Der Pilger, der nach Wahrheit sucht

Der Pilger, der nach Wahrheit sucht

Wer begegnet dem Pilger, der nach Wahrheit sich sehnt, dem Lehrer, der wachsam seinen Weg begleitet?

Die Faszination dieser inneren Suche zu folgen beinhaltet die Frage nach dem Führer auf unserem geheimnisvollen Weg nach innen. Das Bild des einsamen Wanderers, der ungezählte Landschaften durchquert, ständig auf der Such nach dem nicht verständlichen, ist Gegenstand unzähliger Erzählungen, Legenden und künstlerischen Darstellungen.

Viele sind von diesem Archetyp des unermüdlich Suchenden, des Wanderers, der entschlossen ist, sein geheimnisvolles Ziel zu erreichen, tief berührt, fühlen sich mit dieser Vorstellung so innig verbunden?

In den alten Überlieferungen, aus denen das Tarot hervorging, wird der Wanderer durch die Karten als Narr dargestellt – ewig auf der Suche nach dem geheimnisvoll Unbekannten. Für die Gelehrten dieser Symbole verweist diese Karte auf tief verborgene Gedanken, Sehnsüchte, Schicksale und Naivitäten. Impulse, die ersten Anzeichen für eine Bereitschaft, sich auf einen neuen Weg zu begeben und sich dem Unbekannten und Neuen zu stellen. Sie weist auch darauf hin, dass fragwürdige Verhaltensmuster und Neigungen zur Spiritualität in Frage gestellt werden.

Unter den Karten der großen Arkana des Tarots ist sie die einzige, die keinen festen Platz hat: Mit der Nummerierung Null-Null wird ihr sowohl der Anfang als auch das Ende zu Teil. Aus ihr ist der Joker in anderen Kartenspielen hervorgegangen, der sich die Eigenschaft bewahrt hat, in einem beliebigen Spiel immer wieder Platz und Rolle zu tauschen, da er keiner bestimmten Zahl oder Farbe zugehört.

Dem Archetypen des Wanderers wird in der Welt kein fester Platz zu Teil, er fügt sich nicht, er lässt sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen aufhalten oder begehrt nicht die Werte der Masse. Er lebt eine eigene Realität, die niemand sonst zu verstehen scheint. Es ist dieses unbewusste Bild, dem wir uns so verbunden fühlen.

Aber der Suchende wird nicht immer mit dieser Sehnsucht geboren. Manchmal ist er durch seine Lebenserfahrungen gereift und verliert die Anziehung zum Glanz des Goldes, dem Ruhm oder dem Prestige der Ehre. Möglicherweise wurde er irgendwann in einen Lebensstrom gezogen, der ihn in eine ganz andere Richtung mit sich forttrug, ihm andere Realitäten vor Augen führten.

Im spirituellen Sinne könnten wir einige Phasen dieser Suche unterscheiden:

  • Eine erste Vorbereitung, in der der Suchende noch versucht, sich in die Form der Gesellschaft mit all ihren Erwartungen, Anforderungen und Verhaltensregeln einzufügen – ohne Erfolg.
  • Ein zweiter Moment ist geprägt von tiefer Unzufriedenheit, einer stillen, aber ergreifenden Unruhe, die seine Seele zu erschüttern scheint und es unmöglich macht, in einem gewöhnlichen Leben, das dem Urteil anderer unterliegt und durch den gesunden Menschenverstand eingeschränkt ist, glücklich zu werden. Es entsteht der Impuls, sich auf die Suche zu machen. Selbst wenn er nicht weiß, wo dieser geheimnisvolle Ort der Erfüllung ist, selbst wenn er kein klares Ziel hat – der Impuls des Wanderers kann aus dem reinen und einfachen Bedürfnis entstehen, Altes zu verlassen.

 

Erst wenn der Suchende sich nach innen wendet, lauscht er der heiligen Quelle seiner Unzufriedenheit. Indem er diesen mächtigen Impuls erkennt, ihm folgt, kann er endlich sein Herumwandern in der Welt aufgeben und seine Reise der Selbstentdeckung, seiner spirituellen Erfüllung, beginnen.

Die unbewusste Reise durch das Leben muss in einen Weg der bewussten Transformation umgewandelt werden. Denn nachdem er alle äußeren Autoritäten aufgegeben hat, wird er ohne einen „klaren Norden“ leben, verloren im Strudel der Welt, bis er in sich selbst die einzig wahre Autorität entdeckt: die Quelle aus der ein Ruf der Ewigkeit sprudelt.

Alles, was er über die Außenwelt gewusst und verstanden hat, wird irrelevant in seinem Bemühen, sich auf diesem Weg zurechtzufinden. Für ihn bewahrheiten sich die Worte der Bibel:

Die Weisheit der Welt ist eine Torheit vor Gott (1 Kor 3,19).

Es beginnt sich von all den schweren Lasten seiner Historie zu lösen bestehend aus Überzeugungen, Gewissheiten und Sicherheiten, die ihm so viele Jahre Schutz und Geleit durch viele schwere Zeiten gegeben haben. Es beginnt eine Verwandlung, die auf einen neuen Seinszustand, auf ein neues Leben zuläuft.

Der schöpferische Aspekt des Narren (des Wanderers ohne feste Heimat, festes Ziel) erhält somit eine tiefe spirituelle Bedeutung. Das Bewusstsein muss seine Werte bis zum Kern seines Wesens auflösen, um eine völlig neue Dynamik im Denken, Fühlen und Handeln zu schaffen.

Wenn sich das Geheimnis dieser heiligen Unzufriedenheit vor den Augen des Wanderers offenbart, wird klar, dass alle Bemühungen um Selbsterhaltung, um Entwicklung im materiellen Sinne sowie jede Neigung zum Machtstreben illusorisch sind und auf Angst und Individualismus beruhen.

Die Quelle der Unruhe, die auf den Weg nach innen führt, durchflutet das Bewusstsein mit Werten, die mit dieser Ichbezogenheit absolut unvereinbar sind. Es ist eine Intuition, eine Erinnerung an einen völlig anderen Zustand – eine Sehnsucht nach einem Leben in Gemeinschaft und vollkommener Einheit mit allem und jedem.

Solange das Gewissen verbietet, diese Sehnsucht als eine hohe Realität anzunehmen, der es zu folgen gilt; solange Zweifel und Unglaube immer wieder in die Sicherheit des altbekannten „gesunden Menschenverstandes“ zurückführen … wird das Leben den geheimnisvollen Weg nach innen nicht betreten.

Viel Leid kann das Leben begleiten, wenn jeder Tag die unmögliche Aufgabe nach der Erfüllung weltlicher Ziele in sich trägt, der jeder unerbittlich zu folgen scheint.

Es wird aber der Tag kommen, da jeder die innere Aufgabe eines erfüllenden Weges erkennt, wie Rumi es in folgendem Vers ausdrückt:

Deine Aufgabe ist es nicht, die Liebe zu suchen, sondern einfach alle Barrieren, die du gegen sie errichtet hast, in dir selbst zu suchen und zu finden.

In diesem Licht erweisen sich die weltlichen Werte als Wahnsinn und Illusion.
Eine Sehnsucht, die zuvor missverstanden und diskreditiert wurde, wird schließlich zu einem einzigen, klaren Ziel vor dem entschlossenen Blick einer sich aufrichtenden Seele. So wird der Mensch zum Wanderer, zum Pilger geboren. Ein Mensch, der in der Welt keinen Platz mehr findet, da sein Haupt Ruhe findet (Matthäus 8,21), und der sich deshalb auf den Weg zum Neuen, zum Transzendenten – zur Ewigkeit – machen muss.

Auf diesem Weg ist die Stimme des Meisters der ewige Ruf, der in ihm seine Resonanz findet und dessen Stimme er nun klar erkennt. Seine Intuition wird zu Nahrung, Kraft und Mut für seinen befreienden und transformierenden Weg.

 

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Datum: Mai 20, 2025
Autor: Group of LOGON authors (Brazil)
Foto: Mountain Hikers (by Kikate, Pixabay)

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