Jakob Böhme: Göttliche Einfalt

Jakob Böhme: Göttliche Einfalt

Jakob Böhme sagte: „Ich bin im Wissen tot um des willen, der in mir wissen will.“

Und ferner: „Der einfache, göttliche Weg, auf dem man Gott in seinem Wort, Wesen und Willen schauen kann, ist der, dass der Mensch in sich selbst einfach wird und in seinem eigenen Willen alles verlässt, was er selbst ist und hat.“

Wenn wir die Begriffe Einfalt oder einfältig hören, dann verbinden wir damit einen geringschätzigen Sinn, denn ein einfältiger Mensch gilt als jemand, der eher naiv ist und dem es an Intelligenz mangelt. Im umgangssprachlichen Sinn wird Einfalt in Abgrenzung zu dem Begriff Vielfalt verwendet. Auf der politischen Bühne führte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2010 unter dem Motto „Vielfalt statt Einfalt – Gemeinsam für Gleichbehandlung“ eine große Kampagne durch, um für Toleranz und Offenheit zu werben.

Im germanischen Wortstamm geht das Wort Einfalt zurück auf Einfachheit, Ungeteiltheit, und im Mittelalter wurde mit dem Ausruf „Sancta Simplicitas“ die einfache, aber geradlinige Konsequenz spiritueller Menschen bezeichnet.

Für Friedrich Kirchner (Philosoph im 19. Jahrhundert) hatte die „ästhetische Einfalt“ folgende Bedeutung:

Die ästhetische Einfalt oder Einfachheit besteht im ungekünstelten Zusammenstimmen aller Teile eines Kunstwerkes. Sie gibt nie mehr, als der Zweck des Ganzen fordert; ihre Kunstmittel sind die einfachsten; ihre Anordnung und Verbindung ist natürlich; sie ist fern von aller Überladung und Verschnörkelung. Solche Einfalt adelt die Werke aller wahren Genies. Sie herrschte in der Kunstrichtung der Alten und fehlt in vielen Richtungen der modernen Kunst (vgl. Schillers Gedicht an Goethe: „Des falschen Anstands prunkende Gebärden verschmäht der Sinn, der nur das Wahre preist“).[1]

Was ist nun die spirituelle Bedeutung des Begriffes Einfalt? Und was ergibt sich daraus für den Begriff der Vielfalt?

Jakob Böhme (1575–1624) als eine hohe geistige Inkarnation hat in seinen Schriften häufig die Begriffe Einfalt, einfältig oder Einfachheit verwendet. Was meint er damit?

In der Anthologie Ein Einfaches Leben in Christus[2] finden wir eine Auswahl wichtiger Texte von Jakob Böhme. Der Herausgeber Konrad Dietzfelbinger hat sie in modernes Deutsch übertragen.

Im Jahre 1600 hatte Böhme eine Erleuchtungserfahrung. Er zeugt von dem, was ihm dabei offenbar wurde, in einer Sprache, die tief im Christlichen verankert ist. Zugleich erfindet er neue Worte, um den Bewegtheiten seines Innern Ausdruck zu verleihen. In seiner Erstlingsschrift Aurora oder Morgenröte im Aufgang heißt es im 19. Kapitel:

Als sich aber in solcher Trübnis mein Geist […] ernstlich in Gott erhob als mit einem großen Sturme, und mein ganz Herz und Gemüte samt allen anderen Gedanken und Willen sich alles darein schloss, ohne Nachlassen, mit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu ringen, und nicht nachzulassen, er segnete mich denn, das ist: er erleuchtete mich denn mit seinem Hl. Geiste, damit ich seinen Willen möchte verstehen und meiner Traurigkeit los werden – so brach der Geist durch.[3]

Der Sohn Gottes muss in uns geboren werden

Jakob Böhme stellt mit Nachdruck fest, dass es aus dem Verstand alleine und einem angestrengten Nachsinnen[4] nicht möglich ist, den wahren Grund der Welt Gottes zu finden. Wir müssen stattdessen mit einem reinen Herzen und einem geläuterten Verstand in die Liebe und Barmherzigkeit Gottes einsinken, mit einem Willen, der nichts anderes will, als was Gott will. Der Sohn Gottes, Christus, muss in uns geboren werden, und das kann nur geschehen, wenn wir mit unserem gelassenen Willen auf Gott vertrauen und alles Gute von ihm erhoffen. Der Eigenwille hat sich aus der Ordnung Gottes gelöst und lebt in Ichbezogenheit. Der Verstand ist etwas Natürliches, seine Gedankenwelt hat einen Anfang und ein Ende, er vergeht mit dem Tod. Jakob Böhme betont in diesem Zusammenhang für sich[5], dass er „nicht aus der Schule dieser Welt geboren“ ist, sondern ein einfältiger Mann sei. Ohne einen Willensvorsatz aus seinem Ich-Bewusstsein oder ein Begehren und Wünschen aus seinem Herzen ist er durch die Gnade in Gottes Geist und Willen in göttliche Erkenntnis und in hohe Erforschung der Natur eingeführt worden. Das ist die wahre, geistige Einfalt von Haupt und Herz, die erforderlich ist, um sich der Gotteserkenntnis zu nähern. In diesem Zusammenhang sagt er: „Denn ich bin im Wissen tot um des willen, der in mir wissen will.“[6]

Jakob Böhme hat seine Weisheit und Erkenntnis Gottes nicht aus Büchern gelernt. Er hatte keine akademische Laufbahn eingeschlagen. Er war ein einfacher Mann, lebend in Einfalt, ein Schuhmacher, und hat dennoch die größte Gnade, die Gott einem Menschen im irdischen Leben schenken kann, an sich erfahren. Er wurde in die Lage versetzt, das „Buch Gottes“ in sich selbst zu lesen, und fand in der Bibel ein äußeres Zeichen für sein inneres Buch. „Der einfache, göttliche Weg, auf dem man Gott in seinem Wort, Wesen und Willen schauen kann, ist der, dass der Mensch in sich selbst einfach wird und in seinem eigenen Willen alles verlässt, was er selbst ist und hat, es sei Gewalt, Macht, Ehre, Schönheit, Reichtum, Geld und Gut, Vater und Mutter, Bruder, Schwester, Weib und Kind, Leib und Leben, und für sich selbst ganz ein Nichts wird: Er muss alles hingeben und ärmer werden als ein Vogel in der Luft, der doch ein Nest hat.“[7]

Die Identifikationen zurücknehmen

Jeder akademische Hochmut hindert den Menschen daran, zur wahren Erkenntnis Gottes zu finden. Der Ausspruch aus der Bibel: „Werdet wie die Kinder“ (Matth. 18, 2-4) bedeutet nichts anderes, als dass sich der Mensch seiner Identifikationen und Projektionen bewusst wird und durch seine Lebenserfahrung diese zurücknehmen und in spirituelle Erkenntnis verwandeln kann. Denn die gerade geborenen Kinder sind frei davon; in sie kann die göttlich-geistige Welt noch unmittelbar hineinwirken. Erst im Laufe seines Lebens füllt der Mensch seinen Verstand mit Gedanken auf, die keinen Ewigkeitswert haben und durch einen spirituellen Weg erlöst werden wollen. Eine „Gedankenlosigkeit“ in diesem Sinne ist ein Zustand, der einen reifen Menschen beschreibt, der seinen Verstand nur für die Regelung seines alltäglichen Lebens gebraucht.

Diese Einfalt des Geistes (Verstandes) beschreibt der spirituelle Lehrer Krishnamurti (1895–1986) mit folgenden Worten:[8]

Die Fülle des Lebens liegt in der Stille des Geistes. Die Fähigkeit zu beobachten, ohne zu werten, ist die höchste Form der Intelligenz. Nur wenn der Geist absolut still ist, sowohl an der Oberfläche als auch tief im Inneren, kann das Unbekannte, das Unmessbare, zum Vorschein kommen. Bewusstheit ist die vollständige und bedingungslose Hingabe an das, was ist, ohne Rationalisierung, ohne die Trennung von Beobachter und Beobachtetem. Meditation ist das Reinigen des Geistes und Herzens vom Egoismus; durch diese Reinigung entsteht das richtige Denken, das allein den Menschen vom Leid befreien kann.

In einem seiner letzten Vorträge sagt er:

Ich habe nichts gegen das, was gerade geschieht.[9]

Jakob Böhme beschritt den „einfachen Kinderweg“ in Christus. Er erklärte, dass er von sich nicht anders schreiben könne „als wie von einem Kind, das nichts weiß und versteht, auch nichts gelernt hat als nur dies, dass der Herr ihm wissen will nach dem Maß, in dem Er sich in ihm offenbart“.[10] In seiner Einfalt suchte Böhme allein das Herz Jesu Christi und bat Gott ernstlich um seinen Heiligen Geist und seine Gnade. Durch dieses ernsthafte Suchen wurde ihm eine Pforte eröffnet, in der er in 15 Minuten mehr sah und erfuhr, als wenn er sein Leben lang Studien betrieben hätte. Er erkannte, dass das Wissen nicht sein, sondern Gottes ist, dass Gott in der Seele des Menschen weiß, was und wie Er will. Die Verstandes-Weisen haben von diesem Wissen keine Kenntnis, weil sie nicht in der „gedankenlosen“ Einfalt des Verstandes stehen, sondern stolz darauf sind, Gelehrte zu sein.[11]

So stand Böhme in der göttlichen Weisheit, der Theosophie, er sah den Urzustand der Welt und war eingeweiht in die Kosmosophie. Er besaß die Weisheit vom Menschen, die Anthroposophie, und ihm offenbarte sich das Christusmysterium auf Golgatha, welches den Menschen den Weg zurück zur göttlichen Einheit ermöglicht und aufzeigt, die Christosophie.

Diese Form der Einfalt zeigt sich in verschiedenen Varianten bei allen erleuchteten Seelen. Von ihr ausgehend, gewinnen sie einen besonderen Blick auf die Vielfalt. Jakob Böhme schreibt dazu:

Da aber des Vaters Wesen unermesslich ist, und Er die Ursache aller Weisheit ist, alle Dinge aber durch seine Weisheit entstanden sind, so sind die Seelen auf mancherlei Art [vielfältig] strukturiert. Sie stammen zwar alle aus einem Sein, aber ihre Wirkung ist unterschiedlich, je nach Gottes Weisheit. So eröffnet der Geist Christi jeder Seele ihr eigenes Wesen, so dass jede aus ihrem eigenen Wesen in der Weisheit Gottes von den Wundern [in der Vielfalt] spricht.[12]

Nach diesem Verständnis von Einfalt und Vielfalt müsste man den Titel dieses Heftes Vielfalt und Einfalt umformulieren in „Vielfalt aus Einfalt“, denn die spirituelle Einfalt in ihrer Einfachheit ist die Voraussetzung für die Spiegelung der Einfalt in Vielfalt aus dem Wissen Gottes heraus.

Ein wunderbares künstlerisches Werk in diesem Kontext ist der Christophorus des Meisters von Meßkirch. Der Heilige Geist in Form des Christusknaben führt seine Weisheit in den geläuterten, also einfältigen Verstand des ringenden Menschen ein, der sein Bewusstseinsfeuer gereinigt hat und es nun symbolisch als einen kraftvollen Stab benutzt.[13]


Der hl. Christophorus. – Meister von Messkirch

(https://de.wikipedia.org › wiki › Meister_von_Meßkirch)

[1] https://de.wikipedia.org > wiki > Einfalt; https://www.gedichte.de › gedichte › friedrich-schiller

[2] Jakob Böhme, Ein einfaches Leben in Christus, Anthologie, Rozekruis Pers, Haarlem 1999

[3] Böhme, Jakob, Aurora oder Morgenröte im Aufgang, herausgeg. von Gerhard Wehr, Frankfurt am Main und Leipzig 1992, S. 361 f.

[4] Jakob Böhme, Anthologie, S. 33

[5] Jakob Böhme, Anthologie, S. 41

[6] Jakob Böhme, Anthologie, S. 43

[7] Jakob Böhme, Anthologie, S. 46

[8]https://www.zitate7.de › Krishnamurti

[9] https://www.om-online.de › kultur › einfachephilosophie-mein-freund-das-jetzt

[10] Jakob Böhme, Anthologie, S. 68

[11] Jakob Böhme, Anthologie, S. 69–71

[12] Jakob Böhme, Anthologie, S. 75

[13] Meister von Meßkirch – Wikipedia

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Datum: Oktober 25, 2025
Autor: Alois Bahemann (Germany)
Foto: ai-generated-Bild-von-Franz-Bachinger-auf-Pixabay CCO

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