Auf einem Hügel in der Nähe des Dorfes stand ein Apfelbaum. Es war ein großer, knorriger, starker Baum mit einem dicken Stamm und einer breiten Krone, der viele gute Früchte trug.
Ein Kind des Dorfes besuchte gerne den Baum. Fast täglich kletterte es auf den Hügel, um den Baum zu begrüßen, sich zu seinen Füßen zu setzen und zu spielen. Oft spielte der Baum mit ihm, indem er seine Äste im Wind schwenkte, dem Kind erlaubte, einen Apfel zu pflücken, und manchmal ließ er einen vor ihm fallen. So ging das jahrelang im Rhythmus der Jahreszeiten.
Bis sich eines Tages etwas zu ändern schien. Der Baum sah das Mädchen mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern den Hügel hinaufklettern und sagte: „Hey, was ist denn hier los? Ich habe dich noch nie so zu mir kommen sehen.“ Das Mädchen seufzte und sagte: „Ach, ich weiß nicht, ich bin nur ein bisschen traurig.“ Um sie aufzumuntern, sagte der Baum: „Aber wir können doch spielen, vielleicht bist du dann etwas glücklicher“, und er winkte mit seinen Ästen, wobei die Blätter eines Astes sanft über ihre Wangen strichen. „Oh nein, ich habe keine Lust zu spielen“, antwortete das Mädchen. „Ich brauche Geld, um Dinge zu kaufen, die ich brauche.“ „Nun“, sagte der Baum, „ich habe kein Geld, aber du kannst meine Äpfel nehmen und sie auf dem Markt verkaufen. Dann hast du Geld und kannst dir die Dinge kaufen, die du brauchst.“ Und so geschah es einige Jahre lang, und das Mädchen, das langsam zu einer jungen Frau heranwuchs, konnte mit dem Geld aus den Äpfeln seinen Bedarf decken. Einige Jahre lang war sie damit glücklich.
Bis eines Tages alles ganz anders kam. Der Apfelbaum sah seine Freundin mit gesenktem Kopf auf den Hügel klettern und sagte: „Was ist denn mit dir los? So kenne ich dich gar nicht, ist etwas passiert?“ Die junge Frau zuckte mit den Schultern und sagte: „Ja, ich weiß nicht, ich bin nicht mehr zufrieden.“ Der Baum antwortete: „Vielleicht kann ich dir helfen, sag mir, was los ist.“ Die junge Frau antwortete: „Ich brauche Holz, um ein Haus für mich und meinen Partner zu bauen. Wir haben zwar viel Geld gespart, aber es reicht nicht, und Holz ist teuer.“ „Oh“, sagte der Baum, „da kann ich dir aber helfen. Nehmt meine Äste, sie sind dick und stark genug.“ Und die dicken, starken Äste wurden abgesägt, und so konnte die junge Frau das Haus fertigstellen und ein eigenes Leben beginnen. Der Baum blieb mit einigen kleinen Ästen auf dem Hügel stehen, und wieder war die Frau eine Zeit lang glücklich.
Eines Tages, viele Jahre später, sah er die inzwischen erwachsene Frau mit schweren Schritten den Hügel hinaufsteigen. „Hey, schön, dich wiederzusehen, wie geht es dir?“ „Oh, mir geht’s gut“, war die etwas gezwungene, unbeschwerte Antwort. „Das hört sich nicht sehr glücklich an, ist dir etwas zugestoßen? Kann ich dir helfen?“, fragte der Apfelbaum. „Nun, ich weiß nicht, aber weißt du, meine Familie ist erwachsen geworden und alle Kinder leben jetzt allein. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich noch nie weiter von zu Hause weg war als in diesem Dorf und der Umgebung. Ich würde gerne hinausfahren, über die sieben Weltmeere segeln und andere Kulturen kennen lernen. Aber dazu brauche ich ein Boot.“ „Oh, da kann ich dir aber helfen! Nimm meinen Baumstamm, du siehst doch, wie dick er ist. Daraus kannst du ganz leicht ein Boot bauen, und du kannst überall hinfahren.“ Und so geschah es, und der Apfelbaum hinterließ einen breiten, starken Stumpf auf dem Hügel in der Nähe des Dorfes.
Viele, viele Jahre später kam eine gebückte Gestalt den Hügel hinauf, wo der Stumpf des Apfelbaums geduldig gewartet hatte. Es war nicht der Schritt eines Kindes oder der kräftige Gang einer Frau in der Blüte ihres Lebens, nein, es war ein schleppender, ab und zu stockender Schritt. Und der Stumpf sprach zu der alten Frau: „He, wie schön, dass du mich wieder besuchst!“, denn er erkannte in der nun alten Frau das Kind von damals. „Wie ist es dir seit dem letzten Mal ergangen?“ Mehr als ein geflüsterter Seufzer war nicht zu hören. „Komm ein bisschen näher, ich kann dich nicht verstehen“, sagte der Baum, „aber lass dir Zeit, ich habe es nicht eilig.“ Der Seufzer wurde schwerer und die Frau kam ganz langsam näher. „Was willst du, willst du Äpfel von mir oder Holz?“ Die Antwort lautete: „Nein, ich brauche nichts, ich hätte gerne einen Platz zum Ausruhen.“ Da sagte der Baumstumpf: „Oh, komm, setz dich hier auf mich, ich bin ein guter Ruheplatz für dich, denn ich sehe, dass du müde bist.“ Und um die Frau herum wuchsen junge Zweige mit silbrig-weißen Blüten zum Sonnenlicht hinauf.
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Eine individuelle Interpretation des 18. Kapitels der Baghavad Gita