Die klassischen Phasen der alchimistischen Transformation werden in der Regel siebenfach dargestellt (es gibt auch Beschreibungen von zwölf Phasen). Sie tragen lateinische Namen. Wenden wir uns zunächst den ersten sechs zu:
- Calcinatio (Verkalkung, trockene Verbrennung) – auch „Feuertaufe“ genannt.
Der Laborprozess besteht aus einer kontrollierten Verbrennung von Materie in einem dauerhaften Feuer. Diese Verätzung oder Verbrennung hört jedoch nicht auf, nachdem das Material zu gewöhnlicher grau-schwarzer Asche geworden ist, sondern setzt sich fort, bis aus dieser Asche eine Handvoll feines weißes Pulver entstanden ist.
Aus psychologischer Sicht wird hier die erste Stufe der Reinigung eines Menschen beschrieben, bei der das Ego die „Feuerprobe“ seines egozentrischen Willens zulassen muss, damit sich eine Persönlichkeit bildet, die bereit ist, dem ruhigen spirituellen Prinzip in sich selbst zu dienen. Diese anfängliche Phase der Befreiung von unserer bleiernen Egozentrik wird möglich durch das spirituelle Verständnis, dass das Opfern des ego-dominierten Willens der Schlüssel zur Befreiung des Bewusstseins ist und auf diese Weise der Prozess der Transformation beginnt.
Wenn das Ego allerdings durch seine geistigen Fähigkeiten etwas von diesem Prozess versteht, versucht es, ihn nachzuahmen. Es beginnt, seinen harten Willen zu kultivieren und anderen zu dienen, um das Bild von sich selbst in neuem Licht erscheinen zu lassen. Deshalb wird bei der Beschreibung der Verkalkung ausdrücklich betont, dass die Kauterisation oder Verätzung nicht nach der Verbrennung aufhört, sondern erst nach dem Verbrennen der Asche, wenn nur eine Handvoll weißes Pulver übrig bleibt. Paracelsus legt besonderes Augenmerk auf die Tatsache, dass ohne die vollständige Realisierung dieser ersten Phase der alchimistischen Transformation der Rest nicht durchlaufen werden kann.
- Sublimatio (Verfeinerung, Veredelung) – auch „Lufttaufe“ genannt.
Hier wird in dem entsprechenden Laborgefäß (der Seele) durch „Ausschleudern“ das feine Material von der groben Materie getrennt. Deshalb nannten die Alchimisten diese Stufe auch die Phasentrennung (Separatio). Aus der Asche des geopferten Willens – dem gereinigten Element der „Mutter Materie“ – erhebt sich die reine Urseele, die das „Material“ für die Vollendung des Geist-Seelen-Menschen ist. Während dieser Phase werden alle Gefühle, Gedanken und Impulse des menschlichen Handelns immer mehr von inneren Seelenschwingungen geleitet. Durch die Sublimation werden alle Unreinheiten ausgesondert und dementsprechend kann sich ein klares Bild des Weges formen.
- Solutio (Auflösung) – auch „Wassertaufe“ genannt.
Diese Phase wird als eine sehr langsame und vollkommen geräuschlose Auflösung des Feststoffes im Laborgefäß beschrieben. In einigen alchimistischen Werken wird der Vorgang „Das Ertrinken des alten Königs“ genannt, wobei der alte König ein Bild für das egozentrische Selbst darstellt. Es ist logisch, dass die Veränderung der physischen und energetischen Eigenschaften auch einen entsprechenden psychischen Prozess beinhaltet. Während der Auflösung verlieren die verschiedenen materiellen Partikel die ihnen eigenen Grenzen und werden zu einer homogenen Flüssigkeit. In der mystischen Sprache bedeutet dies die Befreiung der an den Körper gebundenen Seele und ihr Zerfließen im „Ozean“ der Weltseele.
- Putrefactio (Zersetzung)
In dieser Phase, die manchmal mit der Fermentation verglichen wird, brennt ein sehr mildes Feuer, das jeden Bestandteil des Gemisches auf das Endniveau zersetzt. So beginnt der Prozess der Wiederherstellung der Urmaterie. Aus ihr kann, da die Seele nun von der Weltseele belebt und erleuchtet wird, eine neue Lebensform erschaffen werden, die eine viel höhere und feinere Schwingung hat als die Formen des biologischen Lebens, die wir kennen.
In der alchimistischen Sprache wird an dieser Stelle auch das Wort Mortificatio (Ersterbung) verwendet. Traditionell dauert diese Phase 40 Tage und wird „unter Verschluss“ durchgeführt – ohne dass der Prozess gestört oder überwacht wird. Die Bogomilen und Katharer nannten diese Ersterbung Endura. Sie bedeutet den endgültigen „Abschied“ von der bisherigen Welt, da alle Imitationen, die das Ego versucht hat, inzwischen entlarvt und aufgegeben wurden.
- Destillatio (Verdampfung)
In dieser Phase entsteht eine „Flüchtigkeit“ des Materials. Das Wesentliche und Immaterielle erhebt sich in einen neuen, gasförmigen Zustand, in eine neue Ebene der Materie. Um das Destillat wieder in das Gefäß gießen zu können, wird der Dampf durch Abkühlen „fixiert“. Er kehrt also zu einer flüssigen Form zurück und bringt dabei das mit sich, was er „von oben empfangen hat“. Dieser Prozess bereichert die Substanz mit neuen Informationen, die von dem erhalten werden, was Geist genannt wird. Die Mikrostruktur der Elemente wird aufgehellt und somit eine Möglichkeit für eine anschließende schrittweise Perfektionierung, für eine „Transmutation“ geschaffen. Der Prozess wird auch in einem geschlossenen System durchgeführt und wird oft mit einer 33-fachen Wiederholung ritualisiert.
Psychologisch gesehen zeigt diese Phase das Wachstum des bisher nur abstrakt als „Essenz“ bezeichneten Wesens innerhalb eines Menschen. Wir sprechen hier von einem neuen Bewusstsein, das auf natürliche Weise „das, was von oben empfangen wurde“, in Aktion umsetzt. Die Destillation ist eine äußerst wichtige Phase während der Entfaltung des spirituellen Pfades. Für den Alchimisten besteht allerdings die Gefahr, dass er eine „Spaltung“ seiner Persönlichkeit erfährt, wenn er versucht, einen Teil von sich spirituell zu erheben, ohne die dafür notwendige Grundlage zu besitzen. Auf diese Weise wird er, verzaubert von seiner neuen Intuition und Inspiration, süchtig nach dieser „Volatilität“ (Leichtigkeit, Flüchtigkeit) und vergisst die Gründung in sich. So integriert er im Prozess der Selbsterkenntnis nicht alles in sich selbst und ignoriert, was „zu schwer“ ist.
Die vollständige Durchführung dieser „Destillation“ erfordert innere Reife – also eine vollständige Realisierung der vorherigen vier Phasen. Das Ergebnis ist eine klare Geistesgegenwart, die eine neue Lebensführung bedeutet. Es wird berichtet, dass die Katharer, die diesen Prozess durchlaufen hatten, als Parfaits (= vollständig, perfekt) bezeichnet wurden.
- Coagulatio (Gerinnung, Kondensation)
Dies ist der Prozess der Neuschöpfung. Er wird als Kondensation bezeichnet, als Gegenteil der Destillation also, weil der flüchtige Stoff in den materiellen Zustand zurückgeführt wird, was zu einer Neukonfiguration der Materie führt, zu einer völlig neuen Form.
Aus der Sicht der geistigen Arbeit zeigt dies, dass die geistige Idee in eine gereinigte und erneuerte materielle Form zu fließen beginnt. Eine neue Kreatur wird geboren, ein Abbild des ursprünglichen göttlichen Archetyps, der zeitlos ist und in dem der eigentliche Antrieb für das gesamte Geschehen liegt. Manchmal wird es so beschrieben: Das neue Bewusstsein erschafft seinen eigenen neuen Lichtkörper. Das „Material“ hierfür wurde von den Alchimisten „himmlischer Tau“ oder reiner, ewiger Äther genannt.
(wird fortgesetzt)