Nach Teil 1
Die Pythagoreer waren für ihre besondere, strikt eingehaltene Lebensweise bekannt, zu deren Merkmalen insbesondere Ernährungsregeln und ethische Grundsätze gehörten. Platon bezeugt, dass es bei ihnen auch orphische Lebensregeln gab; er erwähnt eine Vergangenheit, in der diese Regeln allgemein befolgt worden seien.
Zu den Normen gehörte, – zumindest bei denen, die dem engeren Kreis der Pythagoreer angehörten – ein ethisch motivierter Vegetarismus, der mit der Seelenwanderungslehre zusammenhing und einer dadurch bedingten höheren Einschätzung des Wertes des Lebens, auch des tierischen. Viele Argumente für eine fleischlose Ernährung, die heute noch Gültigkeit haben, existierten bereits damals. Zunächst hatte die vegetarische Ernährung aber vorrangig religiöse Gründe. Pythagoras griff den Vegetarismus der Orphiker auf und entwickelte ihn zu einem ethischen Vegetarismus.
Viele Jahrhunderte lang nannte man die Menschen, die kein Fleisch verzehrten, nicht Vegetarier, sondern „Pythagoreer“. Sie wurden als suspekt angesehen, verfolgt und auch getötet, bis ins Mittelalter hinein.
Näheres über die Pythagoreer
Als Pythagoreer (auch Pythagoräer, altgriechisch Πυθαγόρειοι Pythagóreioi oder Πυθαγορικοί Pythagorikoí) bezeichnet man die Angehörigen einer religiös-philosophischen, auch politisch aktiven Schule, die Pythagoras von Samos im 6. Jahrhundert v. Chr. in Süditalien gründete und die nach seinem Tod noch einige Jahrzehnte fortbestand. Im weiteren Sinn sind damit alle gemeint, die seither Ideen des Pythagoras oder ihm zugeschriebene Ideen aufgegriffen und zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Weltbildes gemacht haben.
Sicher ist, dass in einer Reihe von griechischen Städten Süditaliens Gemeinschaften von Pythagoreern bestanden, die sich als soziale und politische Reformbewegung betrachteten und mit Berufung auf die Lehren des Schulgründers massiv in die Politik eingriffen. Dabei kam es zu schweren, gewaltsamen Auseinandersetzungen, die im 6. Jahrhundert v. Chr. mit wechselndem Erfolg ausgetragen wurden und schließlich mit Niederlagen der Pythagoreer endeten. In den meisten Städten wurden sie getötet oder vertrieben.
Der Kosmos bildet eine harmonische Einheit
Für die Pythagoreer charakteristisch ist die Überzeugung, dass der Kosmos eine nach bestimmten Zahlenverhältnissen aufgebaute, harmonische Einheit bildet, deren einzelne Bestandteile ebenfalls harmonisch strukturiert sind, oder, soweit es sich um menschliche Lebensverhältnisse handelt, harmonisch gestaltet werden können. Sie nahmen an, dass in allen Bereichen – in der Natur, im Staat, in der Familie und im einzelnen Menschen – dieselben zahlenmäßig ausdrückbaren Gesetzmäßigkeiten gelten, dass überall Ausgewogenheit und harmonischer Einklang anzustreben sind und dass die Kenntnis der maßgeblichen Zahlenverhältnisse eine weise, naturgemäße Lebensführung ermöglicht. Das Streben nach Eintracht beschränkten sie nicht auf die menschliche Gesellschaft, sondern dehnten es auf die Gesamtheit der Lebewesen aus, was sich in der Forderung nach Rücksichtnahme auf die Tierwelt zeigte.
Die Seele ist unsterblich
Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele gehört zum ältesten Bestand der frühpythagoreischen Philosophie. Sie ist eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten von Pythagoreismus und Platonismus, die sich im Lauf ihrer Entwicklung gegenseitig beeinflussten und bei manchen Philosophen miteinander verschmolzen. Die Pythagoreer waren ebenso wie die Platoniker von der Seelenwanderung überzeugt. Dabei nahmen sie keinen Wesensunterschied zwischen menschlichen und tierischen Seelen an.
Ebenso wie viele andere philosophische Richtungen traten die Pythagoreer für die Beherrschung der Begierden und damit auch für eine einfache Lebensweise und frugale Ernährung ein. Dass sie jeden Luxus – insbesondere den Kleiderluxus – verwarfen, ergab sich aus ihrer allgemeinen Forderung, das rechte Maß zu wahren und so die Harmonie zu verwirklichen.
Zu den Kernbestandteilen des ursprünglichen Pythagoreismus gehörte der Vegetarismus. Er wurde als „Enthaltung vom Beseelten“ bezeichnet.
Die „pythagoreische Diät“ bestand aus Brot, Honig, Getreide, Früchten und Gemüse. Man trachtete nach körperlicher Ertüchtigung, wobei auch das Musische eine große Rolle spielte.
Vegetarismus bei den Urchristen
Aus der frühen Geschichtsschreibung geht hervor, dass viele der Urchristen fleischlos lebten. Bis ins 4. Jahrhundert wurden alkoholische Getränke und Fleisch weitgehend abgelehnt. Tertullian, der älteste lateinische Kirchenschriftsteller, erklärte um das Jahr 200, die “wahren Christen” lebten vegetarisch. Paulus hingegen aß gern Fleisch und thematisierte die Frage in seinen Briefen. Zu einer folgenschweren Wende kam es, als der römische Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum im römischen Imperium zur Staatsrelgion machte. Er selbst wollte nicht auf Fleisch und Wein verzichten. Im Jahre 325 berief er das Konzil von Nicäa ein und beauftragte die Gelehrten, die vielen frühchristlichen Dokumente über das Leben und die Lehren Jesu zu “sortieren” und zu “korrigieren”. Dem fielen neben vielen Aussagen auch diejenigen zum Opfer, die sich gegen das Fleischessen richteten. In der weiteren Entwicklung kam es dann dazu, dass der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) erklärte, dass das Töten von Tieren durch die Vorsehung erlaubt sei, da Tiere keine Seele hätten. [1]
Eine Renaissance im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert erlebte die alternative und fleischlose Ernährung eine Art Renaissance und der Begriff der „Pythagoreer“ ging zum Begriff „Vegetarier“ über. August Bebel (Autor und Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie) erklärte: „Offenbar tritt in dem Maße, wie die Kultur sich hebt, an die Stelle der Fleischkost die Pflanzenkost.“
Die vegetarische Lebensweise konnte sich in Europa über die sog. Lebensreformbewegung etablieren. Der zunehmende Wohlstand und die mit der wachsenden Industrialisierung auftretenden negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt brachten ein neues Bewusstsein hervor, das viele Menschen in unserer Zeit dazu geführt hat, sogar eine völlig tierfreie (vegane) Ernährung zu bevorzugen.
Der inzwischen modern gewordene fleischlose Ess- und Lifestyle, der mit gesunder Ernährung in Zusammenhang gebracht wird, bedeutet oft auch, aktiv ein Zeichen gegen Massentierhaltung, Klimawandel, Umweltskandale oder auch gegen Schadstoffe im Tierfutter zu setzen. Unsere krisenhafte Situation kann dazu beitragen, den Wert des Lebens neu zu erkennen und vielleicht sogar die Einheit allen Lebens.
Anhang:
Bekannte Anhänger einer vegetarischen Lebensweise
Berühmte Anhänger oder Unterstützer des Vegetarismus von der Antike bis heute waren und sind u.a.:
Zarathustra / Zoroaster, Pythagoras, Buddha Shakyamuni / Siddhartha Gautama, Sokrates, Diogenes von Sinope, Aschoka, Horaz, die christlichen Apostel Petrus, Johannes und Matthäus, Seneca der Jüngere / Lucius Annaeus, Plutarch, der Prophet Mohammed, Leonardo da Vinci, Sir Isaac Newton, Francois de Voltaire, Alexander von Humboldt, George Sand, Wilhelm Busch, Dr. med. Max Oskar Bircher-Benner, Mahatma Gandhi, Albert Einstein (gegen Ende seines Lebens), Yehudi Menuhin, der Dalai Lama.
Berufssportler wie Carl Lewis, Edwin Moses, Martina Navratilova, Bill Pearl (Bodybuilder), Carlso Roa (Torwart Argentinien), Dennis Rodman (Profi-Basketballer), Sean Yates (Radrennfahrer), Abele Ridgely (Gewinner Karateweltmeisterschaft), Andreas Cahling (schwed. Body-Builder), Roy Hinnen (Triathlet), Nurmo Paavo (22 Weltrekorde Langstreckenläufe und 9 olympische Medaillen)
Schauspieler wie Richard Gere, Jean-Claude Van Damme,
die Ex-Beatles Sir Paul McCartney und Sir Ringo Starr … .
[1] Näheres bei Armin Risi und Ronald Zürrer, a.a.O,, S. 116 ff.