermitteln. Sein Herz ist der Repräsentant der kosmischen Sonne.

Das Verlangen der Sonne, sich zu verschenken, lässt – nach der Sicht Omraams – das Licht und die Wärme entstehen. Die kleine Sonne, das reine Herz, kennt wie die große Sonne nur ein Ziel: zu helfen, zu unterstützen, ernähren, versorgen, aufzurichten und zu heilen. Es ist von dem einzigen Gedanken erfüllt, sich uneigennützig, großzügig und liebevoll zu erweisen.[9]

Christus – Mysterium des Herzens

Seit jeher folgen gnostisch geprägte Menschen und Gruppen ihrem geistigen Herzen. Für die Bogomilen – eine spirituelle Strömung im Mittelalter – floss das „lebendige Blut Gottes“ in das gereinigte Menschenherz hinein, um die unsterbliche Seelengestalt des Menschen entstehen zu lassen. Das Kreuz, das dabei im geistigen Herzen vibriert, stellt den übersinnlichen Zugang dar, der zum Gral führt – zur Schale, in der das „göttliche Blut“ aufgenommen wird. Das reine Herz vergeistigt sich in diesem Prozess. Es sucht die Verbindung mit der ganzen Menschheit einerseits und mit dem Heiligen Geist andererseits. Die innere kleine Sonne gleicht der großen. Das Große zeigt sich im Kleinen.

Christos, der Gesalbte, ist in gnostischer Sicht das ursprüngliche Herz des Sonnenkosmos, das sich ununterbrochen als Dreibund von Leben, Licht und Liebe manifestiert. So wird der Rat gegeben, sich aus den intellektuellen Labyrinthen des Gehirns hinauszubewegen und die Aufmerksamkeit auf das Herz zu richten, denn dort ist die Lebensquelle verborgen, der „Wasserbrunnen in der Wüste“. Wer in seinem Herzen die Christuskraft freisetzen kann, kann die Weisheit des ewigen Lebens tief begreifen.

Der bulgarische Weisheitslehrer Peter Danov lehrt, dass im kleinen Samenkorn das ganze Leben verborgen liegt. Der Schöpfer hat ins Samenkorn die künftige Entwicklung gelegt: in das des Baumes die Berufung, Baum zu werden, in das des Menschen die Berufung, Mensch zu werden. In der Tiefe des Herzens eines jeden Menschen ruht der göttliche Geistfunke als ein Samenkorn.[10] In ihm sind nach der rosenkreuzerischen Weisheit die Idee und die Struktur des ursprünglichen, vollkommenen Menschseins enthalten. Das Feld um diesen geistigen Mittelpunkt herum, das auch den materiellen Menschen umgibt, wird „Mikrokosmos“ genannt. Zu dem erhabenen Lebensauftrag eines Menschen gehört es, aus dem Geistfunken die ursprüngliche Seele wieder zu erwecken. Das geschieht mit Hilfe der Christuskraft, der Kraft der geistigen Sonne. So kommt es zur „Wiedergeburt aus Wasser und Geist“ (Joh. 3,5). Die Rosenkreuzer sprechen von einer „Transfiguration“ und beschreiben die Verschmelzung der ursprünglichen Seele mit dem Geist als „alchymische Hochzeit“.[11] Es ist der christliche Einweihungsweg, der im Herzen beginnt. Dort macht sich das immanente Göttliche des Menschen erkennbar und verhilft ihm dazu, sich zu verwandeln und durch die „enge Pforte“ zu gehen, ins unsterbliche Sein.


[1] Gadalla, Moustafa, Ägyptische Kosmologie. Das belebte Universum, 3. Ausgabe, Ancient Mail Verlag, Groß-Gerau 2022
[2] Wolfgang Biesterfelds, Herz, HWPh, 3 (1974), S. 1100-1112
3 Rudolf Steiner, Gesammelte Artikel aus der Zeitschrift Lucifer- Gnosis 1904/05, Gesamtausgabe, 7. überarbeitete Auflage, Rudolf Steiner Verlag, Basel, 2018, S. 168-169
Siehe auch: RUDOLF STEINER ONLINE ARCHIV http://anthroposophie.byu.edu, 4. Auflage 2010
[4] A.a.O.
[5] Arnold Mindell, Den Pfad des Herzens gehen, Lehmanns Media, 2013, S. 159
Arnold Mindell, Der verborgene Code des Bewusstseins, Via Nova Verlag, 2010, S. 509
[6] A. G. Paparnakis, Die Herabrufung des Namens Gottes im Alten Testament, in: Hermeneutik und Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, Thessaloniki 2006
[7] Blavatsky, Helena, Lexikon der Geheimlehre, Verlag Esoterische Philosophie, Hannover 1997, S. 173
[8] Gadalla, Moustafa, a.a.O., S. 61-90
[9] Omraam Mickael Aivanhov, Sonnen-Yoga. Surya – Yoga. In: Gesammelte Werke, Band 10, Prosveta Verlag, Dietingen 2011, S. 268-277
[10] Peter Danov (Beinsa Duno), Die Herrlichkeit des Lebens, Verlag Bjalo Bratstvo, Sofia 2007
[11] Dazu Jan van Rijckenborgh, Die Alchymische Hochzeit von Christian Rosenkreuz, Rozekruis Pers, Haarlem.
Siehe auch: www.Rosenkreuz.de/frag/07

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Datum: Februar 13, 2024
Autor: Elena Vasenina Russia/Germany
Foto: Herz-Ruth Alice Kosnick CCO

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