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Die schottische Forscherin Lynda Harris geht davon aus, dass Bosch gnostisch inspiriert war, dass er beeinflusst war vom Denken der Bogomilen und Katharer. [1] Hierfür gibt es deutliche Hinweise.
Nehmen wir das Bild Der Tod des Geizhalses. Auch hier stellte Bosch die Wahl dar, vor der die Seele steht..
In einer Vorstudie skizzierte er ein anthropomorphes Katharerkreuz. Seine Bedeutung war: das Böse in der Welt muss vom Guten mit Liebe umarmt werden. In der endgültigen Fassung des Gemäldes ist es weggelassen.
Auch in dem Bild Das Steinschneiden finden sich Hinweise auf die geistige Sicht Boschs. Bei einem Menschen, dessen Name unten im Bild mit Lubbert Das angegeben wird („Lubbert“ steht für Dummheit) wird ein „Stein“ aus der Schädeldecke herausgeschnitten. Dies war ein mittelalterlicher Brauch; man wollte die Torheit herausschneiden, es war eine Art Teufelsaustreibung. Es wurde also etwas beseitigt, wofür es in der etablierten Kirche keinen Platz gab – das geistige Potenzial des Menschen. Bosch bildete, und das ist das Interessante, anstelle eines Steines eine Art Lotusknospe ab, uraltes Symbol für das spirituelle Bewusstsein, für den göttlichen Urkern des Menschen.
Die Knospe ist noch ziemlich geschlossen, und der dumme Lubbert lässt sie von Vertretern der Kirche entfernen. Bemerkenswert ist auch die Frau mit dem Katharergewand und dem Evangelium auf dem Kopf, die auf der rechten Seite am Tisch sitzt. Sie wird negiert. Der runde Tisch, dessen Platte auf einer Art Pilz ruht, ähnelt der runden Schale, die bei der Katharer-Zeremonie des Consolamentum verwendet wurde.
In einer Vorstudie zum Heuwagen sehen wir in der Ferne ein (traditionelles) Kreuz. Aber dahinter erhebt sich ein Lichtkreuz. Ein fast gleiches Lichtkreuz schmückt die Grabsteine der Bogomilen bei Sarajewo und Radimlja in Bosnien. Es sind Monumente, die oft als Symbole für die Auferstehung des Unvergänglichen angesehen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Bosch hierauf verweist.
Auf dem Gemälde Der heilige Christophorus bringt der riesige Reprobus ein Kind (Jesus) auf die andere Seite des turbulenten Wassers.
Reprobus wird zum „Träger des Christus“ = Christophorus. Das Überqueren des Wassers symbolisiert die Verbindung zweier Welten. Das Kind kommt zwar aus einer landschaftlich reizvollen Gegend, aber weit weg, wenig sichtbar, brennt darin ein Dorf. Reprobus / Christophorus bringt Jesus in Sicherheit, gestützt auf seinen Stab (die Stärke der Glaubenskraft wird hier durch das Ausbrechen grüner Zweige bezeugt) und geleitet von dem blutigen Fisch, der am Stab hängt. Der Fisch, auf griechisch ichtus, ist Symbol für den Christus. Man verstand die Buchstaben als: Iesous Christos Theou Huios Sooter – Jesus Christus Gott Sohn Retter.
Das Motiv des Christophorus findet sich auf vielen Grabsteinen der Bogomilen. Für sie war es ein Symbol für den Pilger, der den stürmischen See von Galiläa, die unausweichlichen Turbulenzen des Lebens, sicher überqueren musste, um nach Kafarnaum, der Stadt des Trösters zu gelangen. Bosch verbarg, wie auch die Bogomilen, seine Erkenntnis in Symbolen. Für Gleichgesinnte waren sie unmittelbar verständlich.
Der Maler bot auch einen Ausblick auf die Erlösung. So zeigt er in dem Gemälde Der Aufstieg in das himmlische Paradies den Flug der gereinigten Seele zum erlösenden Licht. Durch ein schaftförmiges Rohr wird die Seele – in Gebetspose – von einem Engel ins Paradies geführt.
Dieselbe Gebetshaltung sehen wir auch auf dem Bild Eremitenaltar in der „Säule der Herrlichkeit“, die in dem Gemälde vorne in kleinem Format abgebildet ist. Die Seele steigt durch verschiedene Ebenen des Universums auf, um zum Vorportal des Lichtreiches zu gelangen. Dieser Prozess des Seelenaufstiegs wird auch in der apokryphen Schrift Die Himmelfahrt des Jesaja beschrieben, die für die Bogomilen von Bedeutung war.
Man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Hieronymus Bosch ein „später“ Katharer oder Bogomile war. Dass er ein Eingeweihter war, ist aber unbestreitbar. Es gibt wohl kaum einen Künstler, der den Titel eines Magiers oder Eingeweihten mehr für sich in Anspruch nehmen könnte. Seinen größten Verdienst kann man darin sehen, dass er noch nach 500 Jahren die Selbstreflexion und Selbsterkenntnis fördert. Er lässt uns auf uns selbst blicken und verbindet uns dabei mit der universellen Weisheit:
Wer sich selbst kennt, kennt da All.
References
[1] Lynda Harris, Secret Heresy of Hieronymus Bosch, Floris Books, 1995